Kinderkarussell störte am Feiertag – Ein Aktenvorgang aus dem Jahr 1922
Seit Jahren diskutieren Bundestag und Landtage, Parteien, Kirchen und Einzelhandelsverbände über eine Liberalisierung von Geschäftsöffnungen an Sonn- und Feiertagen. Dass man sich an Sonn- und Feiertagen auch vergnügen kann, ist schon lange keine Thema mehr. Es ist aber noch gar nicht so lange her, da gab es sonntags nur Kirche und anschließend das Vergnügen im Wirtshaus. Darüber hinaus war jede andere öffentliche Lustbarkeit verboten. Doch wo es Verbote gibt, da wird auch dagegen verstoßen. So musste sich im Juni 1922 Polizeikommissar Schulz vom Holsterhausener Kommissariat mit „allerhand Klimbim“ befassen, wie er in einer Stellungnahme dem Wulfener Amtmann Christoph Kuckelmann berichtete. Dieser fuhr am 2. Juni 1922 am Abend durch Hervest und Holsterhausen zurück nach zu seinem Dienstsitz in Wulfen. Dabei sah er in Holsterhausen eine Schiffsschaukel und auf dem Rensingschen Platz gegenüber der Augustaschule in Hervest einen Zirkus. „Das findet nicht meine Billigung“, schreibt er an den zuständigen Polizei-Kommissar in Holsterhausen. „Ich ordne deshalb an, dass bis auf Weiteres jeder Antrag auf Erteilung einer Genehmigung zu einer derartigen Veranstaltung mir vorzulegen ist mit Ihrer gutachtlichen Äußerung.“ Amtmann Kuckelmann merkt noch an, dass die Anträge schriftlich ihm einzureichen seien, denn „persönlich will ich diese Leute nicht sprechen, auch will ich telefonisch dieserhalb nicht angerufen werden“. Der Amtmann fühlt sich in seiner geheiligten Feiertagsruhe gestört.
Sozial eingestellter Polizeikommissar
Der in diesem rüden Amtston angesprochene Untergebene hatte nun eine dienstliche Einlassung zu formulieren, wobei Polizeikommissar Schulz alle Register zog,, denn der Fall schien an dessen Amtsehre gegangen zu sein. Schulz war äußerst erzürnt, weil man ihm unterstellen könnte, er habe sich nicht korrekt an die Provinzial-Polizei-Verordnung vom 24. Juli 1897 mit Nachtrag vom 4. November 1920 gehalten. Zudem wird in diesem Schriftverkehr deutlich, wie sozial eingestellt der Polizeikommissar war und wie den Lustbarkeiten abhold der Amtmann Kuckelmann.
In seiner Entgegnung hatte Schulz offensichtlich überlesen, dass es sein Dienstvorgesetzter war, der die Beschwerde führte. Denn anders ist es nicht zu deuten, wenn Schulz dem Amtmann widersprach und feststellte, dass der Inhalt der Beschwerde nicht den Tatsachen entsprach. „Es scheint deshalb notwendig, so der Kommissar weiter, „die Beschwerdeführer anzuweisen, sich der größten Wahrheit beim Vorbringen der Klagen zu befleißigen.“ Niemals habe während seiner Amtstätigkeit an den hohen christlichen Festtagen ein Kirmesrummel oder dergleichen stattgefunden, schrieb Schulz erzürnt und wurde im nächsten Satz heftig: „Wer das Gegenteil behauptet, bitte ich mir namhaft zu machen.“ Im Übrigen habe er die von ihm erteilten Genehmigungen für Schausteller an Feiertagen bisher stets auf Grund schriftlicher Anweisung des Herrn Amtmanns erteilt.
Karussellbesitzer Reinoldi hatte die amtliche Genehmigung
Im vorliegenden Fall habe es sich um einen Ausnahmefall gehandelt, berichtete Schulz seinem Vorgesetzten: „Der Karussellbesitzer Reinoldi aus Bochum hatte gelegentlich des Kriegerfestes in Holsterhausen ein Karussell aufgestellt. Von dortiger Stelle war ihm dann für das Schützenfest in Rhade, Kriegerfest in Lembeck und Schützenfest in Erle die Erlaubnis erteilt worden.“ Deshalb holte sich Reinoldi im Holsterhausener Polizeikommissariat die Genehmigung, die Zeit zwischen diesen Festen zu nutzen, und sein Karussell in Holsterhausen und Hervest aufzustellen, weil er sein Karussell in dieser Zeit nicht wegfahren konnte, wie er argumentierte. Allerdings hatte Reinoldi an den Feiertagen sein Karussell nicht in Betrieb genommen, wie Schulz dem Amtmann schrieb.
