Missbrauch in der kath. Kirche (I)

Recklinghäuser Kreisdechant will das Gespräch mit den Menschen vor Ort

Jürgen Quante (70, Foto oben), Kreisdechant und Propst der Recklinghäuser Pfarrei St. Peter, nahm Ende Februar 2019 auf der Kreisseite der „Dorstener Zeitung“ vor dem Hintergrund der Anti-Missbrauchskonferenz im Vatikan Stellung. Papst Franziskus hat in der medienwirksamen Vatikan-Konferenz den sexuellen Missbrauch verurteilt, konkrete Maßnahmen für die Weltkirche benannte er aber nicht. Dazu Jürgen Quante: „Die Ergebnisse sind schon enttäuschend, meine Erwartungen wurden nicht erfüllt.“ Weltweite Lösungen seien eben schwierig, Vorstellungen und Umgang mit dem Thema sehr unterschiedlich. Es gebe immer noch Regionen, in denen die katholische Kirche fälschlicherweise behauptet, dass es dort keinen Kindesmissbrauch gebe. „Wir können nicht auf weltweite Lösungen warten, sondern müssen hier vor Ort unsere Arbeit zu dem Thema machen – um den Missbrauch aufzuarbeiten und so weit wie möglich einzudämmen. Das Bistum Münster beschäftigt sich viel mit konkreten Missbrauchsfällen, Täter werden sofort der Staatsgewalt übergeben. Und wir müssen vor Ort verstärkt das Gespräch mit den Menschen suchen.“

Zölibatäre Männer haben sich mit Tätern „solidarisch“ erklärt

Auf die Frage, an welche Themen er bei diesen Gesprächen denke, antwortete der Kreisdechant: „Das Thema Sexualität ist offenbar ein wichtiger Lebensbereich. Doch hier haben wir als Kirche keine Stimme mehr bei den Menschen – das kann nicht sein. So ist hier Sexualität und die katholische Sexualmoral ein wichtiges Diskussionsthema: Kirche hat Sexualität lange nur als Mittel zur Fortpflanzung gesehen – die anderen Formen der Sexualität ins Illegale verschoben, das durfte alles nicht sein. Doch Sexualität ist gut und ein Gottesgeschenk – und zwar nicht auf das Eheliche beschränkt, sondern auch außerhalb der Ehe und auch unter Gleichgeschlechtlichen.“ Und weiter sagte er: „Der Klerikalismus war auch sicherlich eine Ursache für die Vertuschung von Missbrauch, ebenso der Zölibat: Kleriker haben sich untereinander in Schutz genommen, andere zölibatäre Männer haben sich mit Tätern „solidarisch“ erklärt. Allerdings glaube ich nicht, dass der Zölibat ein Grund für Pädophilie ist – denn die gibt es auch ohne Zölibat.“

Sexueller Missbrauch ist ein „perfides Verbrechen“

Daher forderte Propst Quante, dass den Menschen vor Ort von kirchlicher Seite mehr Transparenz und Offenheit angeboten wird. Sexueller Missbrauch sei ein „perfides Verbrechen“, das oft erst Jahre später bekannt werde, wenn die Täter schon verstorben seien. „Außerdem hat Kirche erst in den letzten Jahren erkannt, dass Vertuschung ein Vergehen ist. Vorher hieß es: Das regeln wir unter uns. Ich fürchte, auch in Zukunft wird es schwierig, den sexuellen Missbrauch einzudämmen – zumal das ja auch ein gesamtgesellschaftliches Problem ist.“

Missbrauchsfälle: System der Gewalt bei Regensburger Domspatzen

Undurchsichtige Strukturen und unklare Verantwortlichkeiten haben die früheren Fälle von Missbrauch und Gewalt bei den Regensburger Domspatzen begünstigt. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Studien im Auftrag des Bistums Regensburg, die Im Juli 2019 vorgestellt wurden. Von außen sei eigentlich keine Korrektur und Kontrolle möglich gewesen, so die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden. Der Knabenchor und seine Schulen und Internate seien ein abgeschottetes soziales System gewesen, in dem sich eigene moralische Maßstäbe herausgebildet hätten. Der Historiker Bernhard Löffler sprach von einem System des Schweigens, zu dem kirchliche Stellen, aber auch staatliche Institutionen sowie Teile der Elternschaft beigetragen hätten. Der Erfolg des Chores sei wichtiger gewesen als das Wohlergehen der Schüler. Für kindgerechte Pädagogik habe sich niemand interessiert. Das Ausmaß der psychischen Grausamkeiten und Übergriffe wurde erst 2010 bekannt. Das Ausmaß der psychischen Grausamkeiten und Übergriffe, die zum Teil auch sexualisiert waren, wurde erst 2010 bekannt. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer bat die Opfer um Vergebung.

