„Haus Dorsten“: Wandern, Theater, Spiele und gemeinsames Lernen
Von 1956 bis Ende 1994 unterhielt das Schulamt der Stadt Dorsten auf dem Wolfsberg in Nütterden bei Kleve ein angepachtetes Schullandheim. Dieses langjährige Projekt gehört zum Teil zu Dorsten Nachkriegs-Schulgeschichte. Eine Anzahl von Gebäuden mit Schlafräumen, Küche, Speiseräumen, Sporthalle und Verwaltungstrakt sowie Spiel- und ein Grillplatz fügten sich harmonisch in den sie umgebenden Wald des Plateaus ein. Fast 40 Jahre lang erlebten Dorstener Schulklassen Jahr für Jahr den Wolfsberg, der für sie mit Wandern, Lernen, Spaß und Spiel behaftet war. Sie schliefen in einem der zwei Unterkunftsgebäude mit 180 Bettenplätzen, das mit den Namen „Haus Dorsten“ gekennzeichnet war. Das andere hieß „Haus Bocholt“ Denn beide Städte schickten auf ihre Kosten ihre Schulkinder dorthin.
Bruno Larisch radelte 1951 mit 17 Schülern von Dorsten zum Wolfsberg
Während des Zweiten Weltkriegs standen dort Baracken einer Luftwaffen-Nachrichtenstation, die zerstört wurde. Nach 1945 baute man große Zelte auf, um aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrende unterernährte Männer erst einmal zu verpflegen. Die Zelte wurden durch Wellblechhütten („Nissenhütten“) ersetzt und die ersten 90 Jugendlichen des Bocholter Knabenchors konnten auf Initiative des damals noch jungen Kaplans Gerd Siebers aus Bocholt dort ihre Freizeit verbringen. Daher gilt er als der „Vater“ des Wolfsbergs, der nun von Bocholter Jugendlichen zum Erholungsort wurde. 1951 entstand als erstes festes Haus eine Kapelle und zwei Jahre später zwei eingeschossige Unterkunftsgebäude, die Namen „Bocholt“ und „Dorsten“ bekamen. Die ersten Beziehungen von Dorstenern zum „Ferienlager“ der Bocholter auf dem Wolfsberg knüpfte Studienrat Bruno Larisch vom Gymnasium Petrinum. Mit dem Fahrrad radelten 17 Petrinum-Schüler der Obersekunda im Herbst 1951 von Dorsten über Wesel und Xanten nach Kleve und erreichten nach drei Stunden den Wolfsberg. Dort waren die Schüler in Nissenhütten untergebracht, erkundeten die Umgebung des so genannten Reichswaldes sowie die holländische Grenze, entdeckten Schmuggelmöglichkeiten für Zigaretten und erlebten ein paar abenteuerliche Tage.
Stadt pachtete das Schullandheim für mehrere Jahre
Als Dorstens Schulamtsleiter Heinrich Kaupschäfer 1956 nach einem geeigneten Schullandheim in der Umgebung suchte, machte ihn Bruno Larisch auf den Wolfsberg aufmerksam. Daraufhin wurde eine städtische Schullandheim-Kommission mit Heinrich Kaupschäfer, Wilhelm Pelkmann (CDU) und Heinz Orzelski (SPD) gebildet, die im Juni 1956 den Wolfsberg besichtigten. Danach beschloss der Schulausschuss die Anmietung erst einmal für ein halbes Schuljahr. Pro Schüler und Tag wurde eine Zahlung 3,50 DM vereinbart, wozu Schüler als Eigenleistung 1 DM als Eigenleistung beitragen mussten. Die Stadt hatte zudem 15 Tonnen Kohle zu stellen, die von der Hoesch AG gespendet wurden. In jenem Halbjahr von September 1956 bis März 1957 hielten sich 956 Dorstener Schüler und Schülerinnen je 10 bis 12 Tage auf dem Wolfsberg auf. Der Schulausschuss erhöhte im Februar 1957 den Kostenansatz für das Landschulheim von 40.000 DM auf 50.000 DM. Dazu die „Dorstener Volkszeitung“ (DZ) am 26. Februar 1957: „Das Schullandheim hat sich in der kurzen Zeit seine Inanspruchnahme bestens bewährt. Die Kinder kommen immer wieder voller Freude und Anerkennung über die gute Unterbringung und Verpflegung zurück.“
Bei den Lehrern entwickelte sich eine eigene „Wolfsbergpädagogik“
