Kulturstadt Dorsten (Meinungen)

Betrachtungen aus verschiedenen Zeiten und Blickwinkeln

„Mit dem Erziehungswesen fließt ein kultureller Strom zusammen, der die verschiedensten Wissensgebiete befruchtet. Vorträge und Ausstellungen gesellen sich Theater- und Musikveranstaltungen zu. Das Laienspiel besitzt in Dorsten eine sonnige Pflegestätte. Von auswärtigen Bühnen wird die Stadt als aufnahmefähiger Theaterboden seit Jahren ernstlich mit Gastspielen umworben […] Es liegt eine gewissen Tragik darin, dass sich, all diese kulturellen Begegnungen der Kulturarbeit mit ihren Auswirkungen auf den heimatlichen Volkscharakter, seelische Gesundheit usw. nicht gerade buchmäßig nachweisen lassen. Die kulturellen Werte speichern sich in der Stille auf, nicht nur durch persönliches Hinzutun. Dorsten, die alte Kulturstadt an der Lippe, darf auf diesen Kräftevorrat stolz sein!“

Dr. Erich Kretzer
„Dorsten, das Kulturzentrum an der Lippe“
in „Dorstener Volkszeitung“,
Dorsten, 23. März 1930


Billigste Unterhaltungskunst
„Es war schon vorigen Winter so, dass neben wertvollen Veranstaltungen die billigste Unterhaltungskunst sich [in Dorsten] breitmachte und das wieder niederriss, was eben mühsam aufgebaut worden war.“

Westfälische Nachrichten
29. Oktober 1947


 Einsilbig und zäh
Im Vergleich zu anderen Revierstädten, in denen kulturelles Leben vielfältig pulsiert, zeigt sich Dorsten eher spröde, einsilbig und zäh. Kulturleben wird hier importiert; zum Export reicht’s trotz Bemühungen im Zusammenwirken von Kunstverein, Künstlertreff, Kulturamt, Volkshochschule und Privatinitiativen halt (noch) nicht. Hoch einzuschätzen sind indes die Bestrebungen des etwa 250 Mitglieder starken Kunstvereins, Dorstener Künstler zu fördern, sich um Arrivierte ebenso zu kümmern wie um Newcomer, Talenten den Weg zu ebnen …“

Wolf Stegemann
„Zum Beispiel Dorsten – Kultur vor Ort“
in Westfalen-Spiegel Nr. 8/1982“


Bestandsaufnahme
„Dorsten – eine Mittelstadt am Rande des Ruhrgebiets, auf der Schwelle zum Münsterland. Eine Stadt, die folglich vom Bergbau, von der Industrie ebenso geprägt ist, wie von Ackerbau und Viehzucht. Eine Stadt zwischen zwei Welten und mit zwei Welten, eine Stadt, in der sich die Bevölkerung immer schon konfrontiert sah mit geografischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontrasten. Während sich die einen der Landwirtschaft widmeten und ,Plattdütsch küerten’, fuhren die anderen in die Grube und ,quatschten’ im schönsten Ruhrpottdialekt. So war es einmal, so ist es noch heute, wenn sich auch die Grenzen verwischt haben. Wie auch immer: Dass sich im Zuge solcher Gegebenheiten ein ganz besonderes, vielschichtiges Kulturgut herausgebildet hat, liegt auf der Hand. Und vielleicht, ja vielleicht ist gerade das wiederum ein Grund dafür, dass in Dorsten das kulturelle Leben sich so vielfältig präsentiert, obschon auch hier wie anderswo der Rotstift so manchen kulturellen Traum zunichte macht.
Den „Löwenanteil“ in Sachen Kultur teilen sich in Dorsten das Kulturamt und die Volkshochschule. […] Bereichert wurden diese Angebote, seit sich vor einigen Jahren Kulturbeflissene zusammentaten, um den ,Dorstener Kunstverein’ zu gründen. Seine Aufgabe ist die Förderung ansässiger Talente, die hauptsächlich im Rahmen von Ausstellungen er Öffentlichkeit vorgestellt werden. […] Nicht vergessen werden dürfen in diesem Zusammenhang die Musikschule sowie das, wenn auch kleine, so doch äußerst reizvolle Heimatmuseum der Stadt Dorsten. Eine Vielzahl von kulturellen Gruppierungen in mehr oder weniger privater Initiative, wie beispielsweise Orchester, Rockformationen und Laienspielgruppen, runden das Bild ab, aus denen sich der ,Dorstener Künstlertreff’ neben dem ,Wulfener Aktivkreis’ deutlich abzeichnet. Nicht etwa, was die Qualität oder das Engagement der Beteiligten beträfe, als vielmehr in Anbetracht der Organisation, des Selbstverständnisses.“

