Internierungscamp Hillerheide

Auch Dorstener NS-Funktionäre waren oft jahrelang hinter Stacheldraht

In einem ehemaligen Kriegsgefangenenlager in Recklinghausen-Hillerheide richteten die Amerikaner 1945 ein Internierungslager für mutmaßliche Kriegsverbrecher, Funktionäre der NSDAP und staatliche Funktionsträger ein. Nach der Übergabe an die Briten wurde das Lager zum „Civil Internment Camp No. 4“, einem von insgesamt 16 Camps (einschließlich CI-Hospital-Camps, einem „Militärischen Verhör-Zentrum“ in Nenndorf und einem „Prison-Camp“ in Esterwegen). Im Recklinghäuser Camp waren über 8.700 Menschen interniert – Männer und Frauen, Jugendliche und Alte. Damit war das Lager völlig überbelegt.

Weibliche Internierte in Hillerheide (Recklinghausen)

Weibliche Internierte am 25. April 1945 im Lager Hillerheide (Recklinghausen)

Briten übernahmen das Camp von den Amerikanern

Ein Kampfkommando der Amerikaner hatte sich einige Tage nach dem Einmarsch in Recklinghausen im Rathaus eingefunden und Stacheldraht, Pfähle und Absperrmaterial verlangt. Arbeiter wurden requiriert und das Lager im Ortsteil Hillerheide eingerichtet. Am 11. Juli 1945 übernahm ein Kommando aus fünf britischen Offizieren und 82 Soldaten das Camp von den Amerikanern, da das Ruhrgebiet nunmehr zur britischen Besatzungszone gehörte. Kommandant war Commanding Officer Lt. Col. ECC Wells. Gesetzliche Grundlage für diesen „fast automatischen Arrest“, der oft jahrelang andauerte, war die „Kontrollrats-Direktive Nr. 38“. Vielfach ohne Prüfung des Einzelfalls und nur auf Verdacht hin inhaftierten die Besatzer je nach Temperament mitunter wahllos kleine und große Parteibonzen und Beamte, Mitläufer und Aktive, Schuldige und Unschuldige, aber auch solche, deren Uniform irgendein amerikanischer oder englischer Offizier zufällig nicht kannte oder in seiner Funktion das Wort Führer vorkam, wie beispielsweise Lokführer. So fanden sich in den Internierungslagern neben hohen Parteiführern und parteilosen Fabrikanten auch  Feuerwehrleute und Sanitäter, kleine Ortsbauernführer und noch kleinere Bahnarbeiter und Frauen, die den „Völkischen Beobachter“ ausgetragen hatten. Dazu kamen natürlich auch die mittleren und höheren Nazis, die bereits auf Verhaftungslisten der Alliierten standen.

Anders als die Amerikaner handhabten die Engländer das Internierungsverfahren lax. Wo einzelne Besatzungsoffiziere der Ansicht waren, auf Fachleute und Spezialisten in der aufzubauenden deutschen Verwaltung nicht verzichten zu können, ließen sie sie Belasteten in Amt und Position, da den Briten mehr pragmatische Erwägungen zugrunde lagen als moralische. Diese Einstellung machte sich auch in der gesamten Entnazifizierungspraxis in der englischen Besatzungszone, zu der Nordrhein-Westfalen gehörte, bemerkbar.

Männliche Internierte in Hillerheide (Recklinghausen)

Männliche Internierte am 25. April 1945 im Lager Hillerheide (Recklinghausen)

Etliche Dorstener waren interniert

Etliche Dorstener wurden in das Internierungscamp Hillerheide eingewiesen. Dabei war der Kassierer der Altendorfer NSDAP, Felix B. (Namen nicht bekannt), der Fahnenträger eines Holsterhausener SA-Trupps, Werner K. (voller Namen nicht bekannt), der Verwaltungsoberinspektor beim Amt Hervest-Dorsten, Dr. Hermann Jobst (entlassen im Februar 1947), SS-Unterscharführer Hermann M. (voller Name nicht bekannt) aus Wulfen, SS-Mann Friedrich Meinberg aus Dorsten (interniert von 1945 bis 1947), der NSDAP-Ortsgruppenleiter Karl Schämann und sein Deutener Amtskollege Johann Wolthaus. Paul Lippik, Lehrer und NSDAP-Ortsgruppenleiter von Wulfen, wurde schon nach kurzer Zeit aus der Internierung entlassen. Rhades NSDAP-Ortsgruppenleiter Johann Wensing war dagegen von 1945 bis 1947 im Camp Staumühle interniert. Der Lembecker Ortsgruppenleiter Franz Schenuit saß in Augsburg, Dorstens ranghöchster SA-Führer, Otto Weißenberg, in Munsterlager/Lüneburger Heide und Paul Schürholz im Internierungslager Rheinberg. Dorstens NSDAP-Ortsgruppenleiter Ernst Heine wurde dagegen weder interniert noch bestraft, weil er seine Dorstener NS-Vergangenheit in Bad Wildeshausen mit Hilfe seiner Familie bis über seinen Tod hinaus erfolgreich verschweigen konnte.

