Zentrumspartei

Auch Dorstener Mitglieder fanden 1933 in der NSDAP eine neue Heimat

Zentrumspartei ....................

Vorstand des Reichszentrums; Bilderklärung am Ende des Textes

Das Zentrum war die Partei des politischen Katholizismus. Nachdem die Parteien nach Abschaffung der Stände das politische Leben dominierten, war in der Stadt Dorsten und den Landgemeinden das 1870 gegründete Zentrum, das eine enge Verquickung von Kirche, Partei und Politik einging, stets die Mehrheitspartei. Das erste Zentrumswahlkomitee bildete sich 1905 im katholischen Gesellenhaus. Es war auf breiteste Grundlage gestellt und bestand aus 42 Mitgliedern. Ehrenvorsitzender war Dechant Pfarrer Lorenz, 1. Vorsitzender Gymnasialprofessor Dr. Weskamp, außerdem gehörten dem ersten Vorstand Gymnasiallehrer Möller und Gerichtsobersekretär Holtkamp an. 1919 ernannte die Partei Weskamp zum Ehrenvorsitzenden und wählte Rechtsanwalt Beckmann zum Vorsitzenden sowie Rechtsanwalt Nordmann in den Vorstand.

Evangelische Mitglieder waren in der Partei nicht gut gelitten

Dr. A. Weskamp, Dorsten

Dr. A. Weskamp, Dorsten

Als Kandidaten zur Stadtverordnetenwahl konnten nur solche Männer aufgestellt werden, die „auf positiv-christlichem Boden“ standen, was gleichbedeutend als katholisch galt. „Charakter und geistige Veranlagung“ mussten für eine selbstlose Ausübung des Mandats stimmen und Gewähr für katholische Politik bieten. Bei der Auswahl beachtete man zwar, dass der Stadtverordnete die Interessen aller Bürger wahrzunehmen hatte, er allerdings bei seinen Entscheidungen darauf achten musste, von wem er aufgestellt und gewählt wurde. Als dann das Zentrumswahlkomitee bei den Wählern erster Klasse den evangelischen Gastwirt Engelbert Freitag aufstellte, „nörgelten andere laut“ wegen dessen Konfession. Von 1909 bis 1919 saßen nur Zentrumsmitglieder in der Dorstener Stadtverordnetenversammlung. Die Demokratisierung in der Weimarer Republik beschnitt den Alleinvertretungsanspruch der Zentrumspartei, die dadurch in der Stadtverordnetenversammlung nur noch 19 Abgeordnete hatte, die Sozialdemokraten drei und die Rechtsparteien zwei. 1927 änderte sich das Mehrheitsverhältnis, weil auf Grund von Querelen sich eine weitere christliche Partei zur Wahl stellte. Das Ergebnis: Zentrum 9, christliche Arbeiter 5, Kommunale Vereinigung  4 Sitze, SPD und Kommunisten je 1 Sitz. Wichtigste Informationsquelle der Zentrums-Mitglieder war über Jahrzehnte hinweg die dem Zentrum nahe stehende „Dorstener Volkszeitung“ (siehe Medien).

Zentrumspartei stand hoch in der Wählergunst

A..... Duve, Holsterhausen

Anton Duve, Holsterhausen

In den Herrlichkeitsgemeinden hatten sich seit 1924 alle örtlichen Zentrumsparteien unter Vorsitz des Schreinermeisters Duve aus Holsterhausen zu einer Bezirksvereinigung zusammengeschlossen. Die Gemeinde Hervest war in drei Zentrumsbezirke aufgeteilt. Die Gesamtpartei leitete bis 1923 Pfarrer Vissing, dann Gastwirt Korte, dem der Berginvalide Steffens folgte. In Holsterhausen stand Pfarrer Herold fast ein ganzes Menschenalter dem Zentrum vor, bevor Anton Duve die Partei führte. Unterstützt wurde die Zentrumspartei vom 1903 gegründeten Windhorstbund (siehe dort). Bei den Reichstagswahlen hatte das Zentrum in der Stadt von 1928 bis 1933 stets einen Anteil zwischen 48,9 und 43,9 Prozent (Vergleich: SPD 9,4 Prozent bis 14,5 Prozent, NSDAP 11,7 Prozent bis 30,1 Prozent).

