Messerattacken

Messergewalt: Fallzahlen haben sich bundesweit verdoppelt – auch in Dorsten

Die Zahl der Gewalttaten in Verbindung mit Messern steigt bundesweit drastisch – auch in Dorsten. Seit 2019 erhebt die Polizei das Tatmittel Messer. Dazu gehören nicht nur Taten, bei denen Personen durch Messer verletzt wurden, sondern auch Fälle, in denen ein Messer vorgehalten oder damit gedroht wurde. Die erschreckende Tendenz: 2022 hat die Polizei 16-mal das Tatmittel Messer in Dorsten dokumentiert. Eines der Messer hatte eine Klinge von mindestens zwölf Zentimetern. Dadurch fällt es unter Paragraf 42a des Waffengesetzes. Im vergangenen Jahr hat die Polizei bereits vier Fälle dokumentiert, in denen ein Messer mit mindestens 12 Zentimetern Länge eine Rolle spielte. Die Zahl aller anderen Taten mit Messern verdoppelte sich: 30-mal hat die Polizei Fälle mit dem Tatmittel Messer aufgenommen.

Auch in Dorsten steigen die Messer-Fälle

Die Zahl der Fälle im öffentlichen Raum ist von 9 auf 19 gestiegen. Die restlichen Taten fanden im privaten Raum statt. Zwei Fälle haben sich im vergangenen Jahr ereignet, die von größerer Tragweite waren. Im Mai 2023 griff ein 43-jähriger Mann in Barkenberg seine Lebensgefährtin mit einem Messer an und verletzte sie schwer. Dieser Angriff geschah vor den Augen kleiner Kinder. Ein weiterer Vorfall ereignete sich im September 2023 während des Altstadt-Schützenfestes am Kanalufer, wo es zu einer Auseinandersetzung kam. Einer der Beteiligten zückte unerwartet eine Machete und drohte den Umstehenden. Erst vor kurzem stand der Täter vor Gericht. „Auch in Dorsten sind – wie landesweit – die Fälle, in denen mit einem Messer gedroht oder ein Messer eingesetzt wurde, gestiegen. Ein Messer wird immer häufiger mitgenommen – für manche ist das leider so selbstverständlich wie der Schlüssel oder das Handy in der Hosentasche“, erklärt Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen in der Dorstener Zeitung. „Den Menschen muss klar werden: Ist ein Messer im Spiel, können sich aus angespannten Situationen schnell lebensbedrohliche Auseinandersetzungen ergeben.“

„Man muss lernen, mit gewaltbereiten Menschen umzugehen.“

Drei Kampfsportschulen aus Dorsten haben sich in der Lokalzeitung zu dem Thema geäußert. Simon Rodriguez gehört die „Wing Tsun Kung-Fu Schule“ an der Essener Straße. Im Juntos Kompetenzzentrum ist er der Ansprechpartner für Gewaltprävention und Sozialkompetenztraining. Die Gewaltzunahme sieht er kritisch: „Die Statistiken sind nicht von der Hand zu weisen“, meint er. „Man muss lernen, mit gewaltbereiten Menschen umzugehen.“ Den Einsatz von Waffen schreibt er vor allem einem veränderten Gefühl von Sicherheit zu: „Das subjektive Unsicherheitsgefühl ist so hoch, dass die Menschen glauben, ein Messer bei sich führen zu müssen.“ Gleichzeitig geht er nicht davon aus, dass die Gewalt in Dorsten gefährlicher geworden wäre. Der Experte erklärt, dass das Messer häufig genutzt wird, um das eigene Sicherheitsgefühl zu erhöhen und nicht um es einzusetzen.

Gewalt unter Jugendlichen steigt

Rodriguez arbeitet nicht nur in seiner Kampfsportschule, sondern auch an Grund- und weiterführenden Schulen. „Erschreckend hoch ist der Anteil von Leuten, die noch nicht strafmündig sind“, erklärt er. Gewalt unter Jugendlichen und Kindern nehme ebenso zu. Viele der Eltern, die ihre Kinder in der Kampfsportschule anmelden, wollen, dass ihre Kinder sich in gefährlichen Situationen selbst verteidigen können. Dazu zähle nicht nur das Wissen, wie man einen Angriff abwehrt, sondern auch eine kommunikative Kompetenz, ein gewisses Selbstbewusstsein und der Erwerb von Resilienz.