Elke Jansen
„Kunstszene“ in „Dorstener Künstlertreff“
Dorsten 1982


Nichts zu verlieren
Frage also: welchen Stellenwert besitzt Dorsten als ,Kunst-Stadt’ im Revier? Fühlt es sich an den Rand gedrängt oder ist es nicht mal mehr am Rand? Kann es ein Zentrum des Lippe-Raumes für die Sparte „Kunst“ sein oder werden? Oder nimmt Dorsten gar nicht die Möglichkeit wahr, die Kunst und Künstler bieten? […] Also doch nur Dornröschen-Dasein. Viele Fragen also – und die Antworten? […] Blicken wir zunächst zurück: Dorstens kulturelle Bedeutung war gleich null, auch wenn viele meinen, die Stadt hätte irgendwann mal was mit Kunst und Kultur zu tun gehabt. Auch lassen sich keine Namen von künstlerischem Klang ausfindig machen, sieht man von dem frühen Bildhauer Julius Stracke, geboren 1790, und dem 1813 in Dorsten geborenen Kupferstecher und späteren Nestor der Düsseldorfer Kupferstecherschule, Adam Goswin Glaser, ab. […] Dorsten hat keine Villa Hügel, kein Folkwang-Museum, kein Museum am Ostwall, kein Lehmbruck-Museum, aber einen Kunstverein, der sich bemüht, Brachland zu beackern. […] In Sachen Kunst hat Dorsten nichts zu verlieren, nur zu gewinnen.“

Wolf Stegemann
„Dornröschen-Dasein der Kunst oder Perspektiven?“
in „Heimatkalender der Herrlichkeit Lembeck“,
Dorsten 1983


Dezentralisierung
Neben der mehr inhaltlichen Differenzierung der Kulturlandschaft in ein Vereins- und Gruppenleben gibt es bekanntlich auch die Frage nach der örtlichen Gliederung. Das Thema wird unter der Bezeichnung ,Dezentralisierung’ erörtert. Der Standpunkt Dorstener Kulturpolitik liegt fest. Wer das feinmaschige Kulturgeflecht begrüßt, das die vielen Vereine und Gruppen bilden, sagt auch Ja zur Dezentralisierung. Sie ist die logische Folge der inhaltlichen Auffächerung. Das zeigt die Richtung an, auf die es ankommt.“

Dr. Karl-Christian Zahn, Stadtdirektor
Auszug aus der Begrüßungsrede
der Kultur-Anhörung in Schloss Lembeck im März 1985


Kultur-„Hearing“ 1985 im Schloss
Kultur in Dorsten – gibt es sie überhaupt? Wenn ja, wer hat sie? Wo und wie ist sie bemerkbar? Um zu diesen Fragen Antworten zu erhalten, lud die Kulturverwaltung und der Kulturausschuss im März 1985 sechs Kultur-Experten in den ehrwürdigen Schlaunschen Festsaal von Schloss Lembeck ein, ein kunstvoll kultureller Ort also, dem manchem Beteiligten kalt über den Rücken laufen ließ – aber nur wegen der tiefen Raumtemperatur.
Wer die im Vorfeld dieses seither wahrscheinlich einmaligen Kultur-Hearings von den politischen Parteien im Kulturausschuss der Stadt signalisierten kulturpolitischen Auseinandersetzungen erwartet hatte, sah sich enttäuscht. Denn die eingeladenen Experten sagten nichts Neues. Fünf von ihnen kannten die Dorstener Kulturszene überhaupt nicht. Was am Ende blieb, waren überall nachlesbare Denkansätze über Kultur. […]

Die Kulturspitze der Stadt war vollzählig vertreten, auch der Stadtdirektor und der Bürgermeister waren da, die Zuhörerstühle voll besetzt und die früheren Schlossherren blickten in Öl streng und mit Neugierde auf die Versammelten. Schließlich stand Hochpolitisches auf der Tagesordnung: Erörterung über Rahmenbedingungen und Inhalte mittelstädtischer Kulturarbeit in Dorsten. Bis auf den Vorsitzenden des Kunstvereins, Peter Broich, kamen die anderen Experten aus Nachbarstädten: Dr. Rüth (Marl), Dr. Becker (Bocholt), Jörg Loskill (Gelsenkirchen), Klaus Crummenerl (Gütersloh) und Prof. Günter (Oberhausen). Sie sollten den Dorstenern sagen, was eine Stadt wie Dorsten tun müsse, um kulturell aufzufallen. Doch gleich zu Beginn sagte der kulturpolitische Sprecher der CDU-Kulturfraktion, Gerd Schute, den angereisten Experten, dass er die SPD-Kulturfraktion heftig kritisieren müsse, weil sie diese Veranstaltung zu schlecht vorbereitet habe. Denn die Kulturangebote der Stadt seien für eine Grundsatzdiskussion nicht analysiert worden.
Hingegen lobte der Sprecher der SPD, Horst Köhler, die Kulturverwaltung wegen ihrer guten Arbeit und kritisierte aber die Presse, die nicht genügend Hinweise auf Theatervorstellungen brächte. Dann kamen die Experten zu Wort: Dr. Rüth, Museumsleiter in Marl, regte an, mehr Bildende Kunst zu zeigen, Peter Broich, Dorsten, stellte fest, dass „eine ganze Menge Kultur“ angeboten werde, doch gebe es ein fehlendes Kulturbewusstsein in der Bevölkerung.