Nach dem Krieg keine Chancen mehr

Von einem Parteileben des Zentrums ist wenig bekannt, wahrscheinlich hat es dies bis auf Mitgliederversammlungen nicht gegeben. Das Zentrum war eine reine Wahlpartei. 1933 stimmte das Zentrum für das nationalsozialistische „Ermächtigungsgesetz“, dann löste es sich als letzte der bürgerlichen Parteien nach dem Reichskonkordat selbst auf. Etliche führende Zentrums-Mitglieder und bis dahin gewesene Mandatsträger fanden in Dorsten eine neue politische Heimat in der NSDAP. Die Mehrzahl der vormaligen Parteiführer waren 1945 Mitbegründer der CDU. Die Neugründung einer linksorientierten Deutschen Zentrumspartei war nur in NRW (bis 1958 Regierungsbeteiligung) von Bedeutung. In Lembeck saß bis 1975 Hugo Hülsdünker 19 Jahre lang als einziger Zentrumsmann im Gemeinderat. – Zum obigen Foto:  Der Vorstand des Reichszentrums. 1. Reihe sitzend v. l.: Aloys Prinz zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, Dr. Konstantin Fehrenbach, Dr. Felix Porsch, Wilhelm Elfes; 2. Reihe stehend v. l.: Most,  Dr. Lammerich, Dr. Sebastian Bauer, Dr. Driesen,  Herslein, Abg. Hauser, Lorenz.

Paul Schürholz – Stadt unterschlägt heute noch NSDAP-Mitgliedschaft

Auf der städtischen Informationsseite der Stadt Dorsten ist eine Rubrik anzuklicken, auf der über Dorstens Ehrenbürger/innen mit jeweils einer kurzen textlichen Darstellung informiert wird. Darunter auch Paul Schürholz mit dem Text:

„1963: Paul Schürholz (1893-1972), Kaufmann und ehemaliger Bürgermeister der Stadt Dorsten, war Mitglied der Zentrumspartei. An seinem 70sten Geburtstag wurde er für seine Verdienste um die Stadt Dorsten ausgezeichnet. Seit 1933 vertrat er die Zentrumspartei im Rat der Stadt Dorsten, 1948 wurde er zum Bürgermeister gewählt und bekleidete das Amt bis 1964. Er hat sich besonders um den Wiederaufbau der stark zerstörten Innenstadt verdient gemacht.“

 

Bemerkenswert in dieser Darstellung ist, dass darin seine Tätigkeit im Stadtrat offensichtlich falsch dargestellt ist. Schürholz wurde wohl als Zentrumsmitglied um März 1933 in den Stadtrat gewählt, vertrat aber nach Selbstauflösung des katholischen Zentrums am 5. Juli 1933, nachdem das Zentrum für das „Ermächtigungsgesetz“ Hitlers zugestimmt hatte, im Stadtrat NSDAP bis 1945. Etliche führende Zentrums-Mitglieder und bis dahin gewesene Mandatsträger fanden in Dorsten eine neue politische Heimat in der NSDAP. Schürholz stimmte in dieser Zeit auch anti-jüdischen Maßnahmen zu. Obwohl die Stadt mehrmals auf die falsche Darstellung über ihren Nachkriegsbürgermeister und Ehrenbürger informiert wurde, unterließ die Stadt bis heute (Stand November 2021) eine Berichtigung.

Siehe auch: Paul Schürholz
Siehe auch: Albert Weskamp
Siehe auch: Anton Duve


Quellen:
Friedhelm Stoltenberg „Als Bollwerk gegen Sozialdemokratie. Das Zentrum – Seine Bedeutung in Dorsten“ und „Unbemerkt verschwand die stärkste Partei. Das Zentrum – Seine Entwicklung in Dorsten von 1930 bis 1933“ in „Dorsten unterm Hakenkreuz. Der gleichgeschaltete Alltag“, Bd. 3, Dorsten 1985.

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