Wohnungsnot in Dorsten (2024)

Immer mehr Dorstener suchen Unterstützung bei der Wohnungslosenhilfe

Wohnraum ist in Dorsten rar. Immer mehr Dorstener suchen deshalb Unterstützung bei der Wohnungslosenhilfe. Deutlich mehr Menschen als im Jahr zuvor haben 2024 die Beratungsstelle der Wohnungslosenhilfe der Evangelischen Kirche in Dorsten aufgesucht. Die Beratungsstelle verzeichnete ein Rekordhoch: 461 Menschen haben im Jahr 2024 die Hilfe in Anspruch genommen. Im Jahr zuvor waren es knapp über 300. Das ist ein Anstieg von über 50 Prozent. Junge Menschen machen einen Großteil der Wohnungslosen aus: „Eine hohe Anzahl der Wohnungslosen ist zwischen 18 und 25 Jahre alt“, erklärt Sozialpädagoge David Wäscher. „Wohnungslosigkeit ist jung“, sagt er. Die Wintermonate sind die frequentiertesten. „Wir rechnen damit, dass noch rund 50 Menschen dazukommen werden“, so Wäscher in der Dorstener Zeitung. Dass die Not in Dorsten groß ist und sie sich verstärkt hat, darüber sind sich David Wäscher und Judith Flashove von der Wohnungslosenhilfe einig. „Die Probleme sind vielschichtiger geworden“, sagen sie.

Hakan sucht dringend eine Wohnung

Judith Flashove betreut das Projekt „Housing First“, das auf die Vermittlung von Wohnungslosen abzielt. Menschen, die seit mehr als einem Jahr keine Wohnung haben, kommen für das Programm infrage. Dazu zählt zum Beispiel Hakan, der von der Wohnungslosenhilfe betreut wird. Hakan hat eine schwerbehinderte erwachsene Tochter, die 32 Jahre alt ist. Seine Ex-Frau fand die lebenslange Betreuung der Tochter zu belastend und hat ihren Mann zusammen mit der Tochter vor die Tür gesetzt. Ohne familiäre Unterstützung wusste er nicht, wohin er sich wenden sollte. Schließlich fand er in einer Notunterkunft vorübergehend Unterschlupf. Hakan kümmert sich unermüdlich um seine Tochter, obwohl er selbst gesundheitlich angeschlagen ist. Zwei Schlaganfälle und ein Herzinfarkt haben seine Gesundheit stark beeinträchtigt. Er lebt von Sozialleistungen und erfährt häufig Absagen von Vermietern. In der Notunterkunft fällt es ihm schwer, seiner Tochter die notwendige Pflege zu bieten und sie emotional zu unterstützen. Wäre es ihm möglich, eine passende Wohnung zu finden, könnte er gemeinsam mit seiner Tochter einen neuen Lebensabschnitt beginnen und sich sorgenfreier um sie kümmern.
Hakan könnte seiner Leidenschaft fürs Gärtnern nachgehen. Für seine Tochter würde er die Sorge um die Zukunft lindern und ihr den Wunsch erfüllen, in Dorsten zu bleiben und ein eigenes Zuhause zu haben, da sie Angst vor einem Umzug hat.

Der Wohnungsmarkt schwierig

Eine passende, barrierefreie Wohnung zu finden, die eine Kaltmiete inklusive Nebenkosten von 533 Euro nicht übersteigt, ist jedoch sehr schwer, erklären die Sozialpädagogen. Aber auch bezahlbare Wohnungen für Alleinstehende oder große Familien sind rar. „Wir sind mittlerweile so weit, dass wir schon nach Wohnungen im Raum Bottrop, Gelsenkirchen und weiter gucken müssen“, erklärt David Wäscher. Auch in Marl sei der Markt leergefegt. In der Vergangenheit konnten die Wohnungssuchenden auf die Nachbarstadt zurückgreifen. Seit Mitte des Jahres 2024 gibt es daher das Programm „Housing First“ in Dorsten, das Wohnraum für Langzeit-Wohnungslose ermöglichen soll. Gefördert wird das Projekt vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). „Vermieter können sich beim LWL melden und Wohnraum zur Verfügung stellen und bekommen dafür Prämien“, erklärt Judith Flashove, die für das Programm in Dorsten zuständig ist.

In Dorsten bewerben sich 70 und 100 Menschen auf eine Wohnung

Konkret bekommen Eigentümer einen Zuschuss, wenn sie Wohnungen an Menschen in Wohnungslosigkeit vermieten. Bei einem Neubau oder Erwerb werden 40 Prozent, maximal 40.000 Euro, übernommen. Vermieter erhalten einmalig 5000 Euro, wenn sie Wohnraum bei „Housing first“ zur Verfügung stellen. Gleichzeitig deckt das Programm anteilig Mietausfälle, Instandsetzungen oder Leerstände ab. Vier Wohnungen gibt es bislang (Stand Dezember 2024), die über das Projekt in Dorsten an Wohnungslose vermittelt wurden. „Das ist natürlich eine super Möglichkeit für Menschen, die so auf dem freien Wohnungsmarkt jetzt überhaupt keine Chance hätten“, erklärt die Sozialpädagogin. Mittlerweile sehe es in Dorsten so aus, dass sich häufig zwischen 70 und 100 Menschen auf eine Wohnung bewerben. Die Chancen für Wohnungslose stehen daher schlecht. Vermieter ziehen oft andere Bewerber vor. „Schufa-Einträge und hohe Schulden können da ein Hindernis sein“, erkläret Judith Flashove in der Dorstener Zeitung. „Wir erleben auch ganz häufig, dass gerade Menschen unter 25 Jahren ganz schwierig eine Wohnung bekommen, weil eben viele Vermieter auch die Sorge haben, dass da die Erfahrung fehlt und vielleicht auch die Weitsicht, so ein Mietverhältnis im Sinne des Vermieters zu führen“, ergänzt Wäscher.

Mehr Frauen sind wohnungslos

Vor allem inflationsbedingt haben sich die Gegebenheiten am Dorstener Wohnungsmarkt verändert. Mehr Menschen als zuvor beziehen eine kleine Rente und sind auf Beihilfe angewiesen. Viel können sie sich nicht leisten. Es sind auch häufiger Frauen, die wohnungslos oder davon gefährdet sind. Die Wohnungslosenhilfe greift vielen Bedürftigen mit dem ambulant betreutem Wohnen, einem warmen Mittagessen, der Essensausgabe oder zum Beispiel der Möglichkeit zu duschen und Wäsche in der Tagesstätte zu waschen unter die Arme. „Wir weisen keinen ab“, erklärt David Wäscher das Arbeitsverständnis der Wohnungslosenhilfe.


Quelle: DZ vom 14. Dezember 2024

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