Auswanderung oder Auschwitz: Ihr Schicksal bestimmten die Nazis
Von Wolf Stegemann – Dass es in Dorsten – wie auch anderswo – nach der Zeit des Nationalsozialismus nur noch wenige Spuren jüdischen Lebens gab, begünstigte eine Atmosphäre allgemeinen Desinteresses. Zwar griffen landesweit manche Gruppen und Gesellschaften das Phänomen Judentum vor dem Hintergrund der jüngeren Geschichte auf, um Verständnis und Verständigung bemüht, aber zu wenig von dieser notwendigen Aufklärung drang in das Bewusstsein des deutschen Bundesbürgers. Die einfachen Fragen blieben unbeantwortet: Wer waren denn, wer sind denn diese Juden? Wer waren in Dorsten, dieser „romantischen“ Kleinstadt an der Lippe, die Perlsteins und Ambrunns, die Metzgers und Minkels, die Oppenheimers und Lebensteins? Was wissen wir von ihren Schicksalen und Todeswegen, von ihrem Leid und ihren Hoffnungen?
Bendix. Max Bendix, verheiratet mit Regina Lebenstein aus Lembeck, zog von Dülmen nach Lembeck und starb 1921. Die Witwe wurde von Dülmen aus deportiert. Das Ehepaar hatte drei Kinder: Frederike, geb. 11. April 1915, ging 1934 nach Amsterdam und starb 1942 in einem Konzentrationslager; Bernhard, geb. 18. Febr. 1917, besuchte die Schule in Lembeck und emigrierte mit seinem Bruder Walter, geb. 31. Mai 1919, nach Südafrika.
Abraham. Ferdinand Abraham betrieb um 1930 an dr Borkener Straße 181 in Holsterhausen ein Manufakturwarengeschäft. Seine Frau Anna hatte im Haus Borkener Straße 147 ein eigenes Gewerbe, das sie am 1. März 1933 auf den Namen ihres Mannes ummeldete. Das Ehepaar verzog nach Herne. Das weitere Schicksal ist nicht bekannt.
Familie Ambrunn. Julius (Jonas) Ambrunn, geb. 22. November 1872 in Neustadt/Saale. Er war mit Rosalinde Stegerhoff, geb. am 20. November 1871 in Soest, verheiratet. Wann die Ambrunns nach Dorsten kamen, ist unbekannt, wahrscheinlich um 1900. Am 3. Februar 1914 wurde Sohn Kurt geboren, der zuerst das Dorstener Gymnasium Petrinum besuchte, später das in Gladbeck. 1934 machte er Abitur. Kurt galt als hochintelligent. Er lernte Textilkaufmann. Julius Ambrunn war ein frommer Jude, klein und zart von Gestalt und herzensgut. Bis 1932 war er im Vorstand der Synagogen-Hauptgemeinde Dorsten. Später leitete er die Geschicke der Dorstener jüdischen Gemeinde. Die Ambrunns wohnten zur Miete in der Lippestraße 59 (heute Heynck) und hatten dort ein Galanterie-, Glas-, Kurz- und Porzellanwarengeschäft sowie ein „Porzellan-Glasverleihinstitut“. Das Geschäft übernahm in der Nazizeit Hühnerschulte/Heynck. Ambrunn hatte schon in den Jahren 1931/1935 große Überseekoffer für die Auswanderung nach Amerika gepackt und eine Schiffspassage gebucht. Doch seine Auswanderungsnummer wurde nie aufgerufen. Auch wenn er sagte „Es wird nichts mehr werden“, gab er die Hoffnung lange Zeit nicht auf. Schon vor 1933 wurden bei ihm von Mitgliedern der »Schwarzen Front«, die ihr Stammlokal gegenüber bei »Freitag« hatten, die Fenster mit antisemitischen Äußerungen beschmiert. Ambrunns bewohnten die 2. Etage des Hauses Lippestraße 59, später nur noch zwei Zimmer. Ab 1938/39 mussten sie im jüdischen Gemeindehaus wohnen. Im Januar 1942 wurde die Familie nach Riga deportiert und gilt seither als verschollen. Auf Antrag der Forschungsgruppe benannte die Stadt Dorsten 1988 eine Straße am jüdischen Museum nach ihm. Der Trägerverein des Museums verlieh die „Julius-Ambrunn-Medaille“ an Personen und Gruppen, die sich um die Aufarbeitung des Judentums in Westfalen verdient machten. Die Laudatio hielt jeweils der Regierungspräsident.
