Als Ernster Bibelforscher 1943 aus Glaubensgründen hingerichtet
1900 in Landsberg/Oder bis 1943 in Halle/Saale; Kriegsdienstverweigerer. – Mit ihm gilt es einen Mann zu würdigen, der aus religiösen Gründen bewusst die Todesstrafe auf sich nahm, obwohl nur ein Wort von ihm genügt hätte, und er wäre der Verfolgung entkommen. Als Bibelforscher (heute bekannt als „Zeugen Jehovas“) wurde der Holsterhausener Maschinist wegen „Eidesverweigerung“ (und somit Kriegsdienstverweigerung) vom Reichskriegsgericht Berlin zum Tode verurteilt und mit dem Fallbeil hingerichtet. Seine Frau in Holsterhausen erhielt einen Brief mit der Rechnung und der Grabnummer. Zu zahlen für die Todesstrafe 300 RM, für Postgebühren 2,70 RM, für den Anwalt 80 RM, für die Strafvollstreckung 158,18 RM, für das Porto der Übersendung der Rechnung 0,12 RM und für die begangene Straftat und Untersuchungshaft 200 RM.
Maschinist auf der Zeche
Artur Kramm wuchs bei Pflegeeltern in Essen auf. Die vielen Toten des Ersten Weltkriegs, an dem Kramm noch teilnahm, und die Heldengesänge auf Kaiser und Tod hörte, ließen ihn später zum überzeugten Bibelforscher werden. Nach Holsterhausen kam Kramm 1921, wo er seine Frau Maria Schulz heiratete, die bei den Drahtwerken beschäftigt war. Das Paar zog in eine Zechenwohnung in der Heinrichstraße, denn Kramm fand Arbeit als Maschinist auf der Zeche Baldur. In Holsterhausen bekam er erste Kontakte zu Bibelforschern, die an der Haustür Werbematerial abgaben. Die 1922 geborene und nach dem Krieg in Rheine lebende Tochter Wanda erinnerte sich 1982 im Gespräch mit dem Verfasser, dass in ihrem Vater die schrecklichen Bilder der Toten bei einem Feldgottesdienst im Ersten Weltkrieg hochkamen. Kramm vertiefte sich in die Schriften und fand für sich die „Wahrheit des Glaubens“, die er seit jenem Kriegserlebnis suchte. Er wurde Bibelforscher.
Dem Stellungsbefehl zur Flakstellung Dorsten nicht nachgekommen
Nachdem die Bibelforscher 1933 verboten wurden, durchsuchte die Gestapo mehrmals Kramms Wohnung in der Heinrichstraße. Er wurde mehrmals verhaftet und zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt, die er in Bottrop verbüßte. Nach seiner Entlassung 1937 arbeitete Kramm dienstverpflichtet für Niedrigstlohn. Er weigerte sich, in die Reichsarbeitsfront einzutreten. Im März 1943 bekam er den Stellungsbefehl als Soldat. Er sollte in der Flakstellung Dorsten zum Kriegsdienst erscheinen. Kramm ging nicht hin; er verweigerte sich. Damit nahm sein Leben eine Wendung, an dessen Ende der baldige Tod stand. Siebenmal wurde er von einem Offizier vorgeladen, der ihn zu überreden versuchte. Mit der Bibel in der Hand weigerte sich Kramm beharrlich. Am Ende sagte der Offizier: „Mensch, bedenken Sie, Sie werden erschossen!“ Kramm antwortete: „Ich bin Bibelforscher und werde niemals eine Waffe gegen Menschen richten!“ Bei der achten Vorladung wurde Kramm verhaftet und in das Gefängnis nach Essen gebracht. Nach 14 Tagen forderte ihn die Gestapo Berlin an. Vor dem Reichskriegsgericht machte man ihm den Prozess. Seine damals in Berlin lebende Schwester durfte zeitweise der Verhandlung beiwohnen. Sie berichtete: „Artur war sehr schlimm zugerichtet. Er hatte überall Wunden. Seine Hand- und Fußgelenke waren dick angeschwollen, weil er monatelang in Fesseln gelegen hatte.“
Im Zuchthaus in Halle /Saale geköpft
Er wurde zum Tode verurteilt. Artur Kramm, der seine Wahrheit gefunden hatte, starb für sie. In der Gerichtsverhandlung soll er seine Bibel in die Höhe gehalten und gerufen haben: „Hier steht: Wer das Schwert gebraucht, wird durch das Schwert umkommen!“ In seinem Abschiedsbrief schrieb er seiner Frau „Wir sollen auf alle Fälle Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Am 24. September 1943, morgens um fünf Uhr, wurde Kramm im Zuchthaus „Roter Ochse“ in Halle an der Saale mit dem Fallbeil enthauptet. Nach dem Krieg hob auf Betreiben der Generalstaatsanwaltschaft Hamm der Bundesgerichtshof alle Urteile gegen die Bibelforscher auf. Wiedergutmachungsverfahren blieben wegen fehlender Akten meist ohne Erfolg. Für das vollstreckte Todesurteil bekam die Witwe von Artur Kramm 1953 eine Rentennachzahlung von 2.000 DM und 1958 eine eigene Haftentschädigung von 420 DM. Der Ökumenische Geschichtskreis Holsterhausen brachte 2007 am Kommunalfriedhof in Holsterhausen eine Gedenktafel an, die an das Schicksal Artur Kramms erinnert.
Zur Sache: Schon 1936 schuf die Reichsregierung als oberste Instanz der Militärgerichtsbarkeit das Reichskriegsgericht in Berlin, das bis zum Krieg in erster Instanz zuständig war für Hoch-, Landes- und Kriegsverrat von Wehrmachtsangehörigen sowie für Wehrdienstverweigerung. Im Krieg war das Reichskriegsgericht alleinige Instanz für Spionage, Wirtschaftssabotage und Wehrkraftzersetzung, ihm wurde 1943 ein „Sonderstandgericht für die Wehrmacht“ angegliedert.
Siehe auch:
Religionsgemeinschaften (Artikelübersicht)
Quelle/Literatur:
Wolf Stegemann in „Dorsten unterm Hakenkreuz“, Bd. 2, 1984. – Ders. in „Holsterhausen unterm Hakenkreuz“, Bd. 1, 2007