2018 Diskussion in Rhade über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche
W. St. – Nach Erscheinen der von der Bischofskonferenz herausgegebenen Studie herausgegeben Studie „Forschungsprojekt Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ haben etliche Pfarrer in ihren Predigten darauf hingewiesen. – Pfarrer Jürgen Zahn von St. Urbanus/St. Ewald in Rhade zitierte Stimmen, die heute in vielen Kirchengemeinden über den Missbrauch an Kindern durch Geistliche zu hören sind: „Ach, lasst uns doch in Ruhe, das kommt doch überall vor!“ Jürgen Zahn meinte dazu: „Ja, das kommt überall vor, aber auch in der Kirche!“
Mit diesen Worten führte im Gemeindesaal St. Ewald in den Informationsabend ein, an dem sich die etwa 35 Interessenten mit dem Thema Missbrauch von Kindern durch Kirchenmänner auseinandersetzen wollten. Vorweg gesagt: Alles in allem ein notwendiges Unterfangen von Pfarrer Jürgen Zahn, der, nachdem er eine Kerze für die Opfer angezündet hatte, auch offen und klar Stellung gegen jegliche kirchenamtliche Vertuschung bezog. Diese zwei Stunden im Gemeindesaal von St. Ewald dienten zur Information und Auseinandersetzung vortrefflich. „Wir müssen begreifen, was da in der Kirche geschieht“, so Jürgen Zahn. Die Argumente und Meinungen der Zuhörer waren überwiegend gleichlautend. Die meisten der Anwesenden sprachen sich harsch gegen die geistlichen Personen aus, die ihre klerikale „Heiligkeit“, ihre Macht und Vertrauensstellung bewusst ausnutzten, um ihre sexuellen Triebe bei den Schwächsten abzuladen, bei den ihnen anvertrauten Kindern, denen dadurch, wie Wissenschaftler an vielen Fällen belegen, ihr „Leben zerstört“ wurde. „Diese Taten sind Verbrechen!“, war zu hören. Pfarrer Zahn: „Missbräuche von Klerikern machen die Botschaft der Kirche unglaubhaft!“
Missbräuche der Kleriker machen die Botschaft der Kirche unglaubwürdig
Anlass dieser Veranstaltung war die wenige Wochen zuvor veröffentlichte oben genannte Studie der katholischen Kirche über Missbräuche von Kindern und Jugendlichen durch Kleriker in den 27 Diözesen Deutschlands der Jahre 1946 bis 2014. Insgesamt sind 3677 Fälle von 1670 Klerikern verzeichnet, allerdings ohne Namen und Orte, in denen Kinder und Jugendliche von Geistlichen missbraucht worden waren. Die realen Zahlen dürften weitaus höher liegen. Denn nicht alle Missbräuche kamen und kommen zur Anzeige und nicht alle Missbrauchsakten wurden den Gutachtern geöffnet, weil sie in bischöflichen Geheimarchiven lagern, zu denen den Gutachtern der Zutritt verwehrt wurde. Zudem sind in der Studie die Missbräuche in Klöstern, Klosterschulen und Klosterinternaten nicht untersucht und dargestellt. Im Bistum Münster, zu dem Dorsten gehört, wurden 1708 Akten geprüft, 138 Kleriker festgestellt, die 450 Missbräucvhe begangen haben, von denen 317 namentlich bekannt sind. Seit 2016 sind vier neue Fälle bekannt geworden. Ein Bistumssprecher forderte härtere Strafen für die Täter. Außerdem ermutigte er die Opfer, zu erzählen, was ihnen angetan wurde. Die 27 Diözesen in Deutschland leisteten an die 3766 Betroffenen eine Zahlung von insgesamt lediglich 4,75 Millionen Euro. Unter Missbrauch, so die Studie, gelten folgende Taten (Mehrfachnennung): Fotografieren des Jungen in obszöner Position (24 % der Fälle), Berühren des Körpers (78 %), Berühren der Geschlechtsteile (48 %), versuchtes Eindringen (22 %), erfolgtes Eindringen 16 %, sonstige Formen des Missbrauchs (20 %). Pfarrer Jürgen Zahn erläuterte weitere Zusammenhänge. „Durch die Missbräuche der Kleriker wird die Botschaft der Kirche unglaubwürdig!“ Die Diskussion unter den Teilnehmern gestaltete sich rege und es kamen auch Missbräuche von Geistlichen in Dorsten zur Sprache wie in den früheren Krankenanstalten Maria Lindenhof der Barmherzigen Brüder von Montabaur, der Missbrauch an Messknaben durch Kapläne an St. Agatha, der Missbrauch im Internat des Franziskanerklosters und andere. Seit dem Jahr 2000 sind in Dorsten auch über 20 gerichtsanhängige Missbrauchsfälle in Familien oder im Bekanntenkreis der Eltern bekannt.
