Kein „Päpstliches Geheimnis“ mehr – Missbrauchsakten für Behörden frei
Papst Franziskus verkündete im Dezember 2019, dass er im Kampf gegen den Missbrauch katholischer Geistlicher in der katholischen Kirche das umstrittene „päpstliche Geheimnis“ abschafft. Künftig dürfen somit Informationen aus Kirchenprozessen an staatliche Behörden gehen. Opfer und Kirchenrechtler sprachen von einer „überfälligen“ Entscheidung und dem bedeutendsten Schritt seit dem Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan. Zudem veröffentlichte der Vatikan eine Änderung beim Alter von Kindern, die Opfer von pornografischen Darstellungen werden: Bisher wurden Besitz und Verbreitung solcher Bilder als schwerste Straftaten gezählt, wenn die Kinder bis zu 14 Jahre alt waren. Nun wurde diese Altersgrenze auf 18 Jahre hochgesetzt. Der Vatikan nannte die neuen Regelungen bahnbrechend und epochal. Missbrauchsopfer hatte keine Gelegenheit, zu wissen, was genau aus ihrer Anzeige wurde, weil es ein ‚päpstliches Geheimnis‘ gab. Die Zusammenarbeit mit dem Staat wird nun erleichtert. Bistümer können Akten an Strafverfolgungsbehörden weiterreichen. Für die Öffentlichkeit werden sie allerdings nicht einsehbar sein.
Der Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Universität Münster sprach von einem „substanziell positiven“ Schritt, der die Beweisaufnahme nun sehr erleichtere. Bischöfe könnten sich nun nicht mehr hinter dem päpstlichen Geheimnis verstecken und Aufklärung verhindern.
Papst Franziskus stand bei dem Thema stark unter Zugzwang. Auf dem Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan im Februar 2019 war mehr Transparenz eines der Hauptanliegen der Bischöfe gewesen. Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hatte damals darauf hingewiesen.
Überraschendes Ende eines spektakulären Prozesses: Freispruch
Australiens höchstes Gericht kippte im April 2020 das Urteil wegen Kindesmissbrauchs gegen Kardinal Pell. Der Ex-Finanzchef des Vatikans kam frei. Missbrauchsopfer waren bestürzt. Papst Franziskus hätte am Dienstag schweigen können, nachdem in der Nacht zuvor der Freispruch für Kardinal George Pell bekannt geworden war. Das Presseamt des Heiligen Stuhls hätte es bei der knappen Mitteilung belassen können, in der der Freispruch „mit Wohlwollen“ aufgenommen wurde. Aber Papst Franziskus wurde deutlicher. Den Prozess gegen seinen früheren Berater und Finanzchef im Vatikan erwähnte er bei seiner Frühmesse im Vatikan zwar mit keinem Wort. Wen Franziskus meinte, war hingegen eindeutig, als er ausgerechnet von der Verfolgung Jesu predigte und sagte: „Ich möchte heute für alle Menschen beten, die unter einem ungerechten Urteil leiden.“ In der Nacht war bekannt geworden, dass das höchste australische Gericht den 78-jährigen Australier von allen Vorwürfen freigesprochen hatte. 2018 war der Kardinal als bislang höchster katholischer Würdenträger in Melbourne wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden, weil er als Erzbischof von Melbourne 1996 zwei Chorknaben in der Sakristei der St. Patricks-Kathedrale sexuell missbraucht haben soll. Pell war damit der ranghöchste Geistliche in der Geschichte der katholischen Kirche, der wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Sechs Jahre Haft ordnete das Gericht im März 2019 an, von denen Pell, der stets seine Unschuld betont hatte, vor dem Freispruch 13 Monate im Gefängnis verbrachte. Nach Freispruch und Verlassen der Strafanstalt in Melbourne fuhr Kardinal Pell in einem Autokonvoi in ein Kloster nahe von Melbourne. Dort wurde er von einer Nonne und mit einer Kiste Wein begrüßt, wie die Nachrichtenagentur AAP berichtete.
Das Gericht entschied im Zweifel für den Angeklagten
Die Richter des High Courts begründeten ihre Entscheidung damit, dass Pells Verurteilung alleine auf den Aussagen des Hauptbelastungszeugen, eines der beiden zum Tatzeitpunkt 13-jährigen Chorknaben, beruhte. Das andere mutmaßliche Opfer war 2014 an einer Überdosis Heroin gestorben. Andere Zeugenaussagen konnten die Schuld Pells nicht untermauern. Die gleichwohl glaubwürdige Aussage eines einzigen Belastungszeugen könne nicht alleine ausschlaggebend für die Verurteilung sein, stellte das Gericht fest. Dadurch bestehe eine „beträchtliche Gefahr, dass eine unschuldige Person verurteilt worden ist“. Der High Court entschied also im Zweifel für den Angeklagten. Was 1996 tatsächlich in der Sakristei geschah, konnte nicht geklärt werden. Pell ist als mächtigster Prälat in Australien, der die Kultur der Vertuschung in der Kirche pflegte und sich Opfern sexuellen Missbrauchs gegenüber erbarmungslos zeigte, höchst umstritten. Seine Berufung 2013 in den Kardinalsrat, das engste Beratungsgremium des Papstes, sowie seine Ernennung zum Präfekten des Wirtschaftssekretariats im Vatikan hatten Verständnislosigkeit bei Betroffenen ausgelöst. 2018 wurde Pell, der bereits ein Jahr zuvor freigestellt wurde, aus dem Kardinalsrat abberufen, aus Altersgründen. 2019 wurde er als Finanzchef abgelöst (Quelle Überraschendes Ende…: Josef Müller-Meiningen in DZ vom 8. April 2020).
Siehe auch: Missbrauch
Siehe auch: Missbrauchsstudie
Siehe auch: Missbrauch / Franziskaner-Internat
Siehe auch: Missbrauch von Messknaben
Siehe auch: Missbrauch / Wlhelm Kompa
Siehe auch: Missbrauchsfälle
Siehe auch: Missbrauchsfälle in der kath. Kirche (I)
Siehe auch: Missbrauchsfälle in der kath. KIrche (III)
Siehe auch: Missbrauch in der kath. Kirche (IV)