Familie Bacharach. Hugo Bacharach wohnte mit seiner Frau Berta nur kurze Zeit in Dorsten, Marler Straße 104. Er war Kaufmann. Seine Kinder gingen auf die St. Ursula-Schule: Adda, geb. 14. Juli 1912 in Berlin, und Lore, geb. 7. Mai 1909 in Berlin-Schöneberg. Die Familie scheint Dorsten im Jahre 1921 wieder verlassen zu haben.
Gustav Cohn wurde am 14. August 1873 geboren. Von ihm ist lediglich bekannt, dass er nach Sobibor/ Polen deportiert und nach dem Kriege für tot erklärt wurde.
Familie Freyda. Hermann Freyda, Sohn von Salomon Freyda und Johanna Grossmann, geb. 18. Oktober 1854, gest. 6. Januar 1934, war verheiratet mit Henriette (»Jettchen«) Seligmann, geb. 18. August 1848, gest. 9. März 1928. Hermann Freyda war Textilwarenhändler und fuhr mit dem Fahrrad und der Kiepe auf den Schultern über Land. Er wohnte zuerst in der Blindestraße 31 (heute Ursulastraße), später Westwall 11 und Gahlener Straße. Tochter Rosalie Freyda war verheiratet mit dem Getreidehändler Ulmer aus Duisburg. Über ihr Schicksal ist nichts bekannt.
Norbert Jäckel wurde am 8. Oktober 1890 in Kaluß/Galizien geboren. Er kam nach dem ersten Weltkrieg nach Dorsten. Zeitweise wohnte er in der Alleestraße, später in der Marler Straße 5. Er handelte mit Textilien und Weißwaren und stand oft vor dem Zechentor in Hervest-Dorsten, um an die Bergleute zu verkaufen. Er muss bereits Anfang 1931 verzogen sein.
Familie Joseph. Ernst Joseph, geb. am 25. Dezember 1884 in Kettwig, war verheiratet mit Louise (Liesel) Reichardt, geb. am 14. Oktober 1882 in Wolfshofen/Kassel. Das Ehepaar kam 1911 nach Dorsten und betrieb in der Innenstadt ein Modegeschäft, zuerst in der Essener Straße 11, später am Markt 14, wo sie auch wohnten. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Heinz, geb. 1912, und Grete, geb. 1920. Das Mädchen kam 1926/27 in die „Vorschule“ der Ursulinen. Im Schuljahr 1931/32 verließ sie die Schule. Ernst Joseph gehörte bis zu seiner Auswanderung der Repräsentanz der Synagogengemeinde Dorsten an. Im Jahre 1932 verzog die Familie nach Appeldorn/Holland. Von dort wanderte der Sohn 1938 nach Brasilien aus. Als die Deutschen die Niederlande besetzten, wurde das Ehepaar Joseph und die Tochter Grete über Westerbork nach Auschwitz deportiert, wo die Eltern ermordet wurden. Grete überlebte das KZ und wanderte nach ihrer Befreiung ebenfalls nach Brasilien aus, wo sie ihren aus Berlin stammenden Mann (Bock) heiratete und zwei Kinder bekam: Marcelo und Claudia. Letztere war 2006 in Dorsten, als hier „Stolpersteine“ verlegt wurden. Ihr Bruder Marcelo Bock besuchte 2011 die Geburtsstadt seiner Mutter.
Familie Lebenstein (Lembeck). Isaac Lebenstein, Händler, liegt auf dem Lembecker jüdischen Friedhof begraben. Er war verheiratet mit Sophie Gottschalk (1831 bis 1915), die auf dem Dorstener Friedhof begraben wurde. Kinder: Nathan Lebenstein; Moritz Lebenstein, der nach Belgien oder Frankreich floh und als verschollen gilt; Hugo Lebenstein gilt ebenfalls als vermisst, nachdem er vor 1938 nach Holland emigrierte; Rosalie, geb. 7. Februar 1889, verheiratete Katz, wohnte in Essen und wurde 1941 nach Minsk deportiert, seither verschollen. Ihr Ehemann und ihre drei Kinder sind ebenfalls umgekommen.
