Bestattung der Aussätzigen auf dem Friedhof, später am Galgenberg
Siechenhäuser entstanden meist neben Hospitälern außerhalb der Städte, als sich vom 12. bis 14. Jahrhundert die Lepra verbreitete. Über die Gründung des Dorstener Siechenhauses vor den Toren der Stadt an der Grenze zum Kirchspiel Kirchhellen sind keine Nachrichten erhalten. Erstmals wird das Siechenhaus 1489 im „liber statutorum oppidi Dursten“ erwähnt. Die Aufsicht übten die Provisoren des Hospitals, Kirchmeister und Hospitalmeister aus, wobei Pfarrer und Stadt die Oberaufsicht hatten. Sie führten ihre eignen Tauf- und Heiratsregister und hatten auch eigene Geistliche. Ihre Toten wurden zuerst auf dem eigenen Friedhofsplatz bestattet, später am Galgenberg (Richtstätte). Im 16. Jahrhundert wurde das „Seykenhus“ in den Kassenbüchern der Stadt mehrmals erwähnt. Als im 16./17. Jahrhundert die Krankheit abnahm, wurde das Siechenhaus entbehrlich und spätestens Ende des 18. Jahrhunderts mit seinen Ländereien (Siechenkotten) an die Armenverwaltung verpachtet.
Eigene Kapelle mit Gottesdienst für Aussätzige in Dorsten
Über die Aussätzigen in Dorsten, wie übrigens auch in anderen Städten des Vests, ist wenig bekannt. 1494 schickte die Stadt zwei des Aussatzes verdächtige Bewohnerinnen, Margareta Kleynsmedz und Kune Ketteler, mit dem städtischen Boten nach Köln, um die beiden Dorstenerinnen von den Doktoren der Universität untersuchen zu lassen. Diese fanden aber keine Hinweise auf Lepra. Die beiden Frauen konnten danach Schadensersatz einfordern, da der Verdacht auf Lepra eine bösartige Schmähung war. Guido Heinzmann kommt in seinem Buch „Gemeinschaft und Identität spätmittelalterlicher Städte Westfalens“ zu dem Schluss, dass diese Krankheit durchaus missliebigen Personen angedichtet werden konnte, um sie auszugrenzen und ihren Ruf zu schädigen. Da die Leprosen keine Kirchen besuchen durften, wurde ihnen nach Bestimmungen des 3. Laterankonzils eine eigene Kapelle gebaut (Siechenkapelle, Seykenkapelle). Sie steht mitten im eng angrenzenden Wohngebiet neuer Häuser mit Rasen hinterm Haus, mit Spielgeräten für Kinder und Parkplätzen fürs Auto. Dem weißgetünchten kleinen Gebäude ist sein historisches Alter nicht zu erkennen und auf dem ersten Blick auch nicht, welche Geschichte sich hinter dem Namen Siechenkapelle in der Nähe der Straße „An der Seikenkapelle“ sich verbirgt.
Ab 1776 sind jährliche Prozessionen zur Siechenkapelle belegt
Im Innern der Siechenkapelle stand früher eine geschnitzte Pieta aus dem 16. Jahrhundert, die sich heute in St. Agatha befindet, und eine Sandsteinmadonna aus dem 15. Jahrhundert, die Glocke im kleinen Turm stammte aus dem Jahre 1673. Ab 1776 ist belegt, dass es jährlich Prozessionen zur Siechenkapelle und einen Gottesdienst am 1. Mai gegeben hat. Dieser Brauch wurde wiederbelebt (bis heute). Im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bomben die Kapelle fast völlig, die 1961/62 auf Grund des Gelübdes eines Dorstener Bürgers wieder aufgebaut wurde. 1964 erhielt sie ein Türmchen mit einer Glocke. Die neue Altarplatte enthält Reliquien der hl. Ursula. Die Straße „An der Seikenkapelle“ erinnert an den Standort des Siechenhauses. – In Wulfen dürfte es ein weiteres Siechenhaus gegeben haben, denn in einer Flurkarte des 19. Jahrhunderts sind ein „Seikengarten“ mit „Seikenhaus“ sowie ein „Seikenberg“ eingezeichnet.
Quellen:
Wilhelm Engberting „Armenanstalten und Wohlfahrtspflege der Stadt Dorsten bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts“, Inaugural-Dissertation, Münster 1936. – Christian Grubers Wulfen-Wiki. – Guido Heinzmann „Aussätzige“ in „Gemeinschaft und Identität spätmittelalterlicher Städte Westfalens“, Boock on Demand, Norderstedt 2006.