Die Städte im Kreis ächzen unter 1,4 Milliarden Euro Kassenkrediten
Die Last der Kassenkredite, die eigentlich nur der Liquiditätssicherung dienen sollten, ist im Kreis Recklinghausen mit 1,4 Milliarden Euro nach wie vor extrem hoch. Die Städte haben jahrelang ihre Aufgaben teilweise mit geliehenem Geld finanziert, weil die Sozialausgaben zu hoch und die Einnahmen zu gering waren. Zahlreiche Kommunen in NRW, insbesondere im Ruhrgebiet, befinden sich in dieser prekären Lage. Seit Jahren hoffen die Städte auf eine Altschuldenlösung. Doch die ist aktuell nicht in Sicht. Wie Abgesandte des Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“, dem aus dem Vest die Städte Recklinghausen, Dorsten und Gladbeck sowie der Kreis Recklinghausen angeschlossen sind, im März 2022 in Berlin von der Bundesregierung erfahren hatten, würde sich der Bund mit der Hälfte der bundesweit 42 Milliarden Euro Altschulden der Kommunen grundsätzlich finanzieren – das wäre die Hälfte der Schulden. Offen blieb allerdings die Frage, ob die Länder sich bereiterklären, die andere Hälfte der Altlasten zu übernehmen. Im Düsseldorfer NRW-Landtag kam es darüber zu einem heftigen Schlagabtausch. Der CDU/FDP-Regierung wurde von der Opposition vorgeworfen, immer noch kein Konzept für Entschuldungshilfen zu haben und die Kommunen allein zu lassen.
Städtehaushalte im Kreis: Für Investitionen blieb wenig Spielraum
Die Regierung verteidigte sich gegen die Vorwürfe der Untätigkeit. 2017 hätten die Kommunen erstmals seit 2008 „in der Summe“ wieder einen schwarzen Haushalt geschrieben. Die Überschüsse – in fünf Jahren rund 8,3 Milliarden Euro – resultierten auch daraus, dass Regierung und Landtag den Kommunen auf verschiedenen Wegen mehr Geld gegeben hätten. Im Landesetat 2022 seien 34,3 Prozent aller Ausgaben für Städte und Gemeinden vorgesehen – rund 30 Milliarden Euro. Auch im Kreis Recklinghausen erzielen die Städte mittlerweile Haushaltsüberschüsse – im Jahr 2020 insgesamt 67,5 Millionen Euro. Das Geld floss zum großen Teil in die Schuldentilgung (58 Millionen Euro). Für Investitionen blieb da wenig Spielraum.
Verschuldung 403 Prozent über Bundesdurchschnitt
Die Spannbreite zwischen reichen und armen Städten in NRW ist groß. Auch im Kreis Recklinghausen gibt es immer noch eine Reihe von Kommunen – zum Beispiel Gladbeck, Oer-Erkenschwick, Herten und Castrop-Rauxel –, die Haushaltssicherungskonzepte aufstellen müssen. Eine andere Zahl verdeutlicht die Dramatik: Auf jeden Bürger im Kreis Recklinghausen entfallen, allein bezogen auf die Kassenkredite, 2288 Euro Schulden; ein Wert, der 82 Prozent über dem Landes- und 403 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegt. Während die Städte im Kreis Recklinghausen auf einen Durchbruch warten, haben andere Länder Fakten geschaffen. Wie das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ hervorhebt, hätten Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und das Saarland Altschuldenlösungen bereits umgesetzt, Rheinland-Pfalz habe sie gerade auf den Weg gebracht. Experten verstehen nicht, warum ausgerechnet NRW, das Land mit der höchsten Dichte an Schuldenstädten, nicht selbst die Initiative ergreift.
Verzweiflung in den Städten: Bundespräsident soll es richten
Die Verzweiflung der finanzschwachen Kommunen wächst. Weil alle Appelle an die Bundesregierung und den Bundestag nicht gefruchtet haben, hat das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ jetzt einen Hilferuf an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gesandt. „Es fehlt an allen Ecken Geld, uns quälen hohe Altschulden, wir können kaum noch unsere pflichtigen Aufgaben finanzieren und trotz Ankündigung kommt die zugesagte Hilfe nicht“, heißt es in dem Brief des Bündnisses, dem auch die Städte Recklinghausen, Castrop-Rauxel, Dorsten, Gladbeck und der Kreis Recklinghausen angehören. Die Kommunen im Vest stecken mittendrin im Schlamassel. Sie tragen nicht nur die Last von 1,2 Milliarden Euro Schulden allein bei den Kassenkrediten, dem kommunalen Dispo. Sie gehen zudem auch mit Haushaltsdefiziten von 250 Millionen Euro in das Jahr 2024. Alle Spielräume, die in den beschwerlichen Jahren des NRW-Stärkungspaktes Stadtfinanzen mit harten Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen geschaffen worden sind, sind wieder dahin.