Sohn Rudy Katz floh 1939 nach Belgien und von dort in die USA. Er ging in Lembeck zur Schule. Selma Lebenstein gilt ebenfalls als verschollen. Ihre Schwester Bertha Lebenstein, geb. 14. April 1900, starb am 16. Dezember 1944 im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig. Mali Lebenstein, geb. 1891, war mit dem Christen Stutzinger verheiratet und wohnte in Düsseldorf. Während des Krieges wohnten die Stutzingers am Niederrhein, wo sie sich verborgen hielten. Da ihr Mann kein Jude war, blieb ihr das Los ihrer Schwestern und Brüder erspart. Sie starb Mitte der 70er-Jahre. Paula Lebenstein, geb. 1902, wanderte nach Amerika aus. Die Lebensteins wohnten in der Dorfmitte. Sie hatten ein Manufakturgeschäft und betrieben Viehhandel. Sie waren im Dorf gut angesehen und stellten beispielsweise bei den jährlichen Fronleichnams-Prozessionen einen Altar auf, obwohl sie strenggläubige Juden waren. Sie galten als wohlhabend, hatten ein Pferd und eine Kutsche, die man sich für ein paar Groschen ausleihen konnte. Als die Juden keinen Handel mehr betreiben durften, wurden sie von etlichen Lembeckern heimlich unterstützt. Aber es gab auch Lembecker Bürger, die jeden anzeigten, der noch Kontakt zu den Lebensteins hielt. Kurz vor der Deportation wohnte nur noch Bertha Lebenstein im Dorf. Zu einer Nachbarin sagte sie: „Was haben wir nur gemacht, dass man so mit uns umgeht?“
Familie Lebenstein (Wulfen). Alexander Lebenstein, geb. 1860, Händler, war verheiratet mit Amalie; Familienname ist unbekannt. Alexander Lebenstein starb 1931 und ist mit seiner Frau auf dem Wulfener jüdischen Friedhof begraben. Kinder: Josef Lebenstein, geb. 1887, war Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Wulfen und gehörte als Schriftführer von 1913 bis 1933 dem Vorstand an. Im Jahre 1937 reiste er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern nach Holland aus, wo bereits seine Schwester Johanna seit 1933 als Gesellschafterin tätig war. Während des Krieges wird die gesamte Familie nach Auschwitz deportiert und ermordet. Hermann Lebenstein, ebenfalls aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Wulfen, fiel im ersten Weltkrieg (1915). Markus Lebenstein, Bruder von Alexander Lebenstein, blieb unverheiratet und starb im Jahre 1919. Die Lebensteins waren Vieh- und Rohproduktenhändler. Ihr Haus, das sie bei ihrer Ausreise verkaufen mussten, steht noch: Matthäusplatz 2.
Else Leeser wohnte in der Lippestraße 22 und war Verkäuferin im Kaufhaus Bär. Über ihren Verbleib, sie war noch 1938 in Dorsten ansässig, ist nichts bekannt.
Hermann Levinstein wurde am 26. Februar 1885 geboren. Er hatte eine Tuchhandlung in Reken. Kurz vor der Deportation musste er in Dorsten, Lippestraße 57 wohnen. Am 21. Januar 1942 wurde er mit den anderen Dorstener Juden nach Riga deportiert. Er gilt als verschollen. Eine Hanny Levinstein besuchte von 1926 bis 1932 die St. Ursula-Schule.