Gewalt unter Jugendlichen sei nach wie vor ein präsentes Thema

Ähnlich sieht es auch Annika Breski von der Workers Hall: „Es geht nicht nur um die körperliche Verteidigung, sondern auch um Selbstbehauptung“, sagt sie. Viele Eltern hoffen, dass ihre Kinder sich besser verbal und mental verteidigen können, wenn sie entsprechende Kurse besuchen. Gewalt unter Jugendlichen sei nach wie vor ein präsentes Thema, dass mehr Kinder an Selbstverteidigungskursen teilnehmen, kann sie nicht bestätigen: „Selbstverteidigung spielt immer eine Rolle. Es ist aber nicht mehr als in den vergangenen Jahren.“

In der Gesellschaft fehle oft das Bewusstsein für gefährliche Situationen

Etwas drastischer sehen Christian und Kerstin Alex vom Studio „Crazy Tigers“ die Situation in Dorsten. „Die Hälfte meldet sich bei uns an, weil sie wollen, dass ihre Kinder sich verteidigen können“, erklärt Kerstin Alex. Sie erklärt, dass auch kleine Kinder einen starken Mann verletzen können. „Aber das muss trainiert werden“, ergänzt sie. „Man darf Selbstverteidigung nicht auf die leichte Schulter nehmen.“ Beiden ist es wichtig zu betonen, dass in der Gesellschaft das nötige Bewusstsein für gefährliche Situationen oft fehle. „Man muss die Leute dafür sensibilisieren. Es ist Realität“, sagt Kerstin Alex. Besonders Auseinandersetzungen mit Messern seien gefährlich: „In einer Messersituation kommst du selten ohne Schnittwunden raus. Das ist sehr schwer abzuwehren. Da gilt zunächst der Selbstschutz“, sagt Kerstin Alex. Deshalb solle immer die Flucht bevorzugt werden.

In NRW sind Messerattacken im öffentlichen Raum stark angestiegen

Der Anstieg geht aus dem Sonderbericht des Landeskriminalamtes (LKA) hervor, den NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am 28. August 2024 vorgestellt hat. Die Fälle stiegen um 42,6 Prozent im Vergleich zu 2022. „Das muss man ernst nehmen“, sagte Reul. Die Vorstellung des Lagebildes zur Messergewalt in NRW ist lange geplant gewesen und hat nichts mit dem Anschlag in Solingen zu tun, bei dem am Freitag durch einen Messerangreifer drei Menschen getötet und acht schwer verletzt worden sind. Reul wies deutlich darauf hin, dass zwischen Terroristen wie in Solingen und Menschen, die aus welchen Gründen auch immer ein Messer bei sich führen, wenn sie auf Feiermeilen gehen, unterschieden werden müsse. Dem neuen Lagebild zufolge war etwa die Hälfte der Tatverdächtigen unter 21 Jahre alt, ein Viertel davon waren Jugendliche. 45 Prozent hatten keine deutsche Staatsbürgerschaft. „Ausländische Tatverdächtige sind also dreimal so stark vertreten wie deren Anteil an der Bevölkerung – und damit überproportional“, betonte Reul. Demnach sind von den nicht-deutschen Tatverdächtigen 23,2 Prozent Syrer, es folgen Türken (10,2 Prozent), Iraker (7,7 Prozent) und Rumänen (sechs Prozent) „Der Täter ist durchschnittlich jung, männlich und am Wochenende abends unterwegs“, so Reul. Und weiter: „Wenn wir diese Gewalt ernsthaft bekämpfen wollen, muss es in der Debatte um die Täter gehen“, so Reul.

1233 Fälle der Bedrohungen unter Vorhalten eines Messers

Dem Bericht zufolge gab es 2023 insgesamt 3536 Fälle, bei denen ein Messer als Tatwaffe eingesetzt wurde. Vor zwei Jahren waren es 1057 Fälle gewesen. Darunter fallen gefährliche Körperverletzungen (1224 Fälle, plus 34,6 Prozent) und Bedrohungen unter Vorhalten eines Messers (1233 Fälle, 34,9 Prozent). Die Aufklärungsquote liegt bei 73,4 Prozent. Zudem gab es im vergangenen Jahr 4708 Opfer, ein Anstieg um 44,9 Prozent.
Nicht erst seit dem Anschlag in Solingen wird bundesweit über eine Verschärfung des Messergesetzes diskutiert. Das NRW-Innenministerium hat nun einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt, um die Zahl der durch Stichwaffen verübten Delikte im öffentlichen Raum zu reduzieren. Der Plan sieht unter anderem Waffentrageverbote für Intensivtäter, den Ausbau mobiler Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen und eine weitere Waffenverbotszone in Hamm vor. Zudem soll nach Messerstraftaten künftig auch der Verlust des Führerscheins drohen. Auch soll es leichter werden für die Polizei, in Flüchtlingsunterkünfte zu gehen. Reul betonte, dass keine dieser Maßnahmen einen Islamisten daran gehindert hätte, eine Tat wie in Solingen zu begehen.
Die Polizei in NRW geht seit Jahren bereits unter anderem mit Schwerpunktkontrollen und Waffenverbotszonen gegen die Messerkriminalität vor. Waffenverbotszonen gibt es in NRW in Köln und in der Landeshauptstadt. In der Düsseldorfer Altstadt besteht sie seit Dezember 2021. Das Verbot ist temporär und gilt jeden Freitag- und Samstagabend sowie vor und an Feiertagen und an Karneval.

Siehe auch: Messerstecherei vor der Kneipe
Siehe auch: Messerstecheri auf dem Schulhof
Siehe auch: Mordwerkzeug Messer


Quelle: DZ vom 20. Juli und 29. August 2024

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone