Erster Nachweis über den „Judenbusch“ aus dem Jahr 1628
Im heutigen Stadtgebiet gibt es drei jüdische Friedhöfe. Nimmt man die früher zum Amt gehörenden Gemeinden Erle und Lembeck-Wessendorf dazu, sind es fünf: Altstadt, Wulfen und Lembeck. Die Forschungsgruppe Regionalgeschichte/Dorsten unterm Hakenkreuz ließ 1984 an den drei Dorstener Friedhöfen Gedenktafeln anbringen, die Tisa von der Schulenburg gestaltete.
Altstadt: Der älteste Beleg für die Existenz des Friedhofs im Judenbusch stammt von 1628. Da zu dieser Zeit bereits seit mehreren hundert Jahren keine Juden in Dorsten nachzuweisen sind, dürfte die Begräbnisstätte älter sein und einer Gemeinde als Begräbnisstätte gedient haben, die vermutlich in den Pogromen Mitte des 13. oder Mitte des 14. Jahrhunderts ausgelöscht wurde. 1790 ist in alten Karten der 1.505 qm große Friedhof mit „Judenkirchhof“ eingezeichnet. Nachdem ab 1808 wieder Juden in Dorsten wohnen durften, belegten die zugezogenen Juden den Friedhof neu. Die erste Wiederbelegung stammt von 1815, die letzte Bestattung war 1941. In der NS-Zeit wurde der Friedhof geschändet und die Mauer abgetragen. Nach dem Krieg weideten Schafe und Ziegen auf dem Begräbnisplatz, bis eine jüdische Besucherin des Grabes ihrer Eltern bei der Stadt darüber Beschwerde führte.
Heute sind noch 29 Gräber sichtbar erhalten. Nach dem Krieg wurde 1961 das Grab Salomon Oppenheimers durch Ausgraben des Skeletts geschändet. Die unbekannt gebliebenen Täter vermuteten wohl „Grabbeigaben“. 2007 besprühten unbekannte Täter den Grab-Gedenkstein Max Rosenbaums mit Hakenkreuzen. Offiziell heißt das Waldstück, in dem der Friedhof liegt „Naturpark Hasselbecke, der seinen Namen von dem gleichnamigen Bach hat. Dieser hieß früher Galgenbach, weil er an der Richtstätte vorbeiführte. Juden durften in früheren Jahrhunderten ihre Toten häufig nur an solchen diskreditierten Orten bestatten, wie auch in Schermbeck. 1984 brachte die Forschungsgruppe „Dorsten unterm Hakenkreuz“ eine von Tisa von der Schulenburg entworfene Bronzetafel an.
Lembeck: Auf dem 800 qm großen Friedhof an der Straße „Zum Holtberg“ befindet sich nur ein sichtbares Grab ohne Stein und Beschriftung. Es ist die Ruhestätte von Isaak Lebenstein (gestorben 1918). 1939 wurde der Friedhof enteignet und der Siedlungsgesellschaft Rote Erde GmbH in Münster übertragen. Nach dem Krieg als Gartenland benutzt, einigten sich 1950 die Gemeinde und die Familie des früheren jüdischen Besitzers über eine Wiedergutmachung. Seither gehört der Friedhof der Gemeinde Lembeck bzw. seit 1975, als Lembeck zu Dorsten kam, der Stadt Dorsten. 1984 brachte die Forschungsgruppe „Dorsten unterm Hakenkreuz“ eine von Tisa von der Schulenburg entworfene Bronzetafel an. Das Foto links zeigt Bürgermeister Heinz Ritter, Dirk Hartwich, Wolf Stegemann, Stadtkämmerer Heinz-Dieter Klink, Dr. Kritzki und OLga Wolfsohn von der jüdischen Gemeinde.
Wulfen: Der 260 qm große Friedhof „Auf der Koppel“ ist rechtlich heute noch im Privatbesitz von Nachfahren der früheren Wulfener Familie Moises, die heute in Israel leben. Abraham Moises kaufte das Grundstück 1838. Im Jahr 1937 vergrößerte die jüdische Familie Lebenstein den Friedhof durch Erwerb eines Nebengrundstücks. Ein Jahr später wurde der gesamte Besitz „arisiert“ und ein Teil des Friedhofs an einen Landwirt übereignet. Wulfener verwüsteten 1938 den Teil des Friedhofs mit den acht Gräbern der Familie Moises. 1961 verkaufte der Landwirt seinen Teil des in der NS-Zeit erworbenen Friedhofgrundstücks an die Gemeinde Wulfen. Bei der Eingemeindung nach Dorsten 1975 ging dieser Teil des Friedhofs in den Besitz der Stadt über. Der andere Teil gehört nominell immer noch den Erben der Familie Moises in Israel.
Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof in Wulfen 2014 enthüllt
Auf Anregung der Geschichtsgruppe des Heimatvereins Wulfen wurde 2014 auf dem Friedhof ein Gedenkstein gesetzt, der an die jüdischen Bürger der Familien Lebenstein, Levi und Moises namentlich erinnert, die hier bestattet sind. An der feierlichen Steinsetzung nahmen u. a. Vertreter der jüdischen Gemeinde Kreis Recklinghausen sowie Dorstens Bürgermeister teil. Rolf Abrahamson (Marl) enthüllte den Stein. Er war es auch, der 31 Jahre zuvor als damaliger Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Bochum-Herne-Recklinghausen die Bronzetafel am Eingang des Friedhofs enthüllte, welche die Forschungsgruppe „Dorsten unterm Hakenkreuz“ anbringen ließ. 2016 besuchte der israelische Botschafter in Deutschland, YakovHadas-Handelsman, den Friedhof in Wulfen, um den Heimatverein Wulfen für das Aufstellen des Gedenksteins zu danken.