Zur Beschwerde über den Zurkus schrieb Schulz, dass der Besitzer schon über 70 Jahre alt sei und mehrere kriegsversehrte Söhne habe, die alle vom Zirkus ernährt werden müssten.
„Um den armen Leuten ihr Los nicht noch mehr zu erschweren, habe ich dem Besitzer, welcher tatsächlich in ärmlichen Verhältnissen lebt, er konnte nicht mal die Lustbarkeitssteuer vorher bezahlen, die Erlaubnis erteilt.”
Und weiter heißt es in dem zwei Seiten langen und eng beschriebenen Brief, dass der Zirkus danach nach Marl weitergezogen sei, „woselbst er an den Pfingsttagen gespielt“ habe. Natürlich war der Zirkusinhaber Reinoldi „im Besitze ordnungsgemäßer“, also für den Regierungsbezirk Münster gültiger Wandergewerbescheine.
Genehmigungen für Lustbarkeiten an Sonntagen wurden auch mal versagt
Polizeikommissar Schulz nutzt die Gelegenheit, um seinem Chef zu berichten, wie er es denn sonst mit solchen Lustbarkeiten in Holsterhausen und Hervest gehalten habe. Und wenn er Genehmigungen versagen musste, was er wiederholt getan habe, dann hätten sich die Abgewiesenen gewundert: „Das wäre ja komisch“, sagten sie zu Schulz, andere Verwaltungen würden nicht abweisen und kämen ihnen stets in jeder Weise entgegen.
Schulz wurde stutzig. Also stellte er bei einer „Conferenz der Polizeikommissare“ darüber Nachforschungen an und musste feststellen, dass es meist so war, wie die Schausteller es sagten. Und dem Amtmann gegenüber stellte er klar:
„Bei Erteilung der Erlaubnis habe ich mich in jedem Falle von dem Gedanken leiten lassen, den Gemeinden Hervest und Holsterhausen die Lustbarkeitssteuer, welche nach der neuen Lustbarkeitssteuerverordnung ja sehr hoch ist, zukommen zu lassen.“
Zum Schluss lässt der Polizeikommissar es nicht unerwähnt, dass die Stadt Dorsten im Lippetal „alle Augenblicke Kirmesrummel abhält“. Er erinnert dabei an die vielen Kirmessen, die in jedem Jahr in Dorsten stattfinden. Und dann machte sich der Briefschreiber Sorgen, wo das Geld der Holsterhausener bleibt:
„Diese Festlichkeiten in Dorsten werden meist auch von Einwohnern der Gemeinden Hervest und Holsterhausen besucht, und wird das Geld auf diese Weise nach Dorsten gebracht und dortselbst in Wirtschaften usw. verjubelt, während es, wenn hier ab und zu derartige Veranstaltungen, wie diese, auch von mir ab und zu genehmigt worden sind, stattfinden, in der Gemeinde bleibt.“
Lustbarkeiten müssen eingeschränkt werden
Amtmann Kuckelmann nimmt das Schreiben zur Kenntnis, rügt seinen Polizei-Kommissar am 6. Juli 1922 wiederum und wies ihn an:
„Die Lustbarkeiten müssen soviel wie möglich eingeschränkt werden. Auch der Umstand, dass eventl. in Dorsten die Veranstaltungen stattfinden, kann keinen Grund abgeben in der Genehmigung von Anträgen auf Veranstaltung von Lustbarkeiten milde zu verfahren.“ Und dann rüffelt er im barschen Ton weiter: „Gegenüber den Schäden, welche vielfach mit den Lustbarkeiten verbunden sind, kommen die geringen Lustbarkeitssteuerbeträge nicht in Betracht.“
Dass die Holsterhausener auch Freude an den Lustbarkeiten haben könnten und sollten, kommt dem Verwaltungsjuristen in Wulfen erst gar nicht in den Sinn. Seinem altgedienten und in diesem Falle sozial eingestellten Polizeikommissar entzieht er sogar bei künftigen Lustbarkeitsdingen die Exekutivgewalt: „Bis auf Weiteres sind die Lustbarkeiten von mir zu genehmigen.“ – Der Holsterhausener Polizei-Kommissar Schulz schreibt seinem Amtmann tags darauf lapidar zurück, dass er den Vorgang zur Kenntnis genommen habe. Dann legt er ihn unter II. 4. 11 zu den Akten.
– Wolf Stegemann