Dorstener verschwand auf Nimmerwiedersehen im Urwald
Geboren 1946 in Dorsten; verlorener Sohn. – Die Wirren der letzten Kriegswochen schwemmten seine Eltern – der Vater war durch eine Kriegsverletzung kriegsuntauglich – und seine ältere Schwester Inga nach Dorsten, wo er geboren wurde. Er besuchte die Agathaschule, spielte Fußball, war bei den Pfadfindern und ging nach Beendigung der Schulzeit als Lehrling zur Veba-Öl in Buer-Scholven. Er war gerade 18 Jahre alt, als er seine Lehrzeit als Mess- und Regeltechniker abgeschlossen hatte. Er sollte sich zum Ingenieur weiterbilden lassen und hatte bereits einen Ausbildungsplatz in Gelsenkirchen. Er stieg in den Zug, um vor Antritt in der Ingenieursschule verdiente Ferien bei seinem Onkel Friedemann Dräcker in Bonn zu machen. Doch er fuhr nicht nach Bonn, sondern nach Hamburg, wo sich seine Spur für lange Zeit verlor.
Seine Eltern, die ihn am 1. April 1964 das letzte Mal gesehen hatten, weil sie ihn zum Bahnhof brachten und ihm mit dem Taschentuch nachwinkten, erfuhren erst etliche Tage später, dass ihr Sohn bei Onkel und Tante nicht angekommen war, denn ein Telefon hatten weder die Eltern noch der Onkel. Als bekannt wurde, dass ihr Sohn verschwunden war, gaben sie eine Vermisstenanzeige bei der Polizei auf, die allerdings nicht dazu führte, ihn zu finden. Monatelang grämten sich die Eltern über das nicht erklärbare Verschwinden des Sohnes. Angst wurde immer wieder von Hoffnungen abgelöst. Allerdings stellten die Eltern fest, dass Meinolf sein gesamtes Erspartes mitgenommen hatte und auch der Reisepass, den er sich ausstellen ließ, mit ihm verschwunden war. Das machte ihnen Hoffnung, die sie nicht trügen sollte. Denn sechs Monate später brachte der Postbote das erste Lebenszeichen von ihm ins Haus, abgestempelt in Panama. Großes Aufatmen in der Familie; die Polizei stellte die Suche nach ihm ein.
Muscheln um den Hals und Federn auf dem Kopf
Über den weiteren Lebensweg geben die wenigen Postkarten Auskunft, die Meinolf Schmidt hin und wieder schrieb. Weder eine Botschaft noch ein Konsulat noch das Rote Kreuz oder irgendeine Schifffahrtsorganisation konnten den Eltern sagen, wo und wie sich ihr Sohn herumtrieb. Viermal schickte er ihnen ein Foto. Das eine zeigte ihn als Matrosen an der Reling eines Schiffes, das andere auf einer Insel in der Südsee: Meinolf Schmidt saß halbnackt mit Muschelketten um den Hals und einem Federbusch auf dem Kopf inmitten halbnackter Insulaner, Frauen und Männer. Man kennt solche Szenen aus dem Film „Die Bounty war ihr Schicksal“. Das dritte Foto zeigte ihn mit anderen inmitten des Urwalds von Malaisia mit einem Blasrohr in den Händen und auf dem vierten Foto ist er – vermutlich in Kambodscha – mit zwei Ostasiatinnen zu sehen.
Bislang ohne Happyend
Am aufschlussreichsten war die Unterschrift auf der Karte aus der Südsee. Er schrieb nämlich: „Hier bin ich ein König. Jetzt habe ich geheiratet!“ Die Karte war drei Monate lang unterwegs und kam 1978 bei den Eltern an, die kurz danach nach Kassel verzogen waren. Dann kamen keine Nachrichten mehr. Die Eltern hofften Zeit ihres Lebens auf ein Wiedersehen mit dem Sohn. Das Motiv „Der verlorene Sohn“, das in der Bibel sowie bei dem Holsterhausener Anton Duve (siehe dort) ein Happyend hatte, hatte in der Familie Schmidt keines. Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Zuerst starb der Onkel, dann der Vater, darauf die Mutter. Und ob der Sohn noch lebt, das wissen die Götter im Busch irgendeiner Südseeinsel.
Anmerkung: Die Lexikon-Redaktion hat bereits die Recherche dieses seltenen Falls von Verschwinden aufgenommen und wird entlang der bekannten Lebenslinie Meinolf Schmidts Nachforschungen anstellen und die Leser des Lexikons von Zeit zu Zeit informieren.
Quelle:
Hinterlassenschaft des Onkels Friedemann Dräcker, Archiv Auswärtiges Amt, AA Ger.Verm. Pers.035/009.SchD.64b.