„Einverleibungsversuch“ in die VHS scheiterte 1982, doch 1997 klappte es
Von Wolf Stegemann – Schlagzeilen der beiden Lokalzeitungen beherrschten im August des Jahres 1982 überwiegend kulturpolitische „Denkmodelle“, die das politische Klima im Rathaus anreizte. Der Kulturamtsleiter Ludger Heyming und sein Stellvertreter Wilzek hatten in anderen Städten bessere Angebote gefunden. Mit Weggang der beiden gab es kein Kulturamtspersonal mehr. Die Verwaltung musste das Kulturamt mit der Leiterstelle und Personal neu besetzen. Wie aus den damals veröffentlichten Zeitungsberichten hervorgeht, wollte der Volkshochschulleiter im Bildungszentrum Maria Lindenhof, in dem auch das Kulturamt untergebracht war, auch Chef des Kulturamts werden und machte sich stark, dass das jetzt verwaiste Kulturamt der Volkshochschule eingegliedert werde. Dabei ginge es weniger um Kultur als um Geld. Denn der Volkshochschule standen Finanzkürzungen bevor. Daher käme der Volkshochschule der Kulturetat gerade zu recht, welcher der Volkshochschule im Falle der Eingliederung zur Verfügung gestanden hätte.
Gerüchte, die Volkshochschule würde das Kulturamt beanspruchen
Bereits Anfang August 1982, bevor das Politikum um die Selbstständigkeit des Kulturamts so richtig in Gang gekommen war, verkündete Stadtdirektor Dr. Zahn als Leiter der Verwaltung, dass das Kulturamt voraussichtlich von dem aus Bottrop stammenden Oberinspektor Wolfgang Müller, der seit dem 1. August 1982 im Liegenschaftsausschuss tätig sei, Leiter des Kulturamts am Oktober werden würde. Auf die freiwerdende Stelle des Kulturamtsleiters hatten sich 57 Bewerber gemeldet. Müller war der 58. Denn Dr. Zahn wollte die Stelle von einem Mitarbeiter aus dem eigenen Haus besetzen. Die WAZ vom 3. August 1982: „Kulturmacher ist Newcomer! Müller ist verheiratet…, kam beruflich allerdings noch nicht mit kulturpolitischen Aufgaben in Berührung.“ Diesem Vorhaben, Müller zu benennen, stimmten die drei Ratsfraktionen zu, allerdings vorerst nicht der Personalrat. Dieser monierte, dass keine hauseigene Ausschreibung erfolgt sei. Jetzt meldete sich Franz-Josef Stevens, Leiter der Volkshochschule, und beanspruchte das Kulturamt für seine VHS und die Leitung desselben unter seiner Regie. Diese Meldung bewegte sich vorerst auf der Ebene der Gerüchte. „Mit Bestürzung hat der Dorstener Stadtverband der SPD jene Gerüchte zur Kenntnis genommen, denen zufolge die Eigenständigkeit der Dorstener Kulturarbeit vernichtet werden soll“, schrieb dazu Wolf Stegemann in den Dorstener „Ruhr-Nachrichten“ vom 20. August 1982. Denn die Volkshochschulisierung städtischer Kulturarbeit wäre schon sonderlich gewesen, denn zwei Jahre zuvor wurde die Schaffung eines personell eigenständigen Kulturamts im Rathaus als Fortschritt gefeiert und „jetzt“, so die RN, „wird offenbar ein hastiger Rückzug ins kulturpolitische Mittelalter eingeleitet“.