In der Stadtverwaltung war ab 1957 langjährig der Leiter des Sportamtes Benno Steck für das Schullandheim Wolfsberg zuständig. 1958 wurde der Pachtvertrag mit dem Träger „Wolfsberg e. V.“ um zwei Jahre verlängert. Im Frühjahr 1960 fuhr der gesamte Stadtrat dorthin, besichtigte die Einrichtungen und hielt eine Ratssitzung ab und im Herbst des Jahres lud die Stadt Dorsten 51 Berliner Kinder mit fünf Lehrern auf den Wolfsberg ein. Die Stadt Dorsten lud danach regelmäßig Kinder der Berliner Paul-Löbe- und der Lübars-Schule jedes Jahr für 14 Tage in das Landschulheim ein. Im Juli 1963 wurde das neugestaltete „Haus Dorsten“ fertig gestellt. Die Stadt beteiligte sich daran mit einem Viertel der Gesamtkosten in Höhe von 200.000 DM. Bis dahin hatten bereits 6439 Dorstener Kinder mit über 80.000 Verpflegungstagen das Schullandheim besucht. Ab 1977 stiegen die Belegungszahlen an. Grund war die Erlaubnis des Kultusministers, dass auch Grundschulen an Jugendherbergs- und Schullandheim-Aufenthalten teilnehmen können. Die Belegzahlen von 1956 bis 1978 ergeben ohne die Berliner Kinder die beachtliche Summe von 20.699. Für Lehrer und Lehrerinnen, die mehrmals das Schullandheim besuchten und dem Projekt aufgeschlossen gegenübergestanden waren, entwickelte sich eine Art „Wolfsbergpädagogik“. Lehrer Johannes Gramse 1980: „Dazu gehört zunächst einmal das Bewusstsein, dass der Aufenthalt für einen Lehrer keine Erholung ist, sondern oft unter Anspannung aller psychischen und physischen Kräfte den Einsatz rund um die Uhr erfordert, dass die pädagogische Situation im Schullandsheim völlig anders ist als im Schulunterricht, dass das Verhalten der Kinder oft völlig verschieden ist von dem im Frontalunterricht in der Schule, dass sich hier eine einmalige Gelegenheit bietet, ein Vertrauensverhältnis zwischen ihm und den Kindern aufzubauen, dass mit Sicherheit Konfliktsituationen entstehen, für deren Lösung keine „Schulmuster“ bereitstehen, dass erziehliche Aufgaben des Elternhauses (Körperpflege, Tischsitten, Umgang mit Taschengeld) übernommen werden müssen…“.
Stufenweise Sozialisation in der Schullandheimatmosphäre
Die Tage im Schullandheim vergingen mit Wanderungen Fahrten in die Umgebung, an den Rhein, zu Kriegsgräberfriedhöfen, Werks- und Kirchenbesichtigungen, Besuche von Wildgehegen und Bauernhöfen sowie Fahrten in die Niederlande, grenznah und auch nach Amsterdam. Abends wurden Filme gezeigt, Gesellschaftsspiele veranstaltet und auch Theater gespielt und musiziert. Somit lernten die Schüler die Bedingungen des menschlichen Gemeinschaftsleben und als Individuum das Einordnen in die Gemeinschaft. „Dieser Prozess einer stufenweisen Sozialisation kann sicher in der Abgeschlossenheit der Schullandheimatmosphäre am gründlichsten vorbereitet werden“, so Johannes Gramse.
Das Jugendtreff-Areal Wolfsberg ist heute eine moderne Anlage. Sie wurde ständig vergrößert. Im Jahr 1990 wurde ein großer Kinderspielplatz eingerichtet und die älteren Häuser in den 1990er-Jahren innen wie außen modernisiert, wobei die Inschrift am Haus Dorsten mitsamt Stadtwappen erhalten blieb. Zum Jahresende 1994 hat die Stadt Dorsten den Pachtvertrag mit ihrem „Haus Dorsten“ beendet und die Bezuschussung von Schullandfahrten zum Wolfsberg bei Kleve eingestellt. Manche Schulen fuhren und fahren weiterhin zum Schullandheim. Das Schulorchester der Ursulinenschulen fährt jedes Jahr zu Probenwochenenden nach Wolfsberg, um sich intensiv auf das Schulkonzert im Sommer vorzubereiten.
Siehe auch: Schullandheim Rhade
Anmerkung: Seit 1932 fahren Schüler des Leibniz-Gymnasiums Essen in das Dorstener Schullandheim in Rhade. Quelle: Nach Johannes Gramse „Das Schullandheim der Stadt Dorsten auf dem Wolfsberg im HK 1980. – Belegungsvertrag zwischen der Stadt Dorsten und dem Wolfsberg e. V. in Kranenburg-Nütterden (Stadtarchiv Dorsten: G 2789). – Hinweise Lisa Bauckhorn, Pressstelle Stadt Dorsten, 2018.