Von den Belgiern ohne Brille, Hut und Mantel über die Lippe ausgewiesen
1858 in Selm bis 1934 in Dorsten; Bürgermeister. – Der NSDAP-Beigeordnete, der NS-Bürgermeister, Mitglieder der HJ, SA und der Feuerwehr gaben ihm das letzte Geleit, als er 1934 im Alter von 76 Jahren starb. Der Bürgermeister i. R. wäre über die neuen Herren in den braunen Hemden, die seinen Heimgang mit Fackeln beleuchteten, sicherlich nicht erfreut gewesen. Denn der aus Selm stammende Bernhard Lappe gehörte zu den preußischen Beamten, denen Gerechtigkeit stets Gradmesser ihres Handelns war. Bernhard Lappe, vorher Bürgermeister in Kaldenkirchen, wurde 1899 Verwaltungschef in Dorsten. Er blieb es bis 1924. Es war die Zeit der politischen Umwälzungen und Unruhen, die für ihn persönlich in der Verbannung aus Dorsten gipfeln sollte. Es war aber auch eine Zeit des Fortschritts für die Stadt, deren Geschicke Lappe ein Vierteljahrhundert leitete: Auf- und Ausbau des Gymnasiums, Bau des Lehrerseminars, Erweiterung der Volkschulbauten, Errichtung des Kindergartens und Polizeigefängnisses, Bau des Kanals, Ausbau des Straßennetzes, Anlage der Kanalisation, Ausbau der Lichtversorgung, Bau der elektrischen Straßenbahn Marl-Recklinghausen, Urbarmachung der Marler Heide, Bau von Arbeiterwohnungen und Vorverhandlungen über den späteren Zusammenschluss mit den Nachbargemeinden. Seiner Umsicht war es auch zu verdanken, dass es um die Lebensmittelversorgung der Stadt Dorsten im Ersten Weltkrieg nicht allzu katastrophal bestellt war. Im so genannten Runkelrübenwinter sorgte er dafür, dass auch die Armen versorgt waren.
Er lehnte eine Zusammenarbeit mit den belgischen Besatzern ab
Gegen Ende seiner Amtszeit wurde es noch einmal aufregend für den 65-jährigen Inhaber des Kronenordens und des Verdienstkreuzes für Kriegshilfe, als Belgier und Franzosen das Ruhrgebiet und auch die Stadt Dorsten besetzten. Da Bernhard Lappe zu einer Zusammenarbeit mit den Besatzern nicht bereit war, nahm ihn ein französisches Offizierskommando am 21. Februar 1923 im Rathaus fest. Ohne Brille, Hut und Mantel brachten sie ihn nach Sterkrade vor ein Kriegsgericht, das ihn aus dem besetzten Gebiet verbannte. Noch am gleichen Nachmittag traf in Dorsten die Kunde ein, dass Lappe soeben bei Gartrop über die Lippe ausgewiesen worden war. Während seiner Abwesenheit lief im April 1923 seine Amtszeit als Bürgermeister ab. Die Abschiedsfeier wurde ihm erst nach seiner Rückkehr 1924 ausgerichtet. Agatha-Pfarrer Ludwig Heming schrieb seine Erinnerungen über die Ausweisung von Bürgermeister Lappe auf:
„Mittags 12 Uhr kam ich aus der Schule und ging über den Marktplatz. Da sah ich am Rathaus ein Auto, umgeben von viel Volk. Es öffnete sich die Türe des Rathauses und Bürgermeister Lappe wurde von den Belgiern herausgeführt, begleitet von Stadtverordnetenvorsteher Rechtsanwalt Beckmann und verschiedenen Stadtverordneten. Alle gestikulierten mit beiden Händen und waren furchtbar erregt. Ich fragte die Leute: ,Was ist da los?’ Man antwortete mir: ,Bürgermeister Lappe ist verhaftet und wird ausgewiesen.’ Man hatte ihm nicht einmal Zeit gelassen, Hut und Mantel mitzunehmen. Die Bevölkerung war in ungeheurer Aufregung. Als das Auto abfuhr, drohten Verschiedene den Belgiern mit der Faust und riefen: ,Pfui!’ Auch ich habe laut mitgerufen. Die Bürgerschaft beantwortete die Ausweisung des Bürgermeisters Lappe mit einem allgemeinen Proteststreik. Nach der Ausweisung wurden der Reihe nach seine Stellvertreter Schürholz und Peitz ausgewiesen; Beigeordneter Bergmann Müller blieb stellvertretender Bürgermeister bis zum Schluss der Besatzung.“