Eingliederung in die VHS wäre kaum eine finanzielle Einsparung gewesen
Bislang war das Kulturamt von zwei Ganztagskräften besetzt. Nach dem „Denkmodell“ des Volkshochschulleiters, das Kulturamt zum Bestandteil der VHS zu machen, sollte die Kulturarbeit von einem Mitarbeiter der VHS mitverwaltet werden. Im Weiterbildungsbereich standen Finanzkürzungen an, was zudem den zusätzlichen Arbeitsbereich Kultur arbeitstechnisch weiter belastet hätte. Ein Kuriosum in der Dorstener Ratsgeschichte war auch die Tatsache, dass der Haupt- und Finanzausschuss am 1. September 1982 eine Entscheidung in einer Sache fällen sollte, zu der der zuständige Kulturausschuss sich vorher weder beraten noch Stellung nehmen konnte. Hätte man das Kulturamt der Volkshochschule eingegliedert, wäre dies kaum eine finanzielle Einsparung gewesen. Denn Franz-Josef Stevens, dessen Leiter-Bezüge bei rund 5.700 DM lagen, hätte eine Aufbesserung dieser Dienstbezüge um 600 DM erhalten. Dazu die „Ruhr-Nachrichten“: „So teuer und doch so billig ist die Vernichtung zweier krisensicherer Arbeitsplätze, die jetzt im kalten Handstreich beseitigt werden.“
57 Bewerber von außen und eine aus dem Rathaus für das Kulturamt
Die Frage, ob das Kulturamt seine Selbstständigkeit verlieren sollte oder nicht, wurde zum Lokal-Politikum. Der Personalrat mischte sich natürlich ein und bedauerte, dass es für die Stelle des Kulturamtsleiters 57 Bewerbungen von außen gab, aber nur eine einzige aus dem Hause, nämlich die von Wolfgang Müller. Auch monierte der Personalrat, dass unter den 60 Bewerbern von außen keiner zur Wahl vorgeschlagen wurde. Dazu Stadtdirektor Dr. Zahn: „Betrachtet man die Bildungswege der Bewerber, gibt es einfach für uns keinen idealen Kandidaten.“ Dazu war in er WAZ vom 27. August 1982 ein Leserbrief abgedruckt, in der die Frage aufgeworfen wurde: „Wenn von den 58 Kandidaten tatsächlich keiner Dorstener Anforderungen gerecht wird, auf Personal aus dem eigenen Haus jedoch schnell zurückgegriffen werden soll,, stellt sich die Frage: Beschäftigt die Stadt wirklich nur Experten? Auf den Bildungsweg des Nachfolgers aus dem eigenen Haus bin ich gespannt.“
Denkmodell: Lehrer sollte die städtische Kultur organisieren
Vor der Presse betonte Dorstens Verwaltungschef über die Kürzungsandrohungen des Landes für die VHS, die eine weitere Reduzierung des Bildungsangebotes zu Folge haben werde. Er meinte, dass die vier hauptamtlichen pädagogischen Kräfte an der VHS aus finanziellen Gründen auf Dauer nicht gehalten werden könnten. Die Verwaltung konnte keine praktische Lösung vorlegen, dafür ein weiteres „Denkmodell“: Einer der „Hauptamtlichen“ der VHS könnte die Leitung eines nach wie vor selbstständigen Kulturamts übernehmen. „Damit würde der Bedeutung des Ressorts Kultur Rechnung getragen werden.“ Die Ruhr-Nachrichten fragten in diesem Zusammenhang, ob denn ein Pädagoge in der Lage sei, Kulturveranstaltungen durchzudenken und zu organisieren.
Mit Wolfgang Müller blieb das Kulturamt 14 Jahre lang selbstständig
Bei allen Denkmodellen blieb Wolfgang Müller als Leiter eines selbstständigen Kulturamts im Gespräch. Stadtdirektor Dr. Zahn schlug ihn schließlich den Ausschüssen und dem Rat als neuen Leiter eines selbstständig bleibenden Kulturamts vor und bekam Zustimmung. Ab 1. Oktober 1982 trat Müller dann als neuer Leiter eines sich dann personell erweiterten Kulturamts seinen Dienst an. Als solcher wollte er sich an den Spekulationen gegenüber der Presse nicht äußeren, warum die Neubesetzung des Kulturamts zu diesen Denkmodellen und zum Politikum führte. Er wies auf die Folgerichtigkeit der Begründung von vor zwei Jahren hin, als das Kulturamt selbstständig wurde, und man damals „über die Notwendigkeit einer Kulturamts-Autonomie im klaren war“. Und auf die Frage, dass er als Branchenfremder in die Leitung des Kulturamts berufen wurde, sagte Wolfgang Müller: „Ich hatte immer ein zwar nicht institutionell gebundenes, aber dafür privates Interesse für die Materie. Hinzu kommt, dass ich mich für aufgeschlossen halte, mich gerne mit vielen Menschen umgebe. Als Mäzen mit Pensionsberechtigung, der von oben Kultur diktiert, sehe ich mich sicher nicht.“ Wolfgang Müller blieb 14 Jahre lang Kulturamtsleiter eines Teams, das sehr erfolgreich arbeitete und viele Kultur-Projekte erfolgreich mit auf den Weg brachte. Über diese 14 Jahre ist nachzulesen im Lexikon-Eintrag „Wolfgang Müller“, Link unten.
