Römerlager

Durch Münzfund in Holsterhausen auf riesiges Marschlager gestoßen

Römisches Marschlager, Foto: JF

Von Wolf Stegemann – 1952 wurde in Holsterhausen ein römisches Marschlager aus den Jahren 2 v. bis 11 n. Chr. entdeckt. Es befand sich etwa zwischen dem heutigen Schulzentrum an der Pliesterbecker Straße und dem alten Ortskern Holsterhausen. Die Nordfront in einer Länge von 890 m verläuft durch die heutigen Straßen Krusenpad, Bernhard- und Akazienstraße, die Westfront etwa bei der Wennemarstraße, die Ostfront nahe der Juliusstraße und dem Knappenweg. Das ergab eine Lagerbreite von 650 m. In der Mitte der Lagerseiten öffneten sich Tore von 9 bis 13 m Breite. Das Lager war mit einem 4 m breiten und 2,5 m tiefen Graben umgeben. Im Lagerinneren befanden sich Kochgruben und heruntergebrannte Erdhütten, aber keine Spuren einer dauerhaften Bebauung. Auch der Lagerwall hatte keine hölzernen Befestigungen. Der natürliche Schutz war durch die Lage zwischen dem Holsterhausener Bruch und der Hammbach-Lippe-Niederung gegeben. Für Historiker und Archäologen war mit 57 ha die Größe des Lagers überraschend. Die Südfront konnte wegen der Eisenbahnlinie und dichter Wohnbebauung nicht ausgegraben werden.

Umrisse des Römerlagers in Holsterhausen

Umrisse des Römerlagers unter Dorsten-Holsterhausen

Drusus schlug eine Brücke und überquerte mit seinen Soldaten die Lippe

Es ist das erste Lager von einigen (z. B. Oberaden, Haltern), das Drusus im Frühsommer 11 v. Chr. zu Beginn des Sugambrerkriegs anlegte und hier die Lippe überquerte. Der römische Historiker Cassius Dio berichtete 11. v. Chr. über den Krieg des Feldherrn Drusus gegen die Germanen, die Usipeter und Tenkterer am rechten Niederrhein und den Beginn des Feldzugs gegen die südlich der Lippe wohnenden Sugambrer: „Er schlug eine Brücke über die Lippe.“ Auf ihrer Marschlinie Xanten-Wesel-Haltern durchzogen die Römer ständig heutiges Holsterhausener Gebiet, ruhten sich in dem hier erbauten Marschlager aus, um am andern Tag  weiter zu ziehen. Bereits 1930 wurde auf dem Acker des Landwirts Kruse eine römische Goldmünze aus der Zeit Kaiser Augustus (31 v. bis 14 n. Chr.) gefunden, die in der gallischen Münzstätte Lugdunium (Lyon) geprägt war. Durch die Umschrift IMP (eratori) XII ist das Jahr 11 bis 9 v. Chr. festzustellen, also zur Anfangszeit der römischen Besetzung des Lippetals. Die Umschrift der Vorderseite heißt: CAES (ar) AVG (ustus) DIVI F (ilius). Zu sehen ist die Statue des Apollo.

Vermutung wurde 1999 zur Gewissheit

Münze mit dem Varus-Kopf

Münze mit dem Varus-Kopf

Prof. Dr. Aschemeyer vermutete schon lange, dass auf dem Gelände des damaligen Landeserziehungsheims Kreskenhof, etwa 1,5 km vom Marschlager entfernt, ein zweites Römerlager zu finden sei. 1999 wurde die Vermutung Gewissheit, als das Gelände für eine neue Wohnsiedlung ausgehoben wurde. Auf zehn Hektar Fläche wurden die Strukturen einer römischen Siedlung sichtbar. Bereits 1964 hatte man dort Tonscherben gefunden. Nach Dokumentierung der Ausgrabung konnten die Baumaßnahmen für die Wohnsiedlung 2002 fortgesetzt werden. Zwischen 1999 und 2002 untersuchten Archäologen aus Münster das Areal Kreskenhof. Auf einer Fläche von 120.000 Quadratmetern waren manchmal bis zu 50 Mitarbeiter tätig. Sie förderten Spuren von sechs römischen Marschlagern zutage, einen Münzschatz und jede Menge Kleinzeug, das Legionäre vor 2000 Jahren im Holsterhausener Morast hinterlassen haben.

Bislang sind in Holsterhausen fünf Marschlager nachgewiesen

Römisches Würfelspiel

Römisches Würfelspiel

Die (Be-)Funde aus Holsterhausen reichen über mehrere Epochen: Entdeckt wurden Feuersteinklingen aus der Vorgeschichte, 8.000 bis 10.000 Jahre alt. Eine 2.500 Jahre alte Wassergrube, vielleicht eine Viehtränke. Spuren der frühesten Höfe in Holsterhausen aus den Jahren 600 bis 900 nach Christus, gefüllte Abfallgruben. Ihr Augenmerk konzentrierten die Forscher auf die Römer, die um die Zeit der Drusus-Feldzüge (12 v. Chr.) durch das heutige Holsterhausener Gebiet marschierten und hier lagerten. Durch Bodenverfärbungen konnten die Forscher Wallgräben um fünf Marschlager nachweisen. Von einem sechsten wurden zwar Reste eines Backofens, nicht aber die Außenrisse gefunden. Die Lagerplätze hatten um die zwanzig Hektar Innenmaß und boten bis zu 10.000 Legionären Platz.

