Verräterische Fäden im rechten Lager zwischen Wien und Dorsten
Dr. Otto Strasser, ursprünglich Sozialdemokrat, war von 1925 bis 1930 Mitglied der NSDAP. Dem linken Flügel der Partei zugehörig, leitete er seit 1926 den von seinem Bruder Gregor (1934 von Hitler ermordet) gegründeten „Kampfverlag“. Gregor Strasser brach 1930 mit Hitler und schuf die „Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten“, nach ihrem publizistischen Organ auch „Schwarze Front“ genannt. Strasser emigrierte 1933 nach Wien. Später ging er nach Prag und Kanada und kehrte 1955 in die Bundesrepublik zurück.
Versammlungslokal der Rechten war die Gaststätte „Freitag“
Auch in Dorsten hat es eine 1931 gegründete „Schwarze Front“ gegeben. Ihr Versammlungslokal war die Gastwirtschaft „Freitag“. Schon damals beschmierten ihre Mitglieder die Häuser jüdischer Bürger mit Hetzparolen. Im Kreis Recklinghausen spielte die „Schwarze Front“ politisch eine geringe Rolle. Ihre Werbetätigkeit ging von Dorsten aus, wo sich eine Gruppe von etwa zehn Anhängern um ihren Führer Gerhard Bodden versammelte, die nach Auffassung der damaligen Polizeibehörde „äußerst radikal“ gegen den hitlerschen Nationalsozialismus eingestellt war. Nach dem 30. Januar 1933, als Hitler an die Macht kam, wurde Bodden in Dorsten festgenommen. In der Vernehmung gab er zu, als „Kampfleiter“ der „Schwarzen Front“ mehrmals mit dem inzwischen in Wien agierenden Dr. Otto Strasser in Verbindung gestanden zu haben. Das weitere Schicksal von Gerhard Bodden, der an der Marler Straße 8 wohnte, ist nicht bekannt.
Brief an die Dorstener Parteigenossen
Interessanterweise unterschrieb er am 13. Oktober 1930 als Ortsgruppenleiter der NSDAP einen Brief an „alle Parteigenossen der Ortsgruppe Dorsten“. Es muss kurz vor seinem Wechsel zur „Schwarzen Front“ gewesen sein. Das Schreiben stammt aus der so genannten „Handakte Köster“. Fritz Köster war Nachfolger von Ortsgruppenleiter Klein und später besoldeter Beigeordneter der Stadt Dorsten. Offensichtlich hat man den „Zwischen-Ortsgruppenleiter der Dorstener NSDAP“, Gerhard Bodden, als Volks- und Parteiverräter fortan totgeschwiegen, seinen Namen und seine Funktion schon 1931 aus der Chronik der Dorstener NSDAP gestrichen.
Dorstener Nazis sollten die Jugend für den Nationalsozialismus begeistern
In dem Brief an die Dorstener Parteigenossen geht es um den Wahlkampf vor den zu erwartenden Wahlen. Gerhard Bodden schreibt, dass die NSDAP-Ortsgruppe Dorsten zwischenzeitlich eine Zunahme an Wählerstimmen von über 2.000 Prozent zu verzeichnet habe, wofür er sich bei den Parteigenossen für deren Einsatz bedanke. Dann appelliert er, die Jugend für den Nationalsozialismus zu begeistern: „Die Jugend bedeutet die Zukunft der Partei!“ Daher beabsichtige die Partei, so Bodden weiter, die Gründung einer „Hitler Jugendgruppe“. Sodann empfiehlt der Ortsgruppenführer die neu geschaffene Parteizeitung im Gau Westfalen, die „Westfalenwacht“, die bereits mit den zwei ersten Exemplaren in einer Auflage von 13.000 erschienen sei. Parteigenosse Albert Mewes in der Schulstraße 14 nehme die Bestellungen für 20 Pfennige das Stück entgegen. Er beendet den Brief mit „Wer rastet, der rostet! Deshalb: Auf Genossen, zu neuer Arbeit! Mit Hitlerheil! G. Bodden, Ortsgruppenführer.“
Die Schwarze Front und die Brüder Strasser
1925 trat Otto Strasser (1897 bis 1974) in die NSDAP ein und vertrat zusammen mit seinem Bruder Gregor (1892 bis 1934) in Westfalen und Rheinland nachhaltig einen sozialrevolutionären Kurs. Dies führte schließlich zu harten Auseinandersetzungen mit der Münchner Gruppe um Hitler. 1926 gründeten die Brüder Strasser den Kampfbund-Verlag GmbH. Hitler wollte diesen 1930 für 130.000 Reichsmark kaufen. Dazu kam es nicht, denn Otto Strasser brauchte den Verlag als Sprachrohr der „Schwarzen Front“, der so genannten „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten“. Im selben Jahr kam es zum Bruch mit Hitler. Am 4. Juli 1930 trat Otto Strasser aus der NSDAP aus.
Otto Strasser verfügte über Organisationstalent und hatte wesentlichen Anteil am Aufstieg der NSDAP. Auf seine Initiative hin ging 1926 die Bildung der SA in Berlin zurück. Er näherte sich – rhetorisch gesehen – der Idee der nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes, wie sie damals die KPD vertrat. In der zeitgenössischen Literatur firmierte dies unter „Nationalbolschewismus“. Mit dem Sozialismus von Karl Marx hatte er nichts gemeinsam, forderte er doch die Rückkehr zu mittelalterlichen Zuständen (Reichsständekammer, Erblehen, Zünfte, Re-Agrarisierung, Binnenwährung, Kriegsadel) und eine „germanische Demokratie“. Wie Hitler vertrat er einen brutalen Antisemitismus.
Von Juni 1931 bis zum Verbot am 4. Februar 1933 gab Gregor Strasser die Wochenzeitung „Die schwarze Front” heraus. Ihre Auflage blieb unter 10.000 Exemplaren. Statt der proletarischen Revolution proklamiert sie die „deutsche Volksrevolution“, wofür alle verfügbaren Kräfte aus der Roten Front gewonnen werden müssten. Als Reichskanzler Kurt von Schleicher Gregor Strasser im Dezember 1932 die Vizekanzlerschaft und das Amt des preußischen Ministerpräsidenten anbot, verschärfte dies die Rivalität zu Hitler noch mehr. Die Berliner Gestapo ermordete Gregor Strasser am 30. Juni 1934 (Röhm-Putsch). Sein Bruder Otto Strasser emigriert 1933 nach Österreich, Prag, Schweiz, Portugal und 1943 nach Kanada.