Kulturdezernent beendete 1997 die eigenständige Kulturamts-Arbeit
Mitte der 1990er-Jahre kam die Zeit, in der Dorstens Politiker die Kultur – überspitzt gesagt – zur Konkursmasse machten. Es bewahrheitete sich wieder einmal die Erkenntnis, dass man bei der Kultur am ersten spart, wenn der Rotstift das verlangt? So war es auch in Dorsten. Die Stadt hatte seit 1987 mit Dr. Johannes Backherms (SPD) einen neuen Kulturdezernenten, der 1996 Dorstens kulturelle Zukunft öffentlich zwar noch rosig schilderte, den Rotstift aber schon längst in der Hand hielt und das alte „Denkmodell“ von der Eingliederung der Kultur in die Volkshochschule bereits hervorgeholt hatte. Durch die Zusammenlegung, so Backherms, würden „Synergieeffekte“ gewonnen werden. Zum 1. Januar 1997 wurde das Kulturamt in der bisherigen Form aufgelöst, worüber Franz-Josef Stevens natürlich späte Freude zeigte, weil auch Kulturdezernent Backherms meinte, dass die Volkshochschule nicht nur Weiterbildung betreiben, sondern auch Busfahrten zu Theatern und Konzerten organisieren könne. Wörtlich: „Hier werden Dorstener bedient, die Hochkultur wollen.“ – Na ja!
Flachere Hierarchien und größere Ämter in der Verwaltung
Neben den Sparmaßnahmen in der gesamten Verwaltung wurden in der Zeit auch neue Steuerungsmodelle in der Verwaltung und im Haushaltswesen erörtert. Es war erstmalig von Budgetierung (in eigener Verantwortung der Ämter) die Rede. Bei den Steuerungsmodellen ging es aber auch um die Bildung größerer Organisationseinheiten und flachere Hierarchien. Größere Einheiten bedeutete Eingliederung kleiner Ämter in größere. Den Anfang machten Sport- und Kulturamt. Dr. Johannes Backherms forcierte diese Überlegungen in seinem Dezernat. Später erfolgte noch die Auflösung des eigenständigen Umweltamtes in das Stadtplanungsamt nach Wechsel des Amtsleiters nach Münster. Unter anderem wurde auch das Garten- und Friedhofsamt eingegliedert. 1997 war dann das Jahr, in der Dorstens städtische Kultur die Eigenständigkeit verlor und von der VHS mitverwaltet wurde. Trotz unübersehbaren negativer Folgen gilt es, die Organisation und Durchführung der 750-Jahr-Feier der Stadt mit vielen mitwirkenden Bürgern und Bürgergruppen hervorzuheben. Der bisherige Leiter des Kulturamts wurde Verwaltungsleiter von VHS und Kultur bis 2008. Danach wechselte er ins Standesamt und traute in den Jahren bis zu seinem Ausscheiden in den Ruhrstand 2013 rund 300 Brautpaare und hofft, wie er im Rückblick sagt, dass viele dieser Ehen länger halten als die Selbstständigkeit des städtischen Kulturamt gedauert hatte.
Siehe auch: Wolfgang Müller
Siehe auch: Volkshochschule
Siehe auch: Kulturstadt Dorsten (Meinungen)
Siehe auch: TheaterZeitReise
Siehe auch: Franz-Josef Stevens
Siehe auch: Dr. Johannes Backherms
Quellen: Ruhr-Nachrichten vom 20. Aug. 1982, 28. Dez. 1988, 30. Nov. 1996. – WAZ vom 3. Aug., 18. Aug., 27. Aug., 12. Okt. 1982. – Gespräch mit Wolfgang Müller (2018).