2001 das Gesparte eines römischen Legionärs gefunden

Römische Münzen

Römische Münzen

Die Lager waren aber nicht auf Dauer konzipiert. Die Archäologen interpretieren den Kreskenhof heute als Manöverplatz für Legionäre, die in Xanten stationiert waren. Die Soldaten mussten auch ernährt werden. Reste von 280 Einweg-Backöfen aus Lehm wiesen die Ausgräber nach. Darin buken die Legionäre simplen Zwieback, der vor dem Verzehr eingeweicht werden musste. Neben Kleinzeug für den täglichen Bedarf machten die Ausgräber in einem freigelegten Lagergraben 2001 auch einen spektakulären Fund: Einen Münzschatz, der zwei Brutto-Monatslöhne eines römischen Soldaten enthielt. Der Fund bestand aus 36 römischen Silberdenaren aus der Zeit von 19 bis 2 v. Chr. Die Vermutung liegt nahe, dass ein römischer Legionär seinen gesparten Sold dort versteckte und ihn aus irgendeinem Grund nicht mehr abholen konnte. Im Gegensatz zu dem stark beschädigten Behältnis, waren die Münzen im besten Zustand. Eine zweite Grabung 2005/06 auf einem 25.000 Quadratmeter großen Anschlussfeld wurde von der Universität Bochum ausgewertet. Auf einer dritten Erweiterungsfläche des Neubaugebiets („Im kleinen Aap”, 8.000 qm) wurden in den folgenden Jahren weitere historische Relikte ausgegraben und gesichert.  Acht Jahre nach Abschluss der Grabungen lagen 2010 die gewonnenen Erkenntnisse als LWL-Buch „Augustinische Marschlager und Siedlungen des 1. bis 9. Jahrhunderts in Holsterhausen“ vor. Es ist der 47. Band der Reihe „Bodenaltertümer Westfalens” (über 500 Seiten, 80 Bildtafeln von Fundstücken, 875 Fußnoten, Sonderkapiteln zu den ausgegrabenen Keramiken und Münzen).

Römische Legionäre mit Optio, Signifer, Centurio und Torsionsgeschütz, Foto: JF

Arminius gegen Germanicus an der Lippebrücke – Ein literarisches, aber historisch falsches Dokument von 1690

Einen Kampf des Germanenfürsten Arminius (Hermann) gegen den Römer Germanicus verlegte ein Autor aus dem 17. Jahrhundert nach Dorsten, wo ein Kampf um die Lippebrücke (sic!) entbrannt sein sollte. Johann Caspar von Lohenstein beschrieb mit den Kenntnissen und der Sicht des 17. Jahrhunderts den Kampf des Cheruskers Arminius gegen die Römer in seinem Werk „Großmüthiger Feldherr Arminus/Zweyter Theil/Erstes Buch (sehr kommentierungswürdig), erschienen 1690 in Leipzig:

„Germanicus welcher von des Feldherrn Ankunfft ebenfals Wind kriegt
hatte sich dieses Streiches wol versehen
und daher seinen Weg auf Einrathen der in selbiger Gegend wolbekandten Tencterer
gerade gegen der Lippe auf ein von den Marsen verlassenes Dorff Dorsten eingerichtet
welches an einem zu geschwinder Befestigung beqvemen Orte gelegen
und vorher schon von Marsen mit Schlag-Bäumen
und einer Brücke über die Lippe versehen war; also daß der Feldherr
welcher aus Irrthum zu weit auf die rechte Hand abkommen war
it seiner Reiterey mehr nicht ausrichten konte
als daß er etliche hundert Gallier
welche gegen den im Rücken habenden Feinde den Nachdrab führen musten
theils in Stücken hauete
theils gefangen nahm. Germanicus ließ sein gantzes Heer
ohne Verschonung der alten und sonst hiervon freyen Kriegs-Leute
den gantzen übrigen Tag und folgende Nacht an Verschantzung selbigen Dorffes
und an noch zwey Brücken über den Fluß
arbeiten; Und als der Feldherr ihr Heer gegen ihm in Schlacht-Ordnung stellte
und ihn zum Gefechte ausforderten /ihnen zu entbieten …“ […]
„Dahero verlangte er: daß der Feldherr diesen gewaltsamen Uberfall an den Römern rächen
und ihm die Erstattung des unverwindlichen Schadens zuwege bringen solte. Hertzog Herrmann und Ingviomer billigten zwar die Gerechtigkeit seines Gesuches
und versprachen ihm so viel Hülffe
als die Mögligkeit zulassen würde;
zu welchem Ende sie ober- und unterhalb des Dorffes Dorsten
ine Brücke zu bauen anfiengen. Germanicus sahe wol
wenn sein Feind mit einem Theile übersätzte
und den Cäsischen Wald aufs neue verhiebe und besätzte
mit der grösten Macht aber auf der Nordseite der Lippe stehen bliebe
daß er entweder in seinem Lager wegẽ gesperrter Zufuhre erhungern
oder an ein oder anderm Orte einen gefährlichen Streich würde wagen müssen…“


Siehe auch:
Römer (Artikelübersicht)


Quellen:
Dr. Franz Schuknecht „Vor 2000 Jahren – Die Römer an der Lippe“ in HK 1989.

Literatur:
Rudolf Pörtner „Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit“, Düsseldorf/Wien 1959. – Ludger Böhne in WAZ vom 30. Januar 2010.

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