Agentur Recklinghausen erhält viele Schreiben aus der Reichsbürger-Szene
Behördenchef Frank Benölken berichtete darüber in er Dorstener Zeitung. – In Stuttgart hat der Prozess gegen den militärischen Arm einer Reichsbürger-Gruppe um Prinz Reuß begonnen. Die Organisation plante einen Staatsstreich. Auch in Recklinghausen und im Vest treten Reichsbürger zunehmend in Erscheinung. In der Recklinghäuser Agentur für Arbeit gehen wöchentlich Schreiben von Kunden ein, die der Szene zuzurechnen sind. Tendenz steigend. 46 Briefe von Reichsbürgern hat Arbeitsagenturchef Frank Benölken 2023 auf seinen Schreibtisch bekommen. Deutlich mehr als noch im Jahr zuvor, wie er sagt. Die meisten Briefe sind an Benölken persönlich adressiert. „Das war anfangs schon ein mulmiges Gefühl, in einem solchen Schreiben seinen Namen zu lesen“, räumt der Leiter gegenüber der Lokalzeitung ein. Er spricht auch von „schlaflosen Nächten“, die er gehabt habe. Dabei seien die Schreiben der Staatsleugner auf den ersten Blick vor allem eines: verwirrend. „Man versteht gar nicht, was die genau wollen“, sagt Benölken. Immer handele es sich um Reaktionen auf Schreiben aus dem Inkasso-Service unter dem Dach der Recklinghäuser Agentur für Arbeit. Darin geht es um Rückforderungen von zu viel gezahlten Leistungen. Am Standort an der Görresstraße in Recklinghausen ist eines von bundesweit fünf Inkassozentren der Bundesagentur für Arbeit angesiedelt. 300 Mitarbeiter nehmen telefonisch oder per Brief Kontakt zu säumigen Zahlern in weiten Teilen des Bundesgebietes auf.
Frank Benölken erhielt seinen ersten Reichsbürgerbrief 2017
Von einem Mann aus Sachsen forderte der Inkasso-Service im Vorjahr 128,50 Euro, inklusive Mahngebühren. Der Leipziger antwortete mit einer 30-seitigen Litanei aus zum Teil zusammenhanglosen Abschnitten und einem von ihm selbst aufgestellten Bußgeldkatalog, mit dem er die Behörde konfrontierte. Für „Vollstreckungen aufgrund nicht staatlich ordnungsgemäß zustande gekommener Gesetze“ fordert der Reichsbürger vom Behördenleiter pauschal eine Million Euro. Wobei er anmerkt: „Zahlungen können auch in Gold/Silbermünzen gefordert werden.“ Den Bundesländern billigt der Schreiber einen „rechtlosen, privaten Status“ zu, die Behörden der Bundesrepublik sind für ihn „kriminelle Organisationen“. Nicht selten gingen die kruden Forderungen dieser Klientel in die Millionen, so Frank Benölken.
Man könnte Teile des Schreibens für eine Satire auf das Beamtendeutsch halten oder für eine Schwurbelei aus einer Bierlaune heraus. Doch gerade am Anfang war den Mitarbeitern der Agentur für Arbeit an der Görresstraße gar nicht zu Scherzen zumute. Frank Benölken erhielt seinen ersten Reichsbürgerbrief 2017. Er sagt: „Wir wussten nicht, ob diese Leute hier eines Tages direkt vor dem Schreibtisch stehen – und was sie dann tun.“ Heute wisse man in der Behörde, dass sich die Autoren nicht vor Ort blicken lassen. Im Kontakt vor Ort in der Behörde sei noch kein Kunde als Reichsbürger in Erscheinung getreten. Jeden Brief aus der Reichsbürgerszene leitet Behördenchef Benölken an den Verfassungsschutz weiter. In seltenen Fällen erstattet die Arbeitsagentur Strafanzeige, etwa wegen Nötigung. Das sei 2023 „zwei- oder dreimal“ der Fall gewesen. Die Behörde bestätigt in einem Rückschreiben den Empfang der Briefsendung.
Briefe per Einschreiben: „Sie wollen verwirren und einschüchtern“
„Dazu schreiben wir, dass wir weiter nicht darauf reagieren werden.“ Nur selten kämen dann weitere Erwiderungen der renitenten Kundschaft in der Agentur für Arbeit an. Alle Reichsbürger-Schreiben hätten mehrere Gemeinsamkeiten: Sie treffen nie per Mail, sondern immer in Papierform und per Einschreiben ein. Sie nehmen Bezug auf das 1871 gegründete deutsche Kaiserreich, manche aber auch auf den Staat Israel, den US-Bundesstaat Pennsylvania oder andere staatliche Gebilde. Für Frank Benölken liegt die Absicht der Autoren auf der Hand: „Sie wollen verwirren und einschüchtern.“ Möglicherweise kursieren in der Reichsbürger-Szene Schriftsätze zum Kopieren und Herunterladen, mit denen deutsche Behörden systematisch bombardiert werden sollen. – Arbeitsagentur-Sprecherin Cordula Cebulla hat eines jedoch noch nicht erlebt: „Es gab noch nie den Fall, dass ein Leistungsbezieher Arbeitslosen- oder Kindergeld zurückgeschickt hat, weil er oder sie den Staat nicht akzeptiert, der das Geld ausgezahlt hat.“
Siehe auch: Reichsbürger u.a. (Essay)
Quelle: Alexander Spieß in DZ vom 4. Mai 2024