Notaufnahmen – folgenreich

Wer starke Schmerzen hat, bekommt was in der Notaufnahme dagegen?

Das stimmt nicht immer. Bei Frauen denken Ärzteschaft und Pflegepersonal möglicherweise häufiger: Die übertreiben ohnehin. Frauen erhalten nach dem Aufsuchen der Notaufnahme seltener ein Rezept für Schmerzmittel als Männer – zumindest legt das eine Studie mit Daten aus den USA und Israel nahe. Für den geschlechtsspezifischen Unterschied spielt es demnach auch keine Rolle, ob die Behandlung durch einen Arzt oder eine Ärztin durchgeführt wird. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin „PNAS“ veröffentlicht. „Diese Unterbehandlung der Schmerzen weiblicher Patienten könnte schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Frauen haben und möglicherweise zu längeren Genesungszeiten, zu Komplikationen oder chronischen Schmerzzuständen führen“, erklärt Shoham Choshen-Hillel. Die Professorin der Hebrew University of Jerusalem (Israel) leitete die Studie, für die mehr als 20.000 elektronische Patientenakten aus Israel und den USA ausgewertet wurden. Ob man die Erkenntnisse auf Deutschland übertragen könne, lasse sich wissenschaftlich nicht beantworten, sagt Felix Walcher, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). „Zur Medikamentengabe in Notaufnahmen – gar zu einer geschlechterspezifischen Medikation – erheben wir in Deutschland bislang keine Daten.“

Ergebnisse der Studie: Eine geschlechtsspezifische Verzerrung?

Choshen-Hillel und Kollegen vermuten hinter den Ergebnissen ihrer Studie eine geschlechtsspezifische Verzerrung: „Es wird angenommen, dass Frauen ihre Schmerzen im Vergleich zu Männern übertrieben beschreiben“, führen sie aus. Dieses Vorurteil sei unter Männern wie Frauen im medizinischen Dienst weitverbreitet. Ein weiterer Grund könnte den Forschern zufolge sein, dass Männer öfter nach Schmerzmitteln anfragen als Frauen. Die Forschergruppe fordert Schulungen für Klinikpersonal, um einer Unterversorgung von Frauen mit Schmerzmitteln entgegenzuwirken. Aus den israelischen Daten ergab sich, dass 38 Prozent der Frauen, die mit Schmerzen in die Notaufnahme kamen, eine Verschreibung für ein schmerzstillendes Medikament erhielten. Bei Männern waren es bedeutend mehr, nämlich 47 Prozent. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede zeigten sich mit leichten Variationen bei leichten, mittelstarken und starken Schmerzen, die von den Patientinnen und Patienten angegeben wurden. Alle Altersklassen waren in ähnlicher Weise von diesem Unterschied betroffen. Auch mussten Frauen durchschnittlich 30 Minuten länger in der Notaufnahme auf eine Behandlung warten als Männer. Hinzu kommt: „Wir haben festgestellt, dass Krankenschwestern Schmerzwerte für Frauen seltener erfassen als für Männer“, schreiben die Studienautoren und -autorinnen. Die Stärke von Schmerzen wird zum Beispiel auf einer Skala von eins bis zehn angegeben.

109 Personen der Ärzte- und Pflegeschaft beteiligt

Obwohl medizinische Richtlinien vorsehen, dass alle Patientinnen und Patienten mit starken Schmerzen ein Schmerzmittel erhalten sollen, war dies laut der Akten aus Israel nur bei 50 Prozent der Patientinnen und 59 Prozent der Patienten der Fall. Die Analyse der amerikanischen Daten bestätigte alle diese Trends. Die Forscher luden Ärzteschaft und Pflegepersonal des University of Missouri Health Care Hospitals zu einem Experiment ein. Es beteiligten sich 109 Personen. Sie erhielten entweder die Beschreibung eines Patienten mit starken Rückenschmerzen oder die einer Patientin mit starken Rückenschmerzen – die sich bis auf das Geschlecht nicht unterschied. Von dem teilnehmenden Gesundheitspersonal wurde die Schmerzintensität von Patientinnen niedriger eingestuft als die von Patienten. „Die Ergebnisse der klinischen Szenario-Studie legen nahe, dass Gesundheitsdienstleister die Schmerzberichte von Frauen im Vergleich zu denen von Männern unterschätzen“, hieß es.

Siehe auch: Notaufnahmen – ein Brennpunkt
Siehe auch: Notdall – was ist das?
Siehe auch: Notrufe (II)
Siehe auch: Notrufe 110/112 (I)
Siehe auch:
Notfallrettung


Quelle: Stefan Parsch in RN (DZ) vom 7. August 2024

 

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