Medizinische Behandlungsfehler

Seit Jahren fordert der Medizinische Dienst eine Meldepflicht

Der Medizinische Dienst erstellt für die gesetzlichen Krankenkassen Gutachten über Behandlungsfehler. Was die Experten fordern, um Kunstfehler zu vermeiden. – Im September 2013 hatte sich das Dorstener Krankenhaus vor Gericht zu verantworten. Denn ein Chefarzt hatte es versäumt, rechtzeitig einen Neurologen zur Beurteilung einer Computertomographie hinzuzuziehen. Daraufhin wurde Klage erhoben. Das Oberlandesgericht Hamm urteilte: Ärzte im St. Elisabeth-Hospital hätten bei einer bewusstlosen Patientin einen massiven Hirnstamminfarkt zu spät erkannt. In der Folge erlitt sie massive Lähmungen und starb sieben Monate später. Ein Neurologe hätte hinzugezogen werden müssen, so die Richter erstinstanzlich und verurteilten das Krankenhaus und den Chefarzt zu 50.000 Euro Schmerzensgeld (Az.: 3 U 122/12 vom 12.8.2013). Erst eine Woche zuvor war ein OLG-Urteil gegen einen Dorstener Frauenarzt veröffentlicht worden, der einer Patientin 20.000 Euro Schmerzensgeld zahlen sollte. Er hatte einer Patientin nicht zu einer Mammografie geraten; später war die Frau an Brustkrebs erkrankt.
Beispiele medizinischer Behandlungsfehler gibt es überall und mehr. Bei einer 39-Jährigen war eine Zyste an den Eierstöcken entdeckt worden. Sie wurde ins Krankenhaus überwiesen, sollte dort operiert werden. Doch als die Patientin nach dem Eingriff wieder aufwachte, erwartete sie eine unfassbare Nachricht: Durch eine Verwechslung im Operationssaal war statt der Zysten-OP eine Sterilisation vorgenommen worden. Die Frau war nun unfruchtbar. Diesen Fall beschrieb der Medizinische Dienst Bund (MD) am 22. August 2024 bei der Vorstellung der Jahresstatistik zu ärztlichen Behandlungsfehlern. 12.438 Gutachten haben die Medizinischen Dienste bundesweit 2023 im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen zu vermuteten Kunstfehlern angefertigt. In rund einem Viertel der Ereignisse – konkret 3160 Fälle – kamen die Experten zu dem Schluss, dass tatsächlich ein Fehler passiert und ein Schaden eingetreten war. Die für das Haftungsrecht wesentliche Frage, ob der Fehler tatsächlich auch für den Schaden verantwortlich ist, wurde in 2679 Fällen bejaht – was einem Anteil von rund 20 Prozent entspricht. Dann, und nur dann besteht Aussicht auf Schadenersatz.

Jährlich fast 170.000 Patienten von einem Behandlungsfehler betroffen

„Wir sehen hier nur die Spitze des Eisbergs“, schränkte allerdings MD-Chef Stefan Gronemeyer ein. Die Dunkelziffer unentdeckter Kunstfehler liege deutlich über den Zahlen aus den Begutachtungen. Aus wissenschaftlichen Studien wisse man, dass es in rund einem Prozent aller stationären Fälle zu Fehlern und vermeidbaren Schäden komme. Das bedeute, dass jährlich fast 170.000 Patientinnen und Patienten von einem Behandlungsfehler betroffen seien. Gronemeyer sprach von 17.000 fehlerbedingten, vermeidbaren Todesfällen in deutschen Krankenhäusern. Was die Experten besonders umtreibt: die sogenannten „Never Events“. Das sind Fehler mit schwerwiegenden Folgen, die nie passieren dürften – auch, weil sie vergleichsweise leicht vermeidbar sind. Dazu zählen Verwechslungen, wie bei der Frau mit der Zyste, vergessenes OP-Material im Körper und Fehler bei der Gabe von Medikamenten. Dass das keine exotischen Einzelfälle sind, zeigen die Begutachtungen: So wurde in 39 Fällen OP-Material im Körper vergessen. In 15 Fällen wurden falsche Operationen durchgeführt. In 13 Fällen wurde der Körperteil verwechselt. Und in zwei Fällen wurde sogar der falsche Patient operiert.

„Never-Event-Register“ pseudonymisiert umsetzen

Seit Jahren fordert der Medizinische Dienst eine Meldepflicht für solche Ereignisse. Denn sie weisen nicht auf das Versagen Einzelner hin, sondern auf grundsätzliche Probleme bei den Abläufen und Prozessen im Krankenhaus, so Gronemeyer. Dabei solle ein derartiges „Never-Event-Register“ pseudonymisiert und sanktionsfrei umgesetzt werden. Denn: „Nicht die Frage, wer was getan hat, sondern die Frage, warum und wie etwas passiert ist, ist für die Prävention von Bedeutung“, argumentierte Gronemeyer und verwies auf entsprechende Register in Großbritannien, in den USA, Australien oder der Schweiz. In der Bundesregierung engagiert sich unter anderem der Patientenbeauftragte der Regierung, Stefan Schwartze (SPD), dafür – er konnte sich aber in der Koalition und bei Gesundheitsminister Karl Lauterbach (gleichfalls SPD) bisher nicht durchsetzen. Als Grund für den Widerstand auch in der Ärzteschaft sieht Gronemeyer eine „Schwarzen-Peter-Kultur“, bei der es im Fall von Fehlern allein um die Schuldfrage gehe. Zudem herrsche die Meinung vor, mit zu viel Offenheit würden die Patienten verunsichert. „Das ist eine völlige Fehleinschätzung. Die Patienten wissen es sehr zu schätzen, dass sie transparent informiert werden“, sagt Gronemeyer. Seine Forderung: „Wir brauchen eine neue Fehlerkultur.“

Überblick über rechtliche Möglichkeiten des/der Betroffenen

Wer den Verdacht hat, dass es zu einem Behandlungsfehler gekommen ist, fühlt sich oft erst einmal ohnmächtig. Dabei haben Patientinnen und Patienten in so einer Situation rechtliche Möglichkeiten. Hier kommt ein Überblick:

  1. Beweislast liegt bei den Betroffenen: Generell gilt: Geht es um Behandlungsfehler, liegt die Beweislast bei den Patienten. Sie müssen nicht nur beweisen können, dass dem behandelnden Arzt ein Fehler unterlaufen ist. Sondern auch, dass sie einen Gesundheitsschaden erlitten haben – und dass der durch den Fehler verursacht wurde, wie das Portal „gesund.bund.de“ erklärt. Ohne Hilfe ist das allerdings kaum möglich.
    2. Krankenkasse als Anlaufstelle : Daher kommt beim Verdacht auf einen Behandlungsfehler ein medizinisches Gutachten ins Spiel. Um das anzustoßen, kann man sich an seine Krankenkasse wenden.
    3. Der Weg über die Landesärztekammern: Doch es gibt noch einen anderen Weg, dem Verdacht auf einen Behandlungsfehler nachzugehen: über die Landesärztekammern, die dafür Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen eingerichtet haben.
    4. Laut Gutachten liegt Behandlungsfehler vor: Spätestens dann ist es Zeit, einen Fachanwalt oder eine Fachanwältin für Medizinrecht mit ins Boot zu holen (dpa).

Siehe auch: St. Elisabeth-Krankenhaus


Quelle: dpa und Tim Szent-Ivanyi in Ruhr-Nachrichten (DZ) vom 23. August 2024

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