Die Bischöfe stellen Zahlungen an MIssbrauchsopfer Aussicht: 50.000 Euro
Die Opfer von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche sollen künftig auf Antrag Ausgleichszahlungen von bis zu 50.000 Euro erhalten. Das hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) im September 2020 zum Abschluss der Herbstvollversammlung in Fulda gesagt. Dabei werde es sich um Einmalzahlungen handeln, die für jeden Betroffenen durch ein unabhängiges Entscheidungsgremium individuell festgelegt würden. Zusätzlich könnten Betroffene Kosten für Therapie- oder Paarberatung erstattet bekommen. Dem Gremium sollen sieben Frauen und Männer angehören. Es werde mit Fachleuten aus Medizin, Recht, Psychologie und Pädagogik besetzt. Die Mitglieder dürften nicht bei der Kirche angestellt – also von ihr abhängig sein –, und würden durch einen Ausschuss ausgewählt werden, dem mehrheitlich nichtkirchliche Vertreter angehören sollen (dpa).
Aufhebung der Ehelosigkeit von Priestern gefordert
Zur gestellten Frage, was sich in der katholischen Kirche ändern müsse, um dem Missbrauch zu begegnen, wurde unwidersprochen die Aufhebung der Ehelosigkeit von Priestern gefordert. Allerdings nicht als alleinige Maßnahme. Doch solle jeder Missbrauch durch Kleriker auch den Staatsanwaltschaften zur gerichtlichen Strafverfolgung gemeldet werden, denn Missbrauch von Kindern, ganz gleich von wem begangen, sei ein schweres Verbrechen. Zum Schluss verwies Pfarrer Zahn noch auf einen Gedenkstein in Münster hin, der im September 2018 von der „Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen“ vor der Kreuzigungsgruppe hinter dem Dom angebracht wurde. Dieser „mahnende Mühlstein“ wandert zusammen mit der Ausstellung „Der Fluch“ durch Deutschland. Auf dem Mühlstein steht: „Wer aber einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, dem wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde“ (Matthäus-Evangelium Kap. 18, Vers 6).
Anhang – 1782: „Schlachtopfer des widernatürlichen Celibatgebothes“
In dem anonym erschienenen Buch aus dem Jahre 1782 mit dem Titel „Dringende Vorstellungen an Menschlichkeit und Vernunft um Aufhebung des ehelosen Standes der katholischen Geistlichkeit“ (Sammlung Stegemann) setzt sich ein Theologe vor 250 Jahren auf 478 Seiten mit der Ehelosigkeit von Klerikern kritisch auseinander. Der Autor dieser Streitschrift ist mit „F P“ angegeben. Ebenso fehlen Druckername und Verlagsort. U. a. schreibt er, dass die Ehelosigkeit zu krankhaft abnormen sexuellen Verhalten der Geistlichen führt. Hier ein Auszug:
„Das Loos unserer geistlichen Celibanten ist also natürlicher Weiße schon entschieden. Sie müssen, wenn sie anders sonst richtige Menschen sind, entweder den gemeinsamen Weg der Natur einschlagen, und folglich in Ermangelung der ehrbaren, erlaubten Ehe, entweder – sündigen, oder sich doch von der sehr gefährlichen, mit der Sünde ziemlich nahen Gnade des täuschenden Morpheus erhaltern; oder zur Ehre der heiligen Enthaltsamkeit stets kränkeln, und als traurige unnütze Schlachtopfer des widernatürlichen Celibatgebothes vor der Zeit – hinsterben…“