Preissteigerungen und Tarifabschlüsse
Preissteigerungen, Zinserhöhungen und Tarifabschlüsse machten mühsam errungene Erfolge zunichte, heißt es in dem Brief des Aktionsbündnisses an Steinmeier. „Der soziale Friede und die demokratischen Grundwerte in unseren Städten bewegen sich auf sehr dünnem Eis.“ Wie können Bund und Land helfen? Indem sie sich zum Beispiel an den Kosten der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen beteiligen. Das hat jüngst auch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in einer Resolution gefordert. Der Haushaltsentwurf des LWL für 2024 sieht Aufwendungen von rund 4,4 Milliarden Euro vor. Auf die Eingliederungshilfe für Kinder und Erwachsene entfallen dabei allein 3,33 Milliarden Euro – 75 Prozent des Gesamthaushalts! Und die Kosten, da sind sich alle Experten einig, werden steigen. Finanziert wird dieser Betrag von den Mitgliedskommunen in Westfalen-Lippe; also auch vom Kreis Recklinghausen und seinen Städten. Allein 2024 soll der Kreis 231,9 Millionen Euro Umlage nach Münster überweisen. Für 2027 sieht die LWL-Finanzplanung bereits eine Summe von 274,2 Millionen Euro vor. Um die kreisangehörigen Städte damit nicht in voller Höhe zu belasten, greift der Kreis tief in seine Rücklagen. Von 2020 bis 2027 summiert sich diese Hilfe auf 275 Millionen Euro. Die Reserven des Kreises werden 2027 fast komplett aufgezehrt sein.
Landrat Bodo Klimpel (CDU) zeigte sich am 12. September 2023 in seiner Haushaltsrede vor dem Kreistag „völlig fassungslos“, dass weder Bundes- noch Landesregierung ihr Versprechen eingelöst hätten, die Kommunen dauerhaft zu entlasten. Stattdessen würden die Städte mit immer neuen Standards und Anforderungen belastet. Mittlerweile hat das Land NRW sein angekündigtes Programm zum Abbau von kommunalen Altschulden auf das Haushaltsjahr 2025 verschoben.
An dem Vorhaben, die Kommunen das Programm faktisch selbst finanzieren zu lassen und keine eigenen Landesmittel zur Verfügung zu stellen, hatte es scharfe Kritik gegeben. Jetzt will die Landesregierung zunächst mit dem Bund über eine Beteiligung an der Altschuldenlösung verhandeln. Am Rande des CDU-Kreisparteitags am 22. September 2023 in Oer-Erkenschwick sagte Josef Hovenjürgen (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im NRW-Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung, Kommunalministerin Ina Scharrenbach und der Finanzminister seien „dabei, Lösungen zu finden, die den Kommunen helfen“. Zu Details wollte sich Hovenjürgen nicht äußern.
Hilfe vom Bund – Schuldenübernahme nur mit Grundgesetz-Reform
Die Übernahme kommunaler Altschulden durch den Bund ist einem Gutachten zufolge nicht ohne Änderungen des Grundgesetzes möglich. Da die finanzielle Entlastung der Kommunen derzeit Länderaufgabe sei, müsste der Bund ausdrücklich zu einer Schuldenübernahme ermächtigt werden, heißt es in der Studie des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags im Auftrag der FDP-Fraktion 2024. Damit wird eine Lösung der Schuldenproblematik in dieser Legislaturperiode unwahrscheinlich. Eigentlich hatten sich SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag 2021 vorgenommen, „bei der Lösung der Altschuldenproblematik zu helfen“. Denn viele Städte und Gemeinden – vor allem in NRW, im Saarland und in Rheinland-Pfalz – haben so hohe Kassenkredite, dass wichtige Investitionen ausbleiben. Laut eines Vorschlags des Finanzministeriums sollen Bund und Länder gemeinsam jeweils die Hälfte der übermäßigen Liquiditätskredite der Kommunen übernehmen. Zugleich sollen die Kommunen verpflichtet werden, eine neue Überschuldung zu vermeiden. Dafür müsste das Grundgesetz geändert werden – wofür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat nötig ist. Die Union und mehrere Länder lehnen eine Reform bisher ab (dpa).
NRW hat höhere Schulden –
Kommunen anderer Bundesländer haben niedrigere Schuldenstände
Die Verschuldung der Kommunen in Nordrhein-Westfalen ist einer Studie zufolge in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als in anderen Bundesländern. Seit 2010 habe der Schuldenstand der Städte und Gemeinden in NRW um 16,4 Prozent zugenommen, berichtet die „Rheinische Post“ aus einer unveröffentlichten Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft. In den anderen Ländern sei die Verschuldung der Kommunen um 12,5 Prozent gestiegen. Der Schuldenstand pro Einwohner in NRW liege mit 2863 Euro höher als in den meisten anderen Bundesländern. Rheinland-Pfalz und Hessen wiesen ein ähnliches Niveau auf. Die NRW-Landesregierung will überschuldete Kommunen entlasten und ab Mitte 2024 die Hälfte der kommunalen Altschulden übernehmen. Für die andere Hälfte fordert die Landesregierung Hilfe vom Bund (dpa).
Quelle: Michael Wallkötter in DZ vom 19. April 2022. – Michael Walkötter in DZ vom 13.Okt. 2023
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