Rechtswesen II (Essay)

Sechs verschiedene Gerichtsbarkeiten urteilten in der Stadt Dorsten

Von Wolf Stegemann – Eine eigene Gerichtsbarkeit, das wertvollste Recht einer jeden Stadt, hatte Dorsten seit der Stadterhebung 1251. Die Gerichtsbarkeit wurde zum Teil von einem erzbischöflichen Richter und zum Teil durch den Stadtrat ausgeübt. Der Richter war insbesondere für die Strafrechtspflege zuständig. Die Gerichtsprozesse zeichneten sich durch umständliche Verfahren aus. Bei Streitigkeiten der Einwohner untereinander war es bei Verlust der Bürgerrechte und einer Buße von 5 Mark verboten, bei einem auswärtigen Gericht Recht zu suchen. Solche Zivilstreitigkeiten mussten zuerst vor dem Stadtgericht ausgetragen werden. Erst dann durfte das erzbischöflich-landesherrliche Gericht angerufen werden.

Richtplatz, Holzschnitt ... Jahrhundert

Richtplatz, Holzschnitt 16. Jahrhundert

Der Scharfrichter gehörte zur Gerichtsbarkeit

Der Salentinische Rezess von 1577 enthielt Gedankengut des römischen Rechts und betonte die landesherrliche Gewalt. Der Rezess trug dazu bei, die in Unordnung geratene Rechtspflege im Vest zu verbessern. Dazu wurden auch Teile der Dorstener Rechtspflege aus dem „liber statutorum oppidi Dursten“ übernommen. Beim Inkrafttreten des Salentinischen Rezesses gab es in Dorsten sechs verschiedene Gerichtsbarkeiten. Das Hohe Gericht als altes landesherrliches Gericht mit Zuständigkeit für Zivil- und Kriminalsachen im gesamten Niedervest (Dorsten, Kirchhellen, Bottrop, Osterfeld, Buer, Gladbeck, Horst, Polsum). Es war verfassungsgemäß besetzt mit einem Richter, zwei Assessoren, einem Gerichtsschreiber, einem advocatus fisci, einem procurator fiscalis und mehreren Gerichtsboten, den so genannten Exekutoren. Außerdem wirkten noch mehrere Prokuratoren und advocati legales sowie ein Scharfrichter mit.

Stadt- und Landgericht in Dorsten zur Zeit Napoleons

Gerichtsverhandlung, Zeichnung .... Jahrhundert

Gerichtsverhandlung, 15. Jh.

Weiterhin bestand das Stadtgericht und das ursprünglich geistliche Offizialgericht, das Gericht des Vestischen Statthalters, die Hofesgerichte der weltlichen und geistlichen Grundherren sowie die Freigrafschaftsgerichte (die so genannten Femgerichte). Nach Einführung des Code Civil (Code Napoleon) im Jahre 1808 wurde die Gerichtsverfassung geändert. Die im Vest noch bestehenden bürgerlichen Gerichte wurden aufgehoben und an deren Stelle trat ein Friedensgericht in Dorsten. Auf Grund des Dekretes Napoleons von 1811 wurde das Friedensgericht in Dorsten dem Hofratskasterium in Düsseldorf und dem dortigen Oberappellationsgericht unterstellt. Das Friedensgericht wurde in preußischer Zeit durch ein Land- und Stadtgericht mit drei Richtern ersetzt. Zu seinem Bezirk gehörten Dorsten, Kirchhellen, Bottrop, Osterfeld, Buer, Westerholt, Gladbeck, Horst, Polsum und das Amt Marl sowie später die Herrlichkeit Lembeck, Hervest, Wulfen, Erle, Rhade, Holsterhausen und Altschermbeck.

Vom Kreisgericht in Dorsten zum Amtsgericht

1849 wurde für den Bereich der Land- und Stadtgerichte Dorsten, Recklinghausen, Lüdinghausen ein Kreisgericht errichtet, das seinen provisorischen Sitz in Recklinghausen hatte. Dorsten bekam eine Gerichtsdeputation mit fünf Richtern. Aber bereits 1851 wurde das Kreisgericht von Recklinghausen nach Dorsten verlegt. Es war mit einem Direktor, sechs Kreisrichtern und einem Staatsanwalt besetzt. 1879 wurde aus diesem Gericht ein kgl.-preußisches Amtsgericht für den Bereich Dorsten und die Landgemeinden Altendorf-Ulfkotte, Altschermbeck, Erle, Hervest, Holsterhausen, Kirchhellen, Lembeck, Marl, Polsum, Rhade und Wulfen mit insgesamt 12.000 Gerichtseingesessenen. Das Amtsgericht war zunächst mit zwei Richtern besetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Marl ein weiteres Amtsgericht errichtet, dem aus dem Dorstener Gerichtsbezirk die Gemeinden Altendorf-Ulfkotte und Polsum zugeordnet wurden.