Familie Metzger. Julius Metzger, geb. 16. Oktober 1873, Viehhändler, war verheiratet mit Sara Lebenstein aus Groß Reken. Zuerst wohnten die Metzgers in der Lippestraße 58, später am Hochstadenwall und ab 1939 im jüdischen Gemeindehaus in der Wiesenstraße. Julius Metzger war ein beliebter Mann und bei den Bauern geachtet. Während der Zeit der Verfolgung brachten die Bauern, seine früheren Kunden, Lebensmittel heimlich in seine Wohnung oder gaben sie bei Nachbarn ab. Das Ehepaar Metzger wurde zusammen mit den Kindern Walther, geb. 27. Juni 1907, Ernst, geb. 14. April 1912, und Max, geb. 5. April 1903, sowie dessen Frau Mathilde Neugarten, geb. 11. Juni 1911, und Kind Judis, geb. 19. September 1938, im Januar 1942 nach Riga deportiert. Ernst und Max überlebten und wanderten nach dem Krieg nach Amerika aus. Max starb vor einigen Jahren. Ernst besuchte Dorsten erstmals wieder im Jahre 1983. Ein weiterer Sohn, Albert, geb. 1902, wanderte schon frühzeitig nach Palästina aus. Er starb 1992 in Dorsten israelischer Partnerstadt Hod Hasharon (seit 1994), Karola Metzger, geb. 10. Mai 1905, ging 1939 nach Argentinien; Erna, verheiratete Stern, ging im Jahre 1938 in die USA.
Familie Minkel. Josef Minkel, geb. 20. April 1864, Pferdehändler aus Mayen, war verheiratet mit Jeanette, geb. 7. März 1884 in Haltern, gest. 7. Mai 1930 in Dorsten. Kinder: Emil (oder Emanuel), geb. 1911, Bäckergeselle, und Hertha, geb. 30. November 1916. Die Minkels wohnten zwischen 1910 und 1920 in der Gordulagasse 6, später in der Wiesenstraße 16 und bis zum Tode von Josef Minkel am 27. Februar 1939 im jüdischen Gemeindehaus in der Wiesenstraße 24. Die Tochter war befreundet mit einem Reichswehr-Unteroffizier. Die Verbindung wurde im Zuge der erlassenen Blut- und Rassengesetze aufgelöst. Im Jahre 1935 bekam Hertha Minkel ein Kind (Josefa), das aber wenige Wochen nach der Geburt starb. Nach dem Tode ihres Vaters wanderte Hertha Minkel über Holland nach England aus und besuchte nach dem Kriege mehrmals Dorsten. Über das Schicksal von Emil Minkel ist nichts bekannt.
Familie Moises. Meier Moises (auch Moses), Sohn von Moses Moises, geb. 22. Dezember 1862, gest. 18. Oktober 1937, war verheiratet mit Johanna Jacob. Die Familie, die seit 1800 in Wulfen ansässig war, betrieb ein Manufakturwarengeschäft, das bereits 1820 gegründet wurde. Die Familie war seit dem Jahre 1800 in Wulfen ansässig. Kinder: Josef, Henriette, Adele und Paula. Josef Moises, geb. am 26. September 1900, Kaufmann, war verheiratet mit Senta Wieler aus Recklinghausen. Zusammen mit seiner Mutter konnte das Ehepaar am 16. Februar 1939 nach Haifa/Palästina auswandern. Er lebt heute in einem Altenheim und besuchte 1978 seine Heimatstadt. Adele Moises, geb. 4. März 1907, bestand im Jahre 1923 die Abschlussprüfung an der Ursulinenschule und besuchte anschließend das Lehrerseminar. Sie war verheiratet mit Fritz Wieler und wohnte später mit ihm in Recklinghausen, Oerweg 47, dann in der Kellerstraße 21 („Judenhaus“). Von dort wurde sie nach Riga deportiert und gilt als verschollen. Paula Moises, geb. 3. Juli 1904, besuchte ebenfalls die Ursulinenschule und verließ sie im Jahre 1921 nach bestandener Prüfung. Sie heiratete und verzog nach Wolbeck bei Münster. Sie und ihre Familie kamen in Riga ums Leben. Henriette („Jettchen“) Moises, die älteste Tochter von Meier Moises, wanderte schon im Jahre 1933 nach Palästina aus.
