Weihnachtszeit in Farbe

Von den versinnbildlichen Weihnachtsfarben Grün, Weiß, Gold dominiert Rot

Vier Farben dominieren die Weihnachtszeit. Es ist erstens das Grün des Tannenbaumes. Es ist zweitens das unschuldige Weiß des Schnees, dieses zarten Mantels aus Licht und Schalldämpfers aus gefrorenem Wasser als poetische Metapher für die Verpuppung und Neuerfindung der ganzen Welt. Es ist drittens das Gold, das vor Milliarden Jahren in der Pubertät des Universums als Rudiment explodierter Riesensterne als Meteoritenfracht auf den jungen Planeten Erde donnerte – eine kosmische Kostbarkeit, ein Zufallsprodukt aus dem fernen Nirgendwo und ein echtes Geschenk des Himmels. Und es ist vor allem – viertens – ein tiefes, warmes Rot. Wenn das Gold der Weihnachtszeit das zu Metall geronnene Licht des Sterns von Bethlehem versinnbildlicht, dann steht das Rot als Farbe des Blutes und des Lebens (und ja, auch des Weihnachtsmannes) für die Energie und Vitalität, die bis in die Gegenwart in diesem alten Fest steckt. Die Farbe Rot, schrieb Ernst Jünger, sei „unser irdischer Lebensstoff, wir sind ganz und gar ausgekleidet mit ihm. Die rote Farbe ist uns daher so nah, dass zwischen ihr und uns kein Raum zur Überlegung besteht. Sie ist die Farbe der reinen Gegenwart; unter ihrem Zeichen verständigen wir uns auf sprachlose Art“.

Das Weihnachtsrot ist nicht das Coca-Cola-Rot

Rot sind die Schleifen von Millionen Geschenken, rot sind die Hochblätter der Weihnachtssterne, die seit den 1950er-Jahren im Advent Mitteleuropas Supermärkte fluten. Rot sind ungezählte Kugeln an den Tannenbäumen, die Kerzen des Adventskranzes und die Weihnachtsmannfigur – aber eben nicht Coca-Cola-rot, sondern weihnachtsrot. Es ist keine sanfte, zurückhaltende Farbe. Es ist ein sattes Signal an die Sinne, eine „starke Note von beinahe zielbewusster Kraft“, wie der Maler Wassily Kandinsky schrieb. Diese „zielbewusste Kraft“ ist im Farbkreis die „Urfarbe“ schlechthin. Gleich nach „Hell“ und „Dunkel“ erhielt Rot in der historischen Entwicklung vieler Sprachen ein eigenes Wort. Höhlenmalereien sind häufig in Rot oder rostrotem Ocker gehalten. Wer nach einer Hirnverletzung temporär erblindet und die Sehkraft zurückgewinnt, erkennt nach schwarz-nebelhaften Schemen als erste Farbe das Rot wieder, denn das Gehirn reagiert besonders sensibel auf diesen Farbreiz.

Rot: Heilkräfte, Dämonen, Krankheiten, Alarm, „böser Blick“

Der „vollendetesten Farbe“ (Goethe) schrieb man über Jahrhunderte Heilkräfte zu, mit ihr versuchte man, Dämonen zu vertreiben, Krankheiten zu heilen und den gefürchteten „bösen Blick“ abzuwehren. Zugleich diente sie wegen ihrer Auffälligkeit früh als Alarmfarbe, Warnsignal und Wegweiser. In der christlichen Metaphorik steckt Rot voller Widersprüche. Rot steht für den Heiligen Geist ebenso wie für Sünde und Gefahr, für herzerwärmende Liebe und Lebenskraft ebenso wie für heißen Zorn, für Glück und Energie ebenso wie für Wut, Tod und den Teufel. In der biblischen Offenbarung reitet die „große Hure Babylon“ in Rot gekleidet auf einem „scharlachroten Tier mit sieben Häuptern und zehn Hörnern“. Rot ist ein Sinnbild für erotische Erregung wie auch für hitzige Empörung.

Farbe der Mächtigen: Bestrafung, wenn normale Bürger rot trugen

Lange war sie etwas Besonderes. Purpurrote Kleidung, hergestellt in einem komplizierten Verfahren von speziellen Schönfärbereien aus dem Drüsensekret der Purpurschnecke, war im Mittelalter als Farbe der Macht Kardinälen, Königen, Bischöfen und anderen höchsten Würdenträgern vorbehalten (wer als Normalsterblicher Rot trug, konnte hart bestraft werden). Es war ein klassisches Luxusgut: Für ein Gramm Purpurfarbstoff starben gut 8000 Schnecken. Andererseits symbolisiert Rot auch die käufliche Liebe und steht in der Metapher von der roten Laterne für Letztplatzierte und andere Pechvögel. Das tiefrote Blut ist als eine Art bildhafter Biotreibstoff ein uraltes Symbol für Kraft und Mut; so badet Siegfried in der Nibelungensage in Drachenblut, um unverwundbar zu werden. Die Griechen ließen Blut in die Gräber ihrer Verstorbenen fließen, um ihnen Kraft für die Reise ins Jenseits zu geben. Bis in die Young Adult-Vampirromane der Gegenwart hält sich der Mythos vom roten Blut als potentem Lebensspender.

Farbe des Sonnenuntergangs und des menschlichem Inneren

„Die Farbe Rot“, befand der US-Dichter Alexander Theroux, „besitzt ein seltsames, riesenhaftes Leben. Sie ist ein Rätsel, das alles umfasst, vom Sonnenuntergang bis zur rosigen Farbe unseres Inneren“. Dieses Rätsel ist tief, sehr tief im menschlichen Unterbewusstsein verankert. Sozialpsychologen wiesen in Experimenten erstaunliche Wirkungen nach: Eine Frau, die rote Kleidung trägt, wirkt auf Männer erheblich attraktiver als dieselbe Frau in blauer oder grüner Kleidung – in England oder Deutschland genauso wie in China oder Burkina Faso. Schiedsrichter im Sport bevorzugen unbewusst rotgekleidete Spieler (auch wenn das gewiss nicht die Erklärung für die jahrelange Dominanz des FC Bayern München in der Bundesliga ist). 158 von 194 Nationalflaggen und 13 von 18 Bundesliga-Fußballtrikots enthalten die Farbe Rot.

Vertrautes Zuhause: Kleiner Stern mit 25 winzigen Zacken

In Wohnzimmer leuchtet in der Weihnachtszeit oft ein einzelner, kleiner, roter Herrnhuter Stern. In tiefster Dunkelheit taucht dieser tapfere, kleine Stern mit seinen 25 winzigen Zacken unser vertrautes Zuhause in ein rot schimmerndes, rätselhaftes Licht und macht den Raum so zu einem friedlichen, angenehm verseltsamten Ort. Es scheint dann, als gölten in rötlichen Weihnachtsnächten andere Gesetze als sonst. „Rot“, schrieb der britische Filmemacher Derek Jarman, „schirmt sich ab. Keine Farbe ist so territorial. Es steckt sein Revier ab, ist auf der Hut gegenüber dem Spektrum“. Und genau mit dieser „territorialen“ Wirkung ist die Farbe, in die Nast mitten im Krieg seinen gemütlichen Himmelsboten kleidete, der perfekte Ton, um die Welt wenigstens für die Dauer der Weihnachtszeit in ein besonderes „Revier“ zu verzaubern. Möge in diesem Revier wenigstens für ein paar Tage eine gnädige Milde regieren statt der üblichen rastlosen Härte.


Quelle: Imre Grimm in RN (DZ) vom 25. Dezember 2025

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