Lyrik und Prosa – Schöngeistiges aus ihrem reichen Erfahrungsschatz
1950 in Essen bis 1996 in Dorsten-Wulfen; Lehrerin, Lyrikerin und Verlegerin. – Sie war das jüngste Kind des Essener Malers und Meisterschülers Theodor Scholten (Folkwangschule). In ihren letzten Lebensjahren gründete sie einen Verlag, verlegte ihn von Essen nach Wulfen, und veröffentlichte Fach-Literatur und Schöngeistiges aus ihrem reichen Erfahrungsschatz. Allerdings blieb ihr Lebenswerk unvollendet. Sie starb nach vier Jahren. Die Zeit Ihrer Kindheit und Jugend in Essen war geprägt von der geistigen Enge ihres Elternhauses, bestehend aus einer Mischung von Katholizismus und allgemeiner Lebensangst. So musste sie in der ersten Hälfte ihres Lebens ihre Talente und ihren Scharfsinn darauf verwenden, sich aus diesem „katholischen Gefängnis“ zu befreien. Die erste Ehe erwies sich ebenfalls als „Gefängnis“. An Stelle katholischer Dogmen traten Dummheit, Bequemlichkeit und Frauenverachtung. Zur neuen Religion wurden die profanen und flüchtigen Freuden des Konsums erhoben. Davon zeugt ihr Gedicht „Im Kaufhaus“, das in ihrem Buch „Beobachtungen des Alltags von Kranken und Gesunden. Nachdenkliches und Wissenswertes“ im Jahre 1990 erschienen ist:
Mörderisches Gedränge,
Enge, Kaufzwänge.
Beleibte schwitzen mehr als Dünne,
machen besonderen Duft im Getümmel.
Halb betäubt, die Arme lang,
Hängen zu viele Tüten daran.
Wo liegt der Sinn? Was ist das Ziel?
Jeder hat eh Klamotten zu viel.
Voll im Trend, man geht mit der Mode.
Oder geht die Mode mit mir?
Vielleicht bis zum Tode?
Sich selbst aus der Enge befreien
Sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen, wie sie ihr bisheriges Leben verstanden hatte, ging das? War Münchhausens Geschichte bloße Unterhaltung oder hat sie einen tieferen Sinn, wie alle guten Märchen und Geschichten? Was aus physikalischer Sicht unmöglich erscheint, gelingt im wirklichen Leben so manches Mal. Man muss die Geschichte seines Lebens vom Ende her betrachten, dann finden sich Kraft und Wege, sich zu befreien. Der erste Schritt ist, ohne Angst der Wahrheit ins Gesicht schauen. Und das tat Ingrid Zimmermann. Als gelernte Krankenschwester und Lehrerin für Biologie und Sport für das Lehramt wählte sie dann doch eine freiberufliche Beschäftigung. Ingrid Zimmermann arbeitete ab Mitte der 1980er-Jahre zunächst in der Weiterbildung von Pflegefachkräften und ab 1989 als Lehrerin für Altenpflege in einem Fachseminar. Die vielschichtige und intensive Auseinandersetzung mit dem Altern, dem Genesungsprozess von Kranken und den Krankheiten von Gesundheitsarbeitern schärfte ihren Blick für Zusammenhänge, die über die traditionellen Grenzen medizinischer und psychosomatischer Sichtweisen hinausgehen. So entwickelte sie 1989 ein grundlegendes Werk zum Beckenbodentraining. Ihre Erkenntnisse über die biodynamischen Zusammenhänge von Gesundheit und Krankheit legte sie in den folgenden Jahren in ihre Arbeiten zur Fußreflexzonenmassage nieder.
Im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit stellte sie sehr schnell fest, dass die vorhandenen Unterrichtsmaterialien und die gängigen Lehrmethoden die Teilnehmer nicht wirklich auf ihre schwere Arbeit in der Pflege vorbereiten. Anatomieunterricht und Krankheitslehre eröffnen kein tieferes Verständnis für die körperlichen Belange der Patienten. Und solange die Pflegenden ihre eigene Biographie nicht verstehen, fragte sich Ingrid Zimmermann, wie sollen sie das Leben und den Eigenwillen alter und hoch betagter Menschen verstehen?
