Als die Kaiserkrone fiel, weinte Liesel in die heilige Fahne
Geboren 1895 in Dorsten bis 1972 in Bendorf/Kreis Meyen-Koblenz; Oberförsters Töchterlein auf Natteforth und Dichterin. – Neben Gedichten von Elisabeth Kahle und Jakobine Spangemacher-Gudel findet man in den Heimatkalendern der Herrlichkeit Lembeck der 1920er-Jahre auch Heimatgedichte von Liesel Joly. In ihren platt- und hochdeutschen Gedichten betet sie die Natur an. Ihre Verse schweben über jeglicher Realität. Von ihren Werken rieselt nicht nur der Blütenstaub der „frühlingsschwangeren“ Lembecker Wiesenblumen und Heckenrosen, sondern tropft auch der Schmalz jener poesievollen Jahre einer jungen Frau, die sich zum Bedichten der Natur berufen fühlte.
Annette von Droste-Hülshoff war ihr dichterischen Vorbild
Liesel Joly war die Tochter des gräflichen Oberförsters Paul Joly und verbrachte ihre Kindheit und Jugend bis zur Verehelichung mit ihrem „herzallerliebsten Doktorbräutigam“, wie sie ihren zukünftigen Mann nannte, wohlbehütet und naturnah in der gräflichen Oberförsterei Haus Natteforth, nahe dem Schloss Lembeck, an der Chaussee, die von der B 58 nach Lembeck führt. In Annette von Droste-Hülshoff sah die junge Joly ihr dichterisches Vorbild; verwandt war sie mit dem plattdeutschen Dichter Augustin Wibbelt und der damaligen Oberin des Ursulinenklosters. Sie verkehrte mit den Dichtern Hauptmann und Castelle. Ihren Vater liebte sie abgöttisch – zumindest in ihren Gedichten. Aber sie liebte auch den Kaiser und sein Militär; nach 1933 den Führer und dessen „SA-Soldaten“. Es verwundert nicht, dass auch ihr aus Göttingen stammender „Doktorbräutigam“ Oberarzt der Reserve war.
Die gut situierten Jolys gehörten zu denen, die den Abgang des Kaisers 1918 nie verschmerzten und in Adolf Hitler jenen Ersatz-Kaiser sahen, der von Deutschlands Ruhm und Ehre ebenso hohlbäuchig sprach wie ehedem die preußischen Wilhelms. In ein Album, das sie 1931 ihrem Vater Paul Joly zum 70. Geburtstag schenkte, schrieb sie ihre Jugenderlebnisse auf Natteforth, ihre Gedanken und klebte Fotos ein. Sie schrieb hinein, wie Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg Fußtritte erhielt und fügte irgendwann handschriftlich hinzu „aber nur bis 1933“. Des Oberförsters Töchterlein gibt Auskunft darüber, wie es eingeschult wurde, wie es dann ins Ursulineninternat nach Dorsten kam und sich dort ungerecht behandelt fühlte. Daraufhin brachte der Vater seine Tochter in ein auswärtiges Internat. In den Ferien fuhren die Jolys stets nach Helgoland und wurden auf dieser „deutschesten aller deutschen Inseln“ vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs überrascht. Dazu Liesel Joly:
„Man fühlte sich so deutsch und patriotisch wie noch nie vorher in seinem jungen Leben, und die verwirrtesten Vorstellungen von Krieg und Schlachten, vaterländischer Begeisterung und deutschen Siegen durchkreuzten die Gedanken…“
Das Kriegsende 1918 war für sie eine aufregende Zeit
Als das vierjährige Schlachten zu Ende war, vermerkte Liesel Joly, die im Krieg ihren Bruder Richard verloren hatte: „Schmach häuft sich auf Leid und Not – schwerer konnte die Last nicht werden für Volk und Vaterland. Ach, vom hohen Kaiserhaupte fiel Deutschlands edle Kaiserkrone!“ Dann beschreibt sie, was sie bei Kriegsende im November 1918 an der Chaussee am Haus Natteforth sah:
„Als ich eines Tages vom Dorf zurückkam, begegnete mir eine lange, hellgraue Karawane: Pferde, Feldküchen, Bagagewagen, weiß Gott, was alles – johlende, winkende, wüste Gesellen. In brennender Scham wandte man das Gesicht von den roten flatternden Lappen, die blutfarbene Schande ins Land hinaus schrien…“