Else Neuberg war die Geschäftsinhaberin des Kaufhauses zum Bär in der Lippestraße 22, das im November 1938 beschädigt wurde. Bis Mitte der 30-er Jahre war ihre Schwester, Hildegard Neuberg, Mitinhaberin. Ob das Kaufhaus Eigentum der Neubergs oder nur gepachtet war, ist nicht bekannt. Die Familie Bär (oder Baer) stammte aus Recklinghausen, wo sie in der Breitestraße ein Haushaltswarengeschäft hatte. Frau Bär war eine geborene Seligmann und (wahrscheinlich) mit der Dorstenerin Henriette Freyda (geb. Seligmann) verwandt. Über das Schicksal der Geschwister Neuberg ist nichts bekannt.
Familie Oppenheimer. Salomon Oppenheimer, Kaufmann, (1849 bis 1932), wohnte am Westwall 5. 1902 wurde er Schriftführer der Synagogengemeinde Dorsten. In der Lippestraße 51 betrieb er ein Manufakturwarengeschäft mit Damen-, Herren- und Knabenkonfektion. Nebenher schrieb er Gedichte und veröffentlichte sie in der Dorstener Volkszeitung. Anfang der 1930er-Jahre wohnte Salomon Oppenheimer in der Alleestraße 111, zwischenzeitlich auch am Westwall 5. Fanny Oppenheimer, Geschäftsinhaberin, wohnte in der Lippestraße 51. Sie war Ende der 1920er-Jahre Geschäftsinhaberin. Kinder: Alma, Bertha, Jana, und Bruno. Auch gab es noch eine Irma Oppenheimer, die in Hausgemeinschaft mit den Oppenheimers lebte. Die Familie wanderte nach dem Tode von Salomon Oppenheimer im Jahre 1932 in die USA aus. Bruno kam erstmals im Jahre 1946 als US-Offizier nach Deutschland zurück. Später wohnte er in Amsterdam. 1977 war er letztmalig in Dorsten. Er starb 1978 in Amsterdam.
Familien Perlstein. Jacob Moses, geb. 1815, Handelsmann, verheiratet mit Bella Marcus; Tochter: Maria Anna. Elias Moses, Schuster, gestorben 1853. Isaak Moses, Metzger, gestorben 1853. Simon Moses, geb. am 10. Februar 1817, gestorben im Jahre 1886, Metzger, verheiratet mit Simone (eigentlich Rosa) Stern, zwei Söhne: Moses und David. (Die Genannten nahmen im Jahre 1846 den Familiennamen Perlstein an.)
Familie Moses Perlstein. Moses Perlstein, Sohn von Simon Perlstein, geboren am 10. Mai 1852 in Dorsten, gest. am 5. Dezember 1933 in Dorsten, Metzger, verheiratet mit Pauline Röttgen, geb. 13. Dezember 1856 in Wattenscheid, gest. 17. Juli 1929 in Dorsten. Er war Eigentümer des Grundstückes Lippestraße 57. Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor: Emilie. Ernst, Leo, Franziska und Hildegard. Aufgrund des Testamentes der Eheleute erbte deren Tochter Hildegard das Grundstück. Testamentsvollstrecker war der Bruder der Erbin, Leo Perlstein, damals wohnhaft in Bremen.
Emilie Perlstein war verheiratet mit Hermann Fruchtzweig. Sie sind zusammen mit ihrer Tochter Hannelore mit dem Zeitpunkt 8. Mai 1945 vom Amtsgericht Oberhausen für tot erklärt worden. Sie wurden 1942 deportiert und sind wahrscheinlich in einem Konzentrationslager umgekommen. Aus dieser Ehe sind außerdem folgende Kinder hervorgegangen, die rechtzeitig auswandern konnten: Lotte, verheiratete Tenenbaum (Frankreich), Irmgard, verheiratete Broniatowski (Frankreich), und Edith, verheiratete Gottschalk (New York).
Ernst Perlstein, geb. am 3. April 1892 in Dorsten, wohnte in der Klosterstraße 3. Er wanderte mit seiner Frau Rosa und den Kindern Alfred, geb. 20. Januar 1922, und Leonore (Lore), nach Amerika aus. Die letzte bekannte Anschrift ist Pittsburgh, Pennsylvania, 5125 Darlington Road, USA. Lore Perlstein wurde 1932/33 in die Klasse VIII der Vorschule (Ursulinen) aufgenommen und trat zwei Jahre später in die Klasse VI der Mittelschule ein. Sie verließ die Schule 1935/ 36. Übrigens haben nach 1936 keine jüdischen Schülerinnen mehr die Schulen der Ursulinen besucht.