Sie förderte das biografische Lernen
Auch hier hieß es wieder, sich aus eigener Kraft aus den Unzulänglichkeiten der Umstände zu befreien. So begann sie mit der Produktion von Unterrichtsmaterial und konzipierte Elemente einer neuen, auf Körper- und Selbsterfahrung beruhenden Didaktik. Eine besondere Bedeutung erlangte das zusammen mit ihrem damaligen Kollegen und späteren Ehemann Otto Inhester verfasste „[Das] besonders andere Lehrbuch zum pfleglichen Umgang mit sich und anderen“. Auf eine für die damalige Zeit neuartige Art und Weise wurden Fachtexte mit Gedichten und Kurzgeschichten kombiniert, um den Leser zu befähigen, auf unterschiedlichen Wegen einen Zugang zu sich selbst (biographisches Lernen) zu finden und damit die Voraussetzung zum Verständnis für alte pflegebedürftige Menschen zu schaffen. Obwohl oder gerade weil sie die Schwächen der Menschen gut verstand, war sie in ihrer Lyrik knapp und direkt, wie in dem Poem „Ohne Maske“ aus dem Erzählband „Der Tod ist ein Freund“:
Leben beginnt,
Leben zerrinnt.
Nichts hat Bestand
eine Hand voll Sand.
Hilflos und klein,
ganz allein.
Krank und schwach
wie am ersten Tag.
Gestern in der Wiege,
morgen im Sarg.
Bett – Brett – Ende
Vieles blieb nach Ihrem Tod unvollendet
Um ihre literarischen und künstlerischen Fähigkeiten weiter ausbauen zu können – sie hat ihre Bücher selbst illustriert –, gab sie ihre Lehrtätigkeit auf und gründete 1990 einen Verlag, mit dem sie 1992 nach Wulfen zog. Hier war es ihr möglich, eine Reihe von Ideen zu Ende zu bringen und auch anderen Autoren die Möglichkeit zu Veröffentlichung zu verschaffen. Doch vieles musste aufgrund ihres Todes 1996 unvollendet bleiben. Gleichwohl Ingrid Zimmermann immer sehr um eine gesunde Lebensweise bemüht war, empfand sie ihre Krankheit nicht als Versagen. Sie wusste, dass die Gesellschaft in der sie lebte – und wir leben –, im tiefsten Sinne des Wortes „verrückt“ ist und daher eines Menschen Leben überfordern sein kann, sich vor dem kranken Zeitgeist dauerhaft zu schützen (siehe Zimmermann-Verlag).
Veröffentlichungen (Auswahl): „Beckenbodentraining“, Schlütersche Verlagsanstalt, Hannover 1989. – „Ganzkörperwaschung in der Pflege“, zusammen mit Otto Inhester, Schlütersche Verlagsanstalt, Hannover 1990. – „Beobachtung des Alltags von Gesunden und Kranken“, Gedichte, Verlag Zimmermann, Dorsten 1991. – „Aller Anfang ist schwer / Gibt mir eine Chance“, zwei autobiographische Erzählungen, Verlag Zimmermann, Dorsten1992. – „Herbstblumen“, eine authentische Erzählung, Verlag Zimmermann, Dorsten 1992. – „Impfbuch – aktive Immunisierung gegen Stumpfsinn“, satirische Kurzgeschichten und Cartoons, Frieling 1992, Berlin. – „Der Tod ist ein Freund“, Erzählung, Frieling 1992, Berlin; Verlag Zimmermann 1994, Dorsten. – „Wahrheit in modernen Märchen“, Kurzgeschichten, Verlag Zimmermann 1992, Dorsten. – „Frauen sind auch Menschen“, Gedichte und Cartoons, Verlag Zimmermann 1992, Dorsten. – „Das besonders andere Lehrbuch – zum pfleglichen Umgang mit sich und anderen“, zusammen mit O. Inhester, Vincenz-Verlag Hannover, 1992. – „Ari, die Tempeldienerin“, mehrbändige Erzählung aus dem alten Ägypten, Bd. 1, Aris Kindheit, Verlag Zimmermann 1993, Dorsten. – „Gedichte für Kinder – und solche, die es wieder werden wollen“, Verlag Zimmermann 1993, Dorsten. – „Fußreflexzonenmassage in der Pflege und Selbstpflege. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise“, Verlag Zimmermann 1994, Dorsten.
Siehe auch:
Literaten, verstorben (Artikelübersicht)