Damit meinte Liesel Joly die revolutionären Soldaten. Und sie schreibt weiter:
„Zornige Tränen sprangen einem in die Augen, zitternd und bebend, aufgewühlt bis in die Tiefen der Seele kam man nach Hause, riss die alte, geliebte Fahne mit dem preußischen Adler, die so stolz an unserem Mast geweht hatte, aus der alten Truhe, presste das heiße Gesicht in das heilige Tuch und schrie laut auf in bitterlichem Weh.“
Liesel Joly sah in ihren mädchenhaften Träumen immer wieder die Oberförsterei von Schloss Lembeck als eine Festung, die der anbrandenden roten Flut von Spartakisten und Roter Ruhrarmee der Jahre 1919/1920 standhalten musste. Rotgardisten suchten einmal den Grafen Merveldt, den sie nicht finden konnten. Liesel Joly beschreibt die Situation mit den „Roten“, die das Haus stürmten, so:
„Guten Morgen, meine Herren, was wollen sie?“ – „Wir suchen den Hund, den Schuft, den Kerl – wo ist er – gebt ihn heraus!“ Ich war, wie oft in verzweifelten Fällen, ganz ruhig und überlegen: „Hier wohnt kein Schuft und kein Lump – hier wohnt der gräfliche Oberförster!“ – „Wir wollen den Grafen haben“, brüllte einer wild. Da platze ich los: „Der Herr Graf lässt sich entschuldigen, er ist zu Schiff nach Frankreich!“ Worauf mir einer der Genossen, der einen gebildeten Eindruck machte, sehr ungebildet einen unzarten Rippenstoß versetzte.“
Liesel Joly heiratete nach einer zwölfjährigen Verlobungszeit 1933 ihren „Doktorbräutigam“ Dr. med. Ernst Hoelscher, zog zu ihm nach Lengerich, dann nach Bendorf am Rhein, wo sie 78-jährig starb. Ihr dichterischer Nachlass sowie ihre Korrespondenz befinden sich in der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund/Handschriftensammlung (Werkmanuskript „Jugend in Natteforth“ 1931; Korrespondenzen mit Dr. Friedrich Castelle, Karl Wagenfeld, Augustin Wibbelt, Margarete Windthorst (Großnichte des Windthorstbund-Führers). Als Liesel Joly 1933 Natteforth verließ, schrieb sie das Gedicht und datierte es mit „Haus Natteforth, am Peter- und Paulstage 1933“:
Abschied von Natteforth
Ein Paradies – der Heimat Vaterland –
Gab Gottes Schöpferfreude einem jeden;
Doch einmal wird der Mensch daraus verbannt,
Wie unsere Eltern aus dem Garten Eden.Es ist die weite Welt so schön und groß
Und unsere Heimat rings, die deutsche Erde –
Trifft uns nun auch der ganzen Menschheit Los,
Sei frei das Herz von kleinlicher Beschwerde:Wir wollen das, was alle überstehen,
Auch nehmen wie ein nötiges Geschehn.
Das Vaterland, das wir von Herzen lieben,
die deutsche Heimat ist uns ja geblieben!
Am 4. September 1939 schrieb Liesel Joly ein Gedicht über den Beginn des Zweiten Weltkriegs – sie war 44 Jahre alt:
Krieg im Herbst
Ein grauer Himmel überm deutschen Land
Und eine graue Wacht an Deutschlands Grenzen.
Vorüber ist der Sonne heitres Glänzen,
Vor uns steht grau der Zukunft düstre Wand.Und dennoch gilt für uns nicht Furcht und Grauen,
Herbstnebel stiegen noch in jedem Jahr
Wie eine unheilvolle Drohgefahr –,
Bald werden wir die Sonne wieder schauen.’s ist Erntezeit. Da rauscht der Sensen Schnitt. –
Auf, deutsches Volk, nun birg in deine Scheuer,
Was deiner wert, die Ernte wird dir teuer,
Denn wieder mäht der Schnitter Tod heut mit.Ist grau der Himmel auch: Habt keine Not!
Herbstnebel stiegen noch in jedem Jahr, –-
Deutschland wird bleiben, was es immer war:
Furchtloser Ritter gegen Hass und Tod!
Siehe auch:
Literaten, verstorben (Artikelübersicht)
Quelle:
Wolf Stegemann/Anke Klapsing „Dorsten zwischen Kaiserreich und Hakenkreuz“, Dorsten 1987.