Professor Roland Günter, Kultursoziologe in Oberhausen, schlug vor, die Stadtverwaltung solle durch Kultur mehr Lebensqualität in der Stadt schaffen. Jörg Loskill, Kulturredakteur in Gelsenkirchen, meinte provozierend, die Dorstener seien „Kulturschmarotzer“, denn sie nähmen die Kulturangebote der Nachbarstädte in Anspruch. Klaus Crummenerl vom NRW-Kultursekretariat in Gütersloh stellte fest, dass Dorsten mit 2,8 Prozent seines Etats für Kultur zu wenig ausgebe. Der Bocholter Stadtrat Dr. Becker referierte allgemein über Kultur. – Dr. Dieter Nellen (SPD), der damals als Kulturausschussvorsitzender dieses „Experten-Hearing“ mit dem Hintergedanken anregte, die Stadt werde für einen eigenen „Kultur-Experten“ eine Stelle schaffen, mag danach Goethe in den Sinn gekommen sein, der Dr. Faust sagen lässt: „Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!“

Nach  Wolf Stegemann
„Experten sagen nichts Neues zum Thema Kultur“
in „Ruhr-Nachrichten“ vom 15. März 1985


Engagement der Politik
Die Stadt Dorsten hat die Chance, gemeinsam mit bürgerschaftlichem Engagement einen kulturellen Mittelpunkt in der Region zu schaffen, der überregional einmalig ist und somit auch überregionalen Zuspruch erhalten wird. Voraussetzung dazu ist allerdings auch das Engagement von Verwaltung und Politik und der Mut beider, auch in Zeiten des knapper werdenden öffentlichen Geldes sich zu einem Kultur-Projekt zu bekennen und es nach besten Kräften zu fördern. Die Stadt Dorsten hat kulturelle Ressourcen, die zwar in Dorsten selbst bekannt sind, aber nicht so ausgeschöpft werden, dass die Stadt damit regional und überregional Interesse erweckt, sieht man von dem Mitte des letzten Jahres eröffneten Jüdischen Museums Westfalen ab, welches diesen Zweck auf das Beste erfüllt…“

Wolf Stegemann in „Kulturplatz Dorsten“
Denkschrift über den Bau einer Kunsthalle
zur Präsentation von Werken von Tisa von der Schulenburg
und der Sammlung Glasmalerei, Dorsten 1993


Keine homogene Stadt
„Man könnte mehr, wenn man sich anstrengte, wenn man aus der kulturellen Lethargie erwachte. Denn wie sieht in Dorsten das Kulturangebot, das übrigens nur selten von Kulturpolitikern besucht wird, aus? Aus Konsumentensicht mag man zunächst zufrieden sein. […] Doch von der freien Szene, von den Initiativen hört man derzeit wenig. Liegt es daran, dass Dorsten zu wenig Engagierte hat? Oder daran, dass die Kulturverwaltung Aktionen und Vorschläge zu wenig fördert, sich zu wenig als Moderator für die Kulturinitiativen begreift? […] Denn es gibt sie doch noch, die Menschen, die künstlerisch aktiv sind, die sich kulturell engagieren. Kunstverein oder Brahms-Chor, Goethe-Stammtisch oder Virtuell-Visuell, um nur einige zu nennen. Sie haben in den vergangenen Jahren das Leben in Dorsten mit ihren Aktionen bereichert. Verhaftet im Lokalen, aber den Blick über den Tellerrand hinausgerichtet: Beispiele produktiver ,Provinzkultur’ im Positiven. […]  Vieles ist in Dorsten bereits angestoßen worden und ebenso Vieles ist versandet. […] Ein Unding, dass die Werke der Dorstener Vorzeigekünstlerin noch immer keine ständige Heimstatt gefunden haben. […] Woran liegt es, dass Kultur es so schwer hat in Dorsten? Vielleicht daran, dass Dorsten eine heterogene Stadt ist, zerfallen in sehr unterschiedliche Strukturen. […] Vielleicht reicht es ja, auf die vielen Heimatvereine, Chöre, Laientheatergruppen und Hobbykünstler hinzuweisen und ansonsten das Jüdische Museum Westfalen in die Waagschale zu werfen, wenn es darum geht, einen Beitrag für die Kulturszene Ruhrgebiet geleistet zu haben. Die Kulturinteressenten können ja immer noch nach Recklinghausen oder Bochum, Essen oder Duisburg fahren: Kultur ist für Dorsten nie länger als eine halbe Stunde Autofahrt entfernt.“