Über zwei Jahre lang war auch der damals 48-jährige NS-Bürgermeister und NSDAP-Ortsgruppenleiter von Altendorf-Ulfkotte, Wilhelm Schulte-Hemming, inhaftiert. Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner hatte er seine Parteiuniform ausgezogen und sich in Zivilkleidung Richtung Oldenburg abgesetzt, wo seine Schwester wohnte. Als er nach Altendorf-Ulfkotte zurückkehrte, suchten ihn bereits die Engländer, nahmen ihn fest und brachten ihn ins Internierungslager Hillerheide.

Frauen und Jugendliche hatten ihre eigenen Bereiche

Der Aufenthalt in den Hütten war nicht bequem. Nur wenige Baracken standen auf Betonfundamenten, meist waren es einfache Wellblechhütten („Nissenhütten“) in denen jeweils 30 Personen untergebracht waren. Schränke und Tische gab es nicht, geschlafen wurde auf Stroh, erinnert sich ein früherer HJ-Standortführer. „Wir nannten die Personen, die in den Nissen-Hütten lebten, ,Nissen-Einheiten’“. 200 Frauen und die Jugendlichen hatten ihre eigenen Bereiche. Es gab zwar eine Lazarettbaracke, aber kaum Medikamente. 2.000 Internierte mussten sich eine Dusche teilen; schichtweise zu 50 wurde gebraust. Im Camp machte sich vom Boden her Feuchtigkeit breit. Die Krankheitsrate war hoch. Daher kamen im Juli 1945 der größte Teil der Frauen und ein Teil der Männer in das Camp nach Staumühle. Offiziell machte die Lagerverwaltung keine Unterschiede, ob ein Internierter prominent war oder nicht. Unter den Prominenten befanden sich u. a. der Ministerpräsident von Braunschweig und SS-Oberstgruppenführer Dietrich Klages, der Hitler die deutsche Staatbürgerschaft verliehen hatte, Görings Adjutant für Kunstraub, Dr. Erik Gritzbach, der Landrat von Recklinghausen Dr. Hans Reschke, der Industrielle Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Hitlers Duz-Freund und zeitweiliger Pressechef Putzi von Hanfstaengel, die Direktoren der Salzgitterwerke sowie der Werke Marl-Hüls, der Recklinghäuser Polizeioberst Weiberg sowie der Gauleiter von Westfalen-Nord, Dr. Alfred Meyer.

Schulte-Hemming hatte auch „Ausgang“

Beschwerdemöglichkeiten gab es nicht. Es gab auch keine Prozesse. Die Behandlung durch die Engländer war fair. Die Gefangenen verbrachten ihre Zeit mit selbst gebastelten Spielen, mit Spaziergängen innerhalb der Teillager oder mit Gesprächsrunden, bei denen der Schriftsteller Hanfstaengel wortführend war. Daraus entwickelte sich der Begriff: „Heute Abend wird wieder gehanfstaengelt!“ Außerdem vergnügten sich die Internierten mit einstudierten Theateraufführungen wie bezeichnenderweise das Shakespeare-Stück „Der Widerspenstigen Zähmung“. Wer Glück hatte, konnte in den Versorgungsbetrieben des Lagers arbeiten, später gab es auch Außenkommandos, die in Recklinghausen Schutt räumten. Darunter war auch der frühere Bürgermeister von Altendorf-Ulfkotte, Schulte-Hemming. Obwohl von Soldaten bewacht, gelang es seiner Familie immer wieder, ihm Essen zuzustecken, nicht ohne die englischen Bewacher mit Wurst und Speck bestochen zu haben. Und manches Mal gelang es ihnen sogar, dass Schulte-Hemming nach Altendorf gefahren wurde, sich in seinem Haus aufhalten konnte und dann wieder von den Engländern im Jeep ins Camp gefahren wurde – natürlich gegen gelbstgebrannten Schnaps, Eier, Speck und Schinken.

Das Lager wurde 1948 endgültig geschlossen

Gegen Ende 1946 wurde der größte Teil der Zivilinternierten entlassen. Als die „Nürnberger Prozesse“ im November 1946 begannen, wurden die Urteilsverkündungen über Lautsprecher in Camp übertragen. Im Sommer 1947 nahm in Hillerheide ein Spruchgericht mit zehn Spruchkammern seine Arbeit auf, das innerhalb eines knappen Jahres 3.800 ehemalige „Mitglieder verbrecherischer Organisationen“ aburteilte. Am 15. April 1948 wurde das Lager geschlossen und seine Baracken dienten anschließend Bergarbeitern als Unterkünfte.


Quellen:
Wolf Stegemann „Hinter Stacheldraht ,Der Widerspenstigen Zähmung’ aufgeführt“ in Wolf Stegemann (Hg.) „Dorsten nach den Stunde Null. 1945-1950. Die Jahre danach“, Dorsten 1986. – Gespräche Wolf Stegemann mit Norbert Custodis, 1985. – Heiner Wember „Umerziehung im Lager. Internierung und Bestrafung von Nationalsozialisten in der britischen Besatzungszone“, Klartext 1991. – Fotos entnommen Jürgen Pohl “Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Recklinghausen im Zweiten Weltkrieg”, 2001.

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