Suizid – beispielhafte Gründe

Gladbecker Hans-Peter K. war suizidgefährdet: „Ich kam mir so wertlos vor“

Schicksalsschläge haben Hans-Peter K. zeitweise aus der Bahn geworfen. „Ich war zweimal ganz kurz davor, mir das Leben zu nehmen“, sagt der Gladbecker. Hans-Peter K. wirkt gelassen, zufrieden, in sich ruhend. „Es geht mir gut“, sagt der Gladbecker lächelnd, mit leiser, aber fester Stimme. Das war nicht immer so – ganz im Gegenteil. „Ich war zweimal ganz kurz davor, mir das Leben zu nehmen“, berichtet der heute 72-Jährige.
42 Jahre alt war Hans-Peter Kock, als ihn die erste existentielle Krise ereilte. „Ich habe damals bei der Berufsfeuerwehr gearbeitet, hatte dort jahrelang einen super Job gemacht, wie mir Vorgesetzte bescheinigten. Tatsächlich war Feuerwehrmann für mich genau das Richtige. Ich war vorher als Funkelektriker, Bauschlosser und Rettungsassistent tätig gewesen, aber Feuerwehrmann, das war für mich nicht nur ein Beruf, das war Berufung“, schwärmt Hans-Peter Kock.
Doch dann gab es einen Dienstunfall, eine lange Krankschreibung. „Ich war nicht mehr voll feuerwehrtauglich“, so Hans-Peter Kock und nun ist das Lächeln aus seinem Gesicht verschwunden. Ein neuer Chef, mit dem er nicht klarkam, der gescheiterte Versuch, in die Leitstelle zu wechseln – „ich wollte unbedingt weiterarbeiten, aber man hat mich damals aus der Feuerwehr rausgedrängt.“ Rausgedrängt aus dem Traumberuf, rausgedrängt in die Dienstunfähigkeit. Mit gerade einmal 42 Jahren.
„Dieser Beruf war mir unheimlich wichtig“, betont Hans-Peter Kock. Und er erinnert sich genau, wie er sich durch den Wegfall seiner Arbeit veränderte: „Ich kam mir so überflüssig und wertlos vor, hatte an nichts Spaß, keine Lebenslust. Vorher war ich aktiv, ein unterhaltsamer Mensch, nun zog ich mich zurück, wurde stiller und stiller, vernachlässigte Freundschaften. Die Suizid-Gedanken kamen – kamen immer wieder“, bis hin zu konkreten Planungen, wie das Leben zu beenden sei.

„Gute Gespräche“ wichtig, um in eine bessere Situation zu kommen

Wie hat es Hans-Peter Kock geschafft, aus dieser Situation wieder herauszukommen? „Gute Gespräche“ waren wichtig, betont der Gladbecker nachdenklich. Zunächst mit seiner Frau, auch mit dem befreundeten Pfarrer. Dann folgten der Hausarzt und schließlich der Psychotherapeut sowie begleitende Medikamente. „Ich bin in die richtigen Hände gekommen“, sagt Hans-Peter Kock und nun lächelt er erleichtert. „Ich bekam wieder Freude am Leben, habe wieder einen Sinn im Leben gesehen. Und mir ist bewusst geworden, dass meine Familie mich braucht“, erläutert der verheiratete Vater einer Tochter. „30 Jahre ist das alles her, Wahnsinn. Das war richtig gefährlich“, sinniert Hans-Peter Kock und fügt hinzu: „Was habe ich danach alles Schönes erlebt, wem helfen können. Im Nachhinein habe ich oft gedacht: Was hast du damals fast für einen Dummheit gemacht.“

„Da habe ich keinen Ausweg gesehen“

Dennoch: 15 Jahre später ereilt Hans-Peter Kock eine zweite Zeit mit Selbstmord-Gedanken. Diesmal ist es ein gesundheitlicher Schlag, der ihn aus der Bahn wirft. „Auf einmal hieß es: Sie haben Krebs“, erinnert sich der Gladbecker und schluckt. „Ich war gerade Opa geworden, da kam diese scheiß Krankheit, Prostatakrebs. Da habe ich keinen Ausweg gesehen“, sagt Hans-Peter Kock. Sein Bruder war bereits an Prostatakrebs verstorben, „er hat sehr gelitten und seine Familie auch“, sagt Hans-Peter Kock. „So wie er wollte ich nicht gehen, das wollte ich auch meiner Familie nicht zumuten.“ Doch Hans-Peter Kock übersteht auch diese Zeit. „Es war einfacher als beim ersten Mal“, sagt er im Nachhinein. „Ich kannte diesmal die Wege, die ich gehen musste, zum Beispiel zum Psychotherapeuten.“ Hinzu kam unterstützend Frau und Tochter sowie ein befreundeter Mediziner, der wichtige Hinweise zu der Therapie gab. „Schließlich ist mir wieder klar geworden, dass ich nach meiner ersten Phase mit suizidalen Gedanken viel Schönes erlebt habe, dass ich meinen Enkel so lange wie möglich begleiten, ihm als Opa eine Stütze sein will.“ „Total weit weg“, antwortet Hans-Peter Kock entschlossen und ohne Zögern auf die Frage, wie weit er heute von Suizid-Absichten entfernt ist. „Ich kenne viele nette Menschen, fahre öfter mit meiner Frau in den Urlaub. Es macht Spaß zu leben und anderen zu helfen“, sagt er bekräftigend. So leitet der 72-Jährige seit fünf Jahren eine Prostatakrebs-Selbsthilfegruppe in Gladbeck, unterstützt Bekannte bei der Umrüstung auf LED, hat Hilfsgüter nach Belarus in die Nähe von Tschernobyl gebracht und ehrenamtlich in einer Hauptschule mitgearbeitet. „Und ich habe eine große Familie – es ist immer genug zu tun.“ Selbstmord sei da kein Thema mehr. Hans-Peter Kock fasst sich zunächst an das goldene Kreuz, das er um den Hals hängen hat, zeigt dann lächelnd nach oben Richtung Himmel: „Erst wenn der meint, ich soll kommen – dann komme ich.“

Siehe auch: Suizid / Selbsttötung (Essay)
Siehe auch: Suizid Selbsthilfegruppe


Quelle: DZ vom 13. September 2024

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