Michael Klein „Kulturszene in Dorsten“
in „25 Jahre Dorstener Kunstverein 1977 – 2002“
Dorsten 2002


Dorsten bietet Attraktionen
„Was uns alle verbindet, ist, dass wir ein besonderer Menschenschlag sind. Das Ziel der Kulturhauptstadt ist es, ein neues BIld vom Ruhrgebiet in die Köpfe udn das kollektive Gedächtnis der Menscghen zu tragen. Ein BIld, das über rauchende Schlote und die Dicke Bertha hinausgeht. Das Jüdische Museum Westfalen ist eine der vielen Attraktionen, die Dorsten zu bieten hat.“

Prof. Dr. Oliver Scheytt,
Dezernent für Bildung, Jugend und Kultur der Stadt Essen,
Geschäftsführer der RUHR 2010,
2007 im Alten Rathaus Dorsten


Veranstaltungskalender bereichert
„Der Standort Dorsten bietet ein breites und unterhaltsames kulturelles Spektrum: neben historischen Örtlichkeiten und musealen Ausstellungen finden sich unterhaltsame wie nachdenklich stimmende Veranstaltungen im Jahreskalender der Stadt. Zwar ist das Zentrum Dorstens im Bereich der Altstadt gut vertreten, doch ist das Besondere an der Flächenstadt, dass sich die Stadtteile eines besonderen Selbstbewusstseins erfreuen. Dort ansässige Vereine und Gruppen haben einen hohen Identifikationsgrad mit ihrem Wohnumfeld und engagieren sich in Chor- und Musikgemeinschaften, Sport- und Tanzgruppen oder in Traditionsvereinen und Heimatverbänden. Mit ihren Veranstaltungen bereichern Sie den Veranstaltungskalender der Stadt Dorsten rund ums Jahr.“

Werbe-Homepage der Stadt Dorsten, 2011


Dorsten – meine Niemandsbucht
„Ich bin sehr froh darüber, nicht in einer Scheingroßstadt wie Essen, sondern in Dorsten aufgewachsen zu sein, denn so geriet ich gar nicht erst in Versuchung, mich hier einrichten und die ,Abweichung von der Norm’ auf Dauer aushalten zu wollen. Mir kommen oft die Verse von John Cale und Lou Reed in den Sinn: ,When you’re growing up in a small town / you know you’ll grow down in a small town / there is only one good use for a small town / you hate it and you’ll know you have to leave’. Ich bin ein großer Fan von James Kochalka, Comicmacher, Sänger und Superstar, der mit seiner Frau, seiner Katze und seinen zwei Söhnen in einer Provinzstadt im US-Staat Vermont lebt, ganz im Einklang mit sich und seiner kleinen Welt, und ich habe mich schon oft dabei ertappt, wie ich mich innerlich frage, ob Dorsten mein Burlington sein könnte, meine Niemandsbucht. Doch ein Gang durch die Fußgängerzone reicht: Nein, dafür ist Dorsten einfach zu hässlich! Ein Freund, der mit mir in Dorsten aufwuchs, zitiert wiederum bis heute gern die Beschreibung, die ich machte, als ich vor einigen Jahren meine Eltern besuchte und durch die Innenstadt lief: ,Dorsten, diese schon am Nachmittag leergefegten Straßen, durch die es weht: Selbstmord, Selbstmord … Seit einem halben Jahr wohne ich mit meiner Frau in Eriwan in Armenien und genieße die Betriebsferne. Ich bin der einzige Schriftsteller weit und breit, doch mein Beruf spielt eigentlich keine Rolle. In Eriwan werde ich vorrangig als Ausländer wahrgenommen – und das ist eine gute Voraussetzung zum Literaturmachen.

Marc Degens
in „Echt. Pop-Protokolle aus dem Ruhrgebiet“,
24. Oktober 2010 in „Mein Poppott“ (online)


Anmerkung:
Die Lexikon-Redaktion erbittet weitere Veröffentlichungen, die eine Meinung über die Kulturstadt Dorsten wiedergeben.

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