Lembeck-Wessendorf: Der zur jüdischen Gemeinde Klein Reken gehörende 146 qm große Friedhof liegt auf ehemaligen Lembecker Gebiet „Am Mühlenweg“/„An der Landwehr“ und ist bereits in der Katasteraufnahme von 1825 erfasst. Eigentümer war die jüdische Gemeinde Klein Reken, 1952 wird als Eigentümerin die „Jewish Trust Corporation für Germany Limited“ in London genannt. Noch lange Zeit nach dem Krieg benutzten Anwohner den Friedhof als Müllplatz. 1975 kam der inzwischen mit 364 qm Größe ausgewiesene Friedhof zum Kreis Borken. Eine Gedenktafel erinnert an die einstige Nutzung des Areals als Friedhof.
Erle: Obwohl 1948 der 220 qm große Friedhof an der Schermbecker Straße in Erle zusammen mit allen anderen jüdischen Friedhöfen erfasst wurde, blieb er in der Gemeinde vergessen. Erst 1961 meldete der Amtsdirektor dem Regierungspräsidenten, dass hier ein jüdischer Friedhof ausfindig gemacht worden sei. Das Dreiecksgrundstück gehörte der Familie Cahn, die aus Erle vertrieben wurde und zuletzt in Südafrika wohnte. 1952 erwarb eine Erler Familie den Friedhof, die das Grundstück 1963 an die Gemeinde weiter verkaufte. Zu sehen sind noch vier Gräber der Familie Cahn mit Steineinfassungen ohne Grabsteine. Nach Auskunft der Gemeinde ist der Friedhof in der NS-Zeit nicht geschändet worden.
Haus des Lebens. Jüdische Friedhöfe – Nischen der Zeit
Als die Seele Rabbi Mecharschejas zur Ruhe einging, trugen die Dattelpalmen Dornen. Beim Tod Rabbi Hammunas fielen Hagelsteine vom Himmel, als der Rabbi Meir Ben Baruch von Rothenburg m Gefängnis starb, weinten die Mauern, und als Rabbi Jaakow starb, sah man am Tag die Sterne. Selbst Himmel und Erde trauerten über den Tod dieser Leuchten der Gesetze.
Als im Oktober 1941 die in Dorsten beliebte Amalie Perlstein im hohen Alter starb, weinte eine kleine Gemeinde, die um das Grab stand und die Tote beneidet haben mochte: Sie hatte nationalsozialistische Demütigung und Verfolgung überstanden. Amalie Perlstein war die letzte Tote, die auf dem jüdischen Friedhof im „Judenbusch“ nahe der Marler Straße beigesetzt worden war. […]
Wer den alten, nach dem Krieg wieder hergestellten Friedhof betritt, der spürt, dass Schmerz und Trauer vergänglich sind zwischen Himmel und Erde. Von Dauer ist hingegen die endlose Ablösung des Lebens durch Eltern, Kinder und Kindeskinder. Doch hier ist diese Ablösung unterbrochen. Stillstand ist eingetreten. Das macht betroffen. Die Verlassenheit des Ortes dringt in die Seele des Besuchers. Hier ist mehr zu spüren als die Endgültigkeit des Todes. Die Natürlichkeit vom ewigen Werden und Sterben bleibt diesem Ort versagt. Es ist kein Ort der sichtbaren Liebe der Hinterbliebenen, vielmehr ein Ort der endgültigen Endgültigkeit. Das umgibt ihn mit einem Geheimnis: dieser Ort ist ein befreiter Ort, eine kleine eigene Welt inmitten des kleinen Wäldchens, von dessen Bäumen im jährlichen Zeitenwandel die welken Blätter auf die Gräber fallen und von den städtischen Gärtnern wieder fortgenommen werden.
In dieser Nische der Zeit wirkt es merkwürdig windstill. Aus der Zeit scheint Raum geworden zu sein, hier dreht sich der Zeiger einer anderen Uhr. Keine Trauer, kein Schmerz ist zu spüren. In Stein gemeißelte Wut über das Unrecht und Leiden ist hier so fremd wie jeder Blumenschmuck. Das Beklemmende üblicher Friedhöfe fehlt: Jene Mischung aus welkenden Kränzen und angeketteten Gießkannen, aus Neugier und geschäftigem Umhereilen schwarz gekleideter Frauen. Dieser Friedhof ruht in Frieden. Alles ist hier zu Einem geworden, Familiengeschichte zu Provinzgeschichte: eine Oase der Ruhe, in der Leben und Tod, Stein und Pflanze seit langem verwachsen. Efeu, Gras und Laub bedecken die meisten Gräber und verwitterte Steine. […] „Haus des Lebens“ nennt ein altes Wort der hebräischen Sprache den Friedhof und nicht „Haus des Todes“. Trotz aller Endgültigkeit dieses Ortes die Hoffnung. Die Steine haben die Zeiten überdauert. Viel Vergessen und wenig Erinnerung werden von den Ästen der alten Bäume überschattet. Von der Ferne klingen Autogeräusche von der Marler Straße herüber und von dem nahem Spielplatz Kinderrufe. Ein wohltuendes Zeichen in dieser allumfassenden Ruhe.
Wolf Stegemann
aus „Dorsten unterm Hakenkreuz – Die jüdische Gemeinde“, 1983
Quellen/Literatur:
Wolf Stegemann/Sr. Johanna Eichmann OSU „Juden in Dorsten und in der Herrlichkeit Lembeck“, Dorsten 1989. – Hartmut Stratmann/Günter Birkmann „Jüdische Friedhöfe in Westfalen und Lippe”, Düsseldorf 1987. – Bundeszentrale für politische Bildung „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation“, Bonn 1995. – Foto Wulfen: Guido Bludau (Wulfen-Wiki).