Im Zusammenhang mit Lore Perlstein erinnern sich die Schwestern im Ursulinenkloster an eine Begebenheit: Die Klassenlehrerin M. Aloisia Huneck hat eines Tages Lore vor der Klasse gelobt und dabei wohl gesagt, sie wünschte, die anderen Schülerinnen wären ebenso fleißig und wohlerzogen wie Lore. Die Schülerinnen haben das offenbar zu Hause erzählt. Darauf haben Eltern die Klassenlehrerin angezeigt. M. Aloisia erhielt eine Vorladung von der Gestapo. Es gelang der Oberin M. Petra Brüning durch geschickte Verhandlung, die Schwester zu schützen. Interessanterweise ist die Kartei bzw. Personalkarte von Lore Perlstein aus der noch vorhandenen Schülerkartei der ehemaligen Mittelschule verschwunden. Leo Perlstein, geb. am 3. Februar 1893 in Dorsten. Er war verheiratet mit Edith Moses, geb. Platzer, verwitwete Perlstein. Aus dieser Ehe ist ein in Bremen geborener Sohn hervorgegangen: Egon. Seine letzte bekannte Anschrift: New York 16, Park Avenue 41, USA. Er nannte sich in den Vereinigten Staaten Egon Parks. Leo Perlstein verstarb am 18. Juni 1939 in Westfort, Land Fairfields/Conn.
Franziska Perlstein, geb. am 14. Januar 1898 in Dorsten. Sie wurde auch von ihren Schulfreundinnen die „dicke Ziska“ gerufen. Sie heiratete einen Kaufmann namens Sanders, von dem sie später geschieden wurde. Daraufhin nahm sie ihren Mädchennamen wieder an. Sie verzog nach England. Letzter Aufenthaltsort: London. – Hildegard Perlstein, geb. am 22. Februar 1901 in Dorsten. Sie blieb unverheiratet. Wegen einer Kinderlähmung in frühen Jahren waren Arm und Fuß verkrüppelt. Sie wohnte bis zu ihrer Deportation nach Riga (1942) in ihrem Haus, Lippestraße 57. Das Amtsgericht Dorsten erklärt sie mit Zeitpunkt 8. Mai 1945 für tot. Nach ihrer Deportation verfiel ihr Haus in der Lippestraße dem Staat. 1944 wurde das Grundstück dem Oberfinanzpräsidenten Westfalen überschrieben. Durch Beschluss des Wiedergutmachungsamtes beim Landgericht Essen vom 23. August 1951 wurde das Grundstück den Erben Perlstein zugesprochen. Die Erbengemeinschaft verkaufte den Grundbesitz im Jahre 1954 an einen Privatmann.
Familie David Perlstein. David Perlstein, Sohn von Simon Perlstein, geb. 19. November 1866 in Dorsten, gest. 2. September 1933 in Dorsten, Metzger, verheiratet mit Amalie Voll, geb. 1865, gest. Oktober 1941 in Dorsten. Er war Metzgermeister und wohnte in der Essener Straße 24, wo er auch das Geschäft hatte. Im November 1911 kaufte er das Grundstück Essener Straße 22 dazu. Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor: Albert, Hermann, Elise, Hertha, Walter, Otto und Karl.
Albert Perlstein, geb. 10. März 1889, war Viehhändler in Call (Eifel). Sein Schicksal ist unbekannt.
Karl Perlstein, geb. 6. November 1907, Bankbeamter in Völklingen. Sein Schicksal ist ebenso unbekannt. – Walter Perlstein, geb. 6. August 1903 in Dorsten, war Kaufmann und Fußball-Schiedsrichter. Bei Spielen während der ersten Jahre nach 1933, als er noch als Schiedsrichter fungieren durfte, bekam er oft Prügel, wenn er seine unparteiische Weisung aussprach. Er, seine Frau Hedy und ihr Kind kamen in einem Konzentrationslager um. Nähere Angaben liegen nicht vor.