Gerichtsgebäude an der Lippestraße und ab 1929 am Alten Postweg

Amtsgericht am Postweg

Amtsgericht am Alten Postweg 1929 errichtet

Die Notwendigkeit, der Justiz ein angemessenes Gebäude zuzuweisen, tat sich schon um 1820 auf. Der Justizfiskus kaufte 1827 das Zumbusch’sche Haus auf der Lippestraße für 3.000 Taler, 18 Jahre später wurde das Nachbarhaus für 800 Taler dazu erworben und mit dem Gerichtsgebäude, das 1830 eingeweiht wurde, durch Umbauten verbunden. Mit der Industrialisierung nahmen die Geschäfte des Gerichts derart zu, dass 1912 weitere Räume im Haus Schlickum am Ostwall angemietet werden mussten, um die Zivilsachenprozesse  unterzubringen. 1920 wurden diese Räume wieder aufgegeben und eine größere Zweigstelle im Hesselmannschen Haus am Markt/Ecke Wiesenstraße eingerichtet (heute C&A). 1929 eröffnete das jetzige Amtsgericht am Alten Postweg seinen Betrieb. Im alten Gebäude an der Lippestraße richtete die NSDAP ihre Parteizentrale, das „Braune Haus“, ein (bis zur Zerstörung durch Bomben 1945). Das Amtsgericht am Alten Postweg wurde 1945 durch Bomben erheblich beschädigt und 1947/48 im alten Stil wieder aufgebaut; es steht heute unter Denkmalschutz. Bis zur Strafrechtsreform 1969 waren im ersten Stockwerk und im Dachgeschoss Zellen für 60 Gefangene untergebracht, denn das Gefängnis am Ostwall war bei der Bombardierung total zerstört worden. In Münster befand sich die „Besserungs- und Arbeitsanstalt“, besser als Zuchthaus bekannt. – Überregionales Aufsehen haben zwei Todesurteile hervorgerufen: 1699 wurde der Dorstener Kötter Franz Wahrmann wegen Menschenfresserei vom Hohen Gericht in Dorsten zum Tode verurteilt und 1907 der Dorstener Arbeiter Anton Muckel wegen Mordes an der Schülerin Wilhelmine Bleckmann aus Hervest-Wenge vom Essener Schwurgericht zum Tode durch das Beil verurteilt und hingerichtet.

Gerichtsbezirk des Landgerichts Essen mit den Amtsgerichtsbereichen

Landgerichtsbezirk Essen (Justiz-Website)

Landgerichtsbezirk Essen

Im Januar 2014 ging nach 36 Jahren die Strafrichterin am Amtgericht Dorsten, Regine Heinz, in den Ruhestand. Als sie 1978 nach Dorsten kam, war sie die einzige Frau in der schwarzen Richterrobe. Als sie 1977 Richterin in Essen wurde, war sie erst 26 Jahre alt. Im Jahr darauf ließ sie sich nach Dorsten versetzen. Heute gibt es am Dorstener Amtsgericht  sechs Richterinnen und zwei Richter. Insgesamt arbeiten im Amtsgericht 56 Personen, darunter die acht Richter/innen, elf Rechtspfleger, 26 Mitarbeiter im mittleren und im Angestelltendienst, fünf Gerichtsvollzieher und fünf Wachtmeister. Das Amtsgericht Dorsten gehört zum Bezirk des Landgerichts Essen im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm. Zum Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Dorsten gehört das Gebiet der Stadt Dorsten. In Landwirtschaftssachen ist das Amtsgericht Dorsten neben dem eigenen Bezirk auch für die benachbarten Amtsgerichtsbezirke Bottrop, Gelsenkirchen, Gelsenkirchen-Buer, Gladbeck und Marl zuständig. Für gerichtliche Mahnverfahren in NRW sind die Amtsgerichte Hagen und Euskirchen zuständig, für Insolvenzsachen und Partnerschaftsregistersachen das Amtsgericht Essen, das Handelsregister, Genossenschaftsregister und das Vereinsregister werden vom Amtsgericht Gelsenkirchen verwaltet.

Heutiges Kirchengericht

Es gibt noch das kirchliche Gerichtswesen, auch wenn die Kirchengerichte heute auf Innerkirchliches beschränkt sind. Diese Gerichte heißen heute Bischöfliche Offizialate, der Gerichtspräsident heiß Offizial oder Gerichtsvikar und ist der Vertreter des Bischofs als Gerichtsherr. Für die Dorstener Katholiken zuständig ist das „Bischöfliche Offizialat Münster“. Unter Leitung des Offizials Kurt Schulte beschäftigt es 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und befasst sich größtenteils mit Ehenichtigkeitsverfahren im Sinne der katholischen Kirche. Die Unauflöslichkeit der Ehe wird von diesem Gericht dann aufgelöst, wenn ein Ehepartner bekundet, dass die Ehe nicht unauflösbar ist, er keine Kinder haben möchte oder die Ehe auf Druck der Eltern zustande gekommen. war. Die Schuldfrage am Scheitern einer Ehe wird dabei nicht geprüft.

