Langzeitarbeitslose

Tausend Euro nach einjähriger Arbeitswiederaufnahme in der Kritik

Am 2. Oktober 2024 ging in Form einer Formulierungshilfe aus dem Arbeitsministerium die Entscheidung durch das Kabinett, wonach Langzeitarbeitslose künftig 1000 Euro erhalten sollen, wenn sie ein Jahr lang in einem festen Job durchgehalten haben. Dass Regierungsbeschlüsse keine allzu lange Halbwertzeit haben, ist von anderen Fällen bekannt: Agrardiesel, Kindergrundsicherung, Rentenreform u. a. Neu ist, dass das Kabinett etwas beschloss und sich gleich alle drei Regierungsparteien davon distanzieren. Bei der 1000-Euro-Zahlung, die von der „Bild“-Zeitung empört zur „Arsch-hoch-Prämie“ genannt wurde, dauerte es keine 24 Stunden und sie wurde von allen Seiten kritisiert. Das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag wird die Prämien-Beschluss wohl nicht überstehen: „Das ist ein Unding“ (FDP-Haushaltspolitiker, Frank Schäffler), „nicht erforderlich“ (Grünen-Bundestagsabgeordneter und früherer Verdi-Chef Frank Bsirske), „absurde Idee“ (CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann), „1000 Euro gehen gar nicht“ (SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig), „Wir haben da viele Fragezeichen“ (SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich).

Bei theoretischen Ideen auch die Realitätskontrolle machen

Wie konnte es so weit kommen? In der besagten Kabinettssitzung war auch eine Reihe von Verschärfungen für Bürgergeld-Empfänger beschlossen worden. Zum Beispiel finanzielle Kürzungen bei Ablehnung zumutbarer Arbeit – außerdem werden Arbeitswege von bis zu drei Stunden als zumutbar eingestuft und die Regeln fürs Schonvermögen werden strenger. Um zugleich positive Anreize für den Start in einen neuen Job zu setzen, wurde das der Bundesagentur für Arbeit angeschlossene Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zurate gezogen. Ein Ergebnis: die 1000-Euro-Prämie. Wenn Bürgergeld-Empfänger bedarfsdeckende Jobs aufnähmen, entfalle für den Staat die Sozialleistung, was 25. 000 Euro im Jahr spare, argumentiert der zuständige IAB-Forscher Enzo Weber. Das Argument ist rein volkswirtschaftlich betrachtet nicht von der Hand zu weisen. Aufgabe von Politik ist es allerdings immer, bei solchen theoretisch funktionierenden Ideen aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft den Realitätscheck zu machen. Wäre dieser erfolgt, hätte er ungefähr so lauten können: In Deutschland sind die Anreize zur Arbeitsaufnahme oder auch zum Aufstocken der Wochenarbeitszeit viel zu gering. Eine wichtige Ursache: die sich bürokratisch überlappenden Systeme von Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschüssen. Das System müsste also entschlackt und konsequent auf das Ziel ausgerichtet werden, möglichst viele Empfängerinnen und Empfänger staatlicher Hilfen in Vollzeitjobs zu bringen. Eine neue Prämie wirkt hingegen wie ein Blumenkübel vor einem baufälligen Haus.

„Schwarze-Peter-Spiel“ der Regierungskoalition

Wenn man das nun laufende „Schwarze-Peter-Spiel“ der Regierung zurückverfolgt, dann hat zwar das Arbeitsministerium den Punkt ins Kabinett eingebracht, hinter den Kulissen aber hatte sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für die Maßnahme starkgemacht. Der fachlich zuständige Minister Hubertus Heil (SPD) war dagegen. Vizekanzler Habeck, der gerade dabei ist, die Parteispitze für seinen Wahlkampf als Kanzlerkandidat der Grünen neu aufzustellen, ist unter Zugzwang. Mit dem Rücktritt von Ricarda Lang vom Parteivorsitz und den Parteiaustritten bei der Grünen Jugend ist das bisherige sozialpolitische Profil der Grünen geschwächt.
Für Wirtschaftsminister Habeck ist die Lage jetzt sehr unkomfortabel. Erneut hat er die Stimmung in der Bevölkerung für seine politischen Ideen völlig falsch eingeschätzt, war in der Dorstener Zeitung zu lesen. Die ist ziemlich einhellig: Warum sollen die Leute für etwas belohnt werden, wozu sie verpflichtet sind und was für die Mehrheit eine Selbstverständlichkeit ist: für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen?

Siehe auch: Arbeitslosigkeit (Artikelübersicht)


Quelle: RN (DZ) vom 13. Oktober 2024

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