Elise Perlstein, geb. 2. August 1899 in Völklingen, verheiratet mit dem Kaufmann Alfred Levy. Als Mädchen ging sie mit ihrer Schwester Hertha in die Strickschule von Fräulein Riese, Kirchhellener Allee, und brachte in den dort versammelten Mädchenkreis Fleischwurst mit. Frl. Riese warnte: „Das dürft ihr Juden doch nicht essen!“ Die beiden Mädchen lachten und aßen. Im Jahre 1949 machte ein Völklinger Notar Wiedergutmachungsansprüche geltend im Namen des Witwers von Elise (Elli) Perlstein. 1952 wird eine Wiedergutmachungszahlung von 5.000 DM vereinbart.
Hertha Perlstein, geb. 12. Oktober 1901 in Dorsten, heiratete den katholischen Kaufmann Ferdinand Becker. Die Ehe wurde 1936 geschieden. Hertha Becker kam 1942 nach Riga und verstarb am 1. Januar 1945 im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig.
Hermann Perlstein, geb. 3. September 1895 in Dorsten, Metzger, verheiratet mit Grete, Geburtsname unbekannt. Seine Kinder Ursula, geb. 26. Juni 1930, Ingeborg, geb. 5. März 1933, und Robert, geb. 12. Dezember 1937, wurden mit den Eltern von einem südfranzösischen KL aus nach Auschwitz deportiert und gelten als verschollen.
Otto Perlstein, geb. 27. Oktober 1893 in Dorsten, fiel im ersten Weltkrieg als Musketier des 12/R.I.R. 264 am 18. April 1915 bei Metz.
Familie Reifeisen. Simon (oder Siegmund) Reifeisen, geb. 25. November 1892, war Textilhändler und betrieb in der Essener Straße 22, zeitweise Nr. 16, ein Abzahlungsgeschäft. Er besaß die polnische Staatsangehörigkeit und war wegen seiner polnischen Sprachfärbung nicht »so gut gelitten bei den Dorstenern«. Reifeisen kam nach dem ersten Weltkrieg nach Dorsten und wurde Ende Oktober 1938 nach Polen abgeschoben, an der Grenze aber zurückgeschickt. In seinem Reisegepäck hatte er silbernes Besteck. Deswegen wurde ihm in Essen der Prozess gemacht. Reifeisen wurde zusammen mit seiner Frau nach Riga deportiert. Er gilt als verschollen, seine Frau wurde im KZ Stutthof ermordet. Seine Tochter Ilse, die die Schule der Ursulinen besuchte, entkam nach Schweden.
Familie Schöndorf. Paul Schöndorf, geb. 5. Mai 1895 in Stanislawo/Galizien, Uhrmacher und Reisender, wohnte in der Bochumer Straße 40. In der Blindestraße hätte er ein kleines Geschäft. Seine Frau Elice Zwiebel, geb. 1896, stammte auch aus Stanislawo. Schöndorf kam erst Anfang der 20er-Jahre nach Dorsten. Kinder: Ida, geb. 1926, und Klara , geb. 1922. Im Jahre 1938 wurde die Familie nach Polen abgeschoben und später in einem Konzentrationslager ermordet. Über das Schicksal seiner Kinder ist nichts bekannt.
Familie Silber. Josef Silber kam mit seiner Frau Helene im Jahre 1927 von Bielefeld nach Hervest-Dorsten. In der Burgsdorffstraße 16 hatten sie ein Textilwarengeschäft. Tochter Renate ging vier Jahre lang in die Augustaschule und anschließend zur Schule der Ursulinen, die sie Mitte 1933 verließ. Ihr jüngerer Bruder Bernhard („Berni“) ging noch nicht zur Schule. Ende 1933 ist die Familie nach Palästina ausgewandert. Renate Silber, damals 12 Jahre alt, heiratete dort einen Einwanderer aus Dortmund, und ihr Bruder Berni war Professor an der Universität in Jerusalem.
(Kein Anspruch auf Vollständigkeit)