Kath. Kirche stellt 50.000 Euro für Missbrauchsopfer in Aussicht

Die Opfer von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche sollen künftig auf Antrag Ausgleichszahlungen von bis zu 50.000 Euro erhalten. Das hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) im September 2020 zum Abschluss der Herbstvollversammlung in Fulda gesagt. Dabei werde es sich um Einmalzahlungen handeln, die für jeden Betroffenen durch ein unabhängiges Entscheidungsgremium individuell festgelegt würden. Zusätzlich könnten Betroffene Kosten für Therapie- oder Paarberatung erstattet bekommen. Dem Gremium sollen sieben Frauen und Männer angehören. Es werde mit Fachleuten aus Medizin, Recht, Psychologie und Pädagogik besetzt. Die Mitglieder dürften nicht bei der Kirche angestellt – also von ihr abhängig sein –, und würden durch einen Ausschuss ausgewählt werden, dem mehrheitlich nichtkirchliche Vertreter angehören sollen. dpa

Auch das noch:
Ein Kardinal als bislang höchster Kirchenvertreter schuldig gesprochen

Kaum war das Kardinalstreffen zum Thema Missbrauch von Kindern im Vatikan beendet, gingen am 27. Februar 2019 Schlagzeilen durch die Weltpresse, dass der australische Kardinal George Pell (77, Foto) in Melbourne wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen in fünf Punkten einstimmig für schuldig gesprochen wurde. ER wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt und ins Gefängnis gebracht. Der Kardinal gilt als eine der mächtigsten Figuren im Vatikan, quasi der dritte Mann im Vatikanstaat, und einer der wichtigsten Berater des Papstes Franziskus. Für den Vatikan, der gerade einen großen Anti-Missbrauchsgipfel hinter sich hat, ist die Verurteilung Pells eine neue Hiobsbotschaft. So weit oben stand in der katholischen Hierarchie ein verurteilter Sexualstraftäter noch nie. Für den Papst kommt der Schuldspruch des einstigen Vertrauten einer Katastrophe gleich. Papst Franziskus hat bis zuletzt an ihm festgehalten. Das Motto war stets, erst zu reagieren, wenn die Schuld gerichtlich bewiesen sei. Das ist zwar jetzt der Fall, doch der Vatikan will weiter warten. Nun auf ein Urteil im Berufungsverfahren. Der Papst erkennt das weltliche Gerichtsurteil solange nicht an, bis ein Berufungsverfahren rechtskräftig wird. Solange bleibt der verurteilte Sexualverbrecher Kardinal, auch wenn er im Gefängnis sitzt. Der Vatikan will nun einen eigenen Prozess nach dem Kirchenrecht gegen den nach Staatsrecht Verurteilten führen. Dies bleibt abzuwarten. Dazu der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode: „Nur eine Kirche, die reinen Herzens ist, sich in die Karten schauen lässt und transparent ist, lauter und ohne Doppelmoral, die sich der Wirklichkeit stellt, wird Vertrauen wiedergewinnen.“

Siehe auch: Missbrauch
Siehe auch:
Missbrauchsstudie
Siehe auch:
Missbrauch / Franziskaner-Internat
Siehe auch: Missbrauch von Messknaben
Siehe auch:
Missbrauch / Wlhelm Kompa
Siehe auch: Missbrauchsfälle
Siehe auch: Missbrauch in der kath. KIrche (II)
Siehe auch: MIssbrauch in der kath. KIrche (III)
Siehe auch: MIssbrauch in der kath. Kirchen (IV)


Quelle: Thomas Schönert in der DZ (Kreisseite) vom 26. Febr. 2019

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