Das Kirchengericht betritt den Sitzungssaal (hier Kassel)

Kirchengericht betritt den Sitzungssaal (Kassel)

Wie in einem ordentlichen Gerichtsverfahren wird bei erstinstanzlicher Feststellung der Eheungültigkeit ein Berufungsgericht um Überprüfung eingeschaltet. Erst dann sind die Ehepartner frei für eine neue kirchlich anerkannte Ehe. Bei Ehenichtigkeitsverfahren bestellt der Offizial einen Gerichtshof von drei Richtern, von denen einer Laie sein kann. Darüber hinaus wirkt in jedem Verfahren ein „Ehebandverteidiger“ mit, der alles vorzubringen hat, was für die Gültigkeit der Ehe spricht. Die Parteien können sich Anwälte nehmen, die die nötigen Kenntnisse des Ehe- und Prozessrechts nachweisen und beim kirchlichen Gericht zugelassen sein müssen.
Die Haupttätigkeit des Offizialats ist die Rechtsprechung in diesen Ehesachen. Das Offizialat fällt jährlich in rund 250 Ehenichtigkeitssachen Entscheidungen, etwa 100 in erster Instanz. Mehr als zwei Drittel der zu Gericht stehenden Ehen werden als ungültig erklärt. Das Bischöfliche Gericht in Münster ist als kirchliches Gericht darüber hinaus auch zuständig für alle kirchlichen Streit- und Strafsachen im Bistum. Außerdem ist es Berufungsgericht für die Erzbistümer Köln, Paderborn und Berlin (siehe Polizeiwesen; siehe Rechtsstreit 1602; siehe Rechtssprechung im Schloss).

Todesstrafe in der Bundesrepublik bis 1949

In Deutschland war das Ende der Todesstrafe nicht unbedingt Wille des Volkes – und schon gar kein Akt der Humanität oder christlicher Weltanschauung. Ausgerechnet die nationalkonservative Deutsche Partei hatte 1948 für die Abschaffung der Todesstrafe plädiert. Einfacher Grund: Sie wollten verhindern, dass NS-Kriegsverbrecher hingerichtet werden. SPD und CDU schlossen sich dem Antrag an. 1949 trat das Verbot in Kraft. Hätte die Bevölkerung mitbestimmt, hätte es auch anders laufen können. Noch in den 1960er-Jahren waren etwa 70 Prozent der öffentlichen Meinung für die Todesstrafe. Die Stimmung wandelte sich zwar in den Folgejahren, doch die RAF beflügelte sie Ende der 1970er-Jahre wieder – 67 Prozent der Deutschen wollten nach einer Emnid-Umfage die Terroristen hingerichtet sehen.

Gericht in der vergangenen DDR 1960

Gericht in der vergangenen DDR 1960

1981 letzte Hinrichtung in der DDR

In der Bundesrepublik fand die letzte Hinrichtung am 18. Februar 1949 in Tübingen statt. Damals wurde der 28-jährige Raubmörder Richard Schuh mit dem Fallbeil getötet. Zwischen 1933 und 1945 wurden indes 16.560 Todesurteile gefällt, davon etwa 12.000 vollstreckt. Außerdem wurden etwa 20.000 Todesurteile von Kriegsgerichten ausgesprochen. Die vermutlich letzte Hinrichtung im gesamten Deutschland fand im Juni 1981 in Leipzig (DDR)  statt. Der 39-jährige Stasi-Hauptmann Dr. Werner Teske wurde wegen Spionage mit einer Armeepistole erschossen. Die Exekution des Sexualstraftäters und Kindermörders Erwin Hagedorn war 1972 die letzte Hinrichtung nach zivilem DDR-Strafrecht.


Quellen/Literatur:
Stadt Dorsten (Hg.) „Dorsten“, Dorsten 1975. – Dr. Kubisch, Kuckelmann in „Festschrift zur Einweihung des neuen Amtsgerichtsgebäudes in Dorsten“, Dorsten 1929. – Prof. Dr. Julius Evelt „Beiträge zur Geschichte der Stadt Dorsten und ihrer Nachbarschaft“ in „Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskinde Westfalens“, Münster, 1863/64, 1866. – Rüdiger Winter „So alt wie die Stadt ist auch das gewachsene Recht“ in Festschrift 500 Jahre Dorstener Altstadtschützen, Dorsten 1987. – Bistumslexikon Münster online.

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone
Dieser Beitrag wurde am veröffentlicht.
Abgelegt unter: , Rechtsprechung