Überdurchschnittliche Zahlen in Hervest und Barkenberg
Die Gewerkschaften und die Opposition im NRW-Landtag sehen mit Strand 2022 die Gefahr einer wachsenden Kinderarmut. Jedes fünfte Kind lebt in NRW in Armut. Die Tendenz ist durch die Pandemie steigend. Die Gewerkschaft fordert daher, dass sich die Politik endlich wieder auch den Schwächsten der Gesellschaft widmen müsse. „Wer Kinderarmut bekämpfen will, muss die Ursachen in den Blick nehmen, und das bedeutet, Niedriglöhne zu überwinden. Denn ein Drittel der Alleinerziehenden, das sind ganz überwiegend Mütter, arbeitet für einen Niedriglohn. Da müssen wir ansetzen.“ Die Grünen im Landtag warfen im April 2022 der CDU/FDP-Landesregierung einen falschen Umgang mit dem Thema vor: „Armut ist das zentrale Zukunftsrisiko für Kinder in NRW. Die letzten fünf Jahre waren in Sachen Armutsbekämpfung fünf verlorene Jahre.“
2019: In NRW 553.107 Kinder und Jugendliche in der Mindestsicherung
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) versprach, die gut drei Millionen Kinder im Land in den Mittelpunkt seiner Politik zu rücken, verwies aber auch darauf, dass Kinderarmut – gemessen an Leistungen der Mindestsicherung – in NRW rückläufig sei. Tatsächlich ging nach Angaben des NRW-Sozialministeriums die Mindestsicherungsquote der Personen unter 18 Jahre von 19,8 Prozent (2017) auf 18,4 Prozent im letzten berechneten Jahr 2019 zurück. In absoluten Zahlen waren dies zuletzt 553.107 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre in Mindestsicherung. Nimmt man stattdessen aber die Armutsrisikoschwelle, die bei einem vierköpfigen Haushalt zuletzt bei einem Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 2334 Euro im Monat lag, waren 17 Prozent der Gesamtbevölkerung von Armut bedroht, Kinder und Jugendliche jedoch mit 23,1 Prozent überdurchschnittlich stark. Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern waren sogar zu 42,3 Prozent von relativer Einkommensarmut getroffen.
NRW-Ministerpräsident Wüst versprach 2022: „Wir rücken Kinder – gerade nach den Erfahrungen aus der Pandemie – in den Mittelpunkt unserer Politik“, Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche müsse das Leitmotiv der kommenden fünf Jahre sein. Laut NRW-Arbeits-, Gesundheits- und Sozialministerium empfingen 2019 Kinder und Jugendliche Leistungen der sogenannten Mindestsicherung: 0 bis 8 Jahre: 270.900, 8 bis 15 Jahre: 208.230 und 15 bis 18 Jahre: 73.977.
Große Unterschiede in den Dorstener Stadtteilen
In Dorsten nahm in den letzten Jahren die Kinderarmut zu. Das liegt daran, dass immer mehr Familien von Hartz IV-Bezügen leben müssen. Wenn es Kinderarmut auch in allen Stadtteilen gibt, so sind einige Stadtteile besonders betroffen. Spitzenreiter ist nach Auskunft des Jugendamts die Altstadt, wo 29,5 Prozent der Kinder nach den üblichen Kriterien als arm gelten. In Deuten sind es nur 1,0 Prozent der Kinder. Neben der Altstadt sind besonders sie Stadtteile Wulfen, Hervest und Holsterhausen betroffen. Auch innerhalb der Ortsteile gibt es Unterschiede, wie beispielsweise in Wulfen. In Altwulfen sind 10 Prozent der Kinder, in Barkenberg dagegen 36,3 Prozent.
Drastische Verschlechterung der Situation von Kindern
Nach Einschätzung der „Nationalen Armutskonferenz“ (NAK) habe die Hartz-IV-Reform die Situation von Kindern aus einkommensschwachen Familien drastisch verschlechtert. Die Zahlen seien alarmierend und skandalös, kritisierte die Konferenz im Mai 2010. Etwa 2,2 bis 3 Millionen Jungen und Mädchen leben demnach in Familien mit einem Einkommen in Höhe des Existenzminimums – mehr als doppelt so viele wie 2004, als Arbeitslosen- und Sozialhilfe noch getrennt waren. Die bei der Stadt Dorsten angesiedelte Dorstener Kinderferienstiftung fördert in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Stadt und den freien Wohlfahrtsverbänden (Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Diakonie, Innere Mission und Rotes Kreuz) kontinuierlich Ferien für finanziell benachteiligte Kinder. Dem Kuratorium gehören auch Vertreter der Dorstener Zeitung an.
Die Gesellschaft und Politik bekommen Kinderarmut nicht „in den Griff“
Trotz vieler örtlicher Initiativen gibt es in Deutschland jedoch keinen übergreifenden Aktionsplan gegen Kinderarmut. „Es passt nicht zusammen, über Fachkräftemangel zu diskutieren und zugleich zuzulassen, dass etwa 1,9 Millionen Kinder unter 18 Jahren im Hinterhof unserer Wohlstandsgesellschaft in Hartz-IV-Armut leben müssen“ sagte die DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach zur Süddeutschen Zeitung (10. Oktober 2014). Der DGB fordert deshalb ein Sonderprogramm gegen Kinder- und Familienarmut. Es soll sich zunächst auf 450.000 Eltern konzentrieren, die arbeitslos gemeldet sind, Kinder im Haushalt haben, Hartz IV nicht mit einem Zusatzjob aufstocken und an keiner Maßnahme eines Jobcenters teilnehmen. Es sollen geförderte Arbeitsplätze geschaffen werden. Das Programm müssen Jobcenter, Kommunen, der Bund, Wohlfahrtsverbände und Vereine gemeinsam tragen (siehe auch Armut).
UN-Bericht prangert an
Zum wiederholten Male haben die Vereinten Nationen in ihrem Staatenbericht Anfang Juli 2011 die Bundesrepublik wegen der unveränderten schlechten „menschenunwürdigen Bedingungen“, in der arme Menschen leben müssten, angeprangert und „konkrete Maßnahmen“ zur Verbesserung der Situation von Armen, Migranten, Kindern und Pflegebedürftigen verlangt. Jedes 4. Kind gehe ohne Frühstück zur Schule, heißt es in dem Papier. „Tief besorgt“ zeigte sich die UN auch darüber, dass viele seiner früheren Empfehlungen in der Bundesrepublik nicht umgesetzt würden. Erheblich ausgebaut werden müssten Angebote auch für Kinder. – Der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte die Bundesregierung auf, endlich das Armutsproblem anzugehen (dpa-Meldung 7. Juli 2011).