Der offener Brief einer betroffenen Mutter regt zum Nachdenken an
Ich mag das Wort Inklusion nicht mehr hören, weil es missbraucht wird und die wenigsten Menschen wissen, was Inklusion wirklich bedeutet. Ich bin Mutter einer 11-jährigen Tochter, die von Geburt an unter verschiedenen Behinderungen leidet. Meine Tochter wird nicht angenommen wie sie ist, sondern muss sich so verhalten, dass sie einer Norm entspricht, die es der Gesellschaft möglich macht, sie teilhaben zu lassen und nicht auszuschließen.
Ich bin die Mutter, deren Tochter ab dem neuen Schuljahr 2014 ohne geeigneten Schulplatz dastehen wird.
So wie weitere 19 behinderte Kinder mit ihren Familien, deren heilpädagogische Waldorfschule am 31. Juli 2014 schließen wird. Wir sind gewiss kein elitärer Verein, sondern wir sind aus einer Not zusammengewachsen. Meine Tochter Mira-Luna und die meisten Kinder unserer Schule sind jetzt schon die ersten Opfer der sogenannten “Inklusion”.
Wir alle haben unsere „eigene Geschichte“ und leider die Erfahrung gemacht, dass die Inklusion eine Illusion ist. Zumindest heute im Jahr 2014.
Vielleicht wird sie bei der Beschulung unserer Enkelkinder endlich der Normalfall sein, weil bis dahin die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden konnten und die Inklusion in den Köpfen aller Menschen angekommen ist. Ich schreibe bewusst „vielleicht“, weil mein Glaube daran im Augenblick auf Grund eigener, erlebter Erfahrungen verloren gegangen ist.
Die Fakten sprechen gegen eine schulische Inklusion.
Es fehlen Fachkräfte und eine entsprechende Anpassung der Lehrerausbildung und
Lehrerfortbildung. Die wenigsten Schulen sind zum heutigen Zeitpunkt barrierefrei, so dass die Regelbeschulung eines behinderten Kindes oft schon daran scheitert, selbst wenn der Wille zur Aufnahme in der Regelschule vorhanden ist. Wer bereitet die “normalen Kinder” der Regelschulen auf die Ankunft der “besonderen Kinder” vor? – Mobbing und Ausgrenzung sind so vorprogrammiert!
Nun schließt dieser „besondere Lern- und Lebensraum“ unserer Kinder. Ein Ort, an dem sie mit Hilfe ausgezeichneter Pädagogen endlich Selbstbewusstsein bekommen haben und wirklich für ihr zukünftiges Leben gelernt haben, das sich aufgrund ihrer Einschränkungen schon schwierig genug gestalten wird. Ich bin schwer enttäuscht von dieser jetzigen Regierung, die unsere Kinder zu „Versuchskaninchen der Inklusion“ degradieren und es zulassen, erneut an dem Regelschulsystem zu scheitern mit der Konsequenz, dass sie am Ende wieder exkludiert und einer Förderschule zugewiesen werden. Mit welchen Auswirkungen für ein Kind wie meine Tochter?
Auch wenn unsere Schule wahrscheinlich nicht mehr zu retten ist, bleibt mir und meiner Tochter dennoch, dass sie dort zwei wundervolle Jahre erlebt hat, die ihr keiner mehr nehmen kann. Unsere Kinder haben dort Anerkennung erfahren und große Sozialkompetenz vermittelt bekommen und außerdem sehr viel gelernt.
Ich kann den dafür Verantwortlichen nur meinen allergrößten Respekt und meine Dankbarkeit aussprechen. Wir sind froh, dass wir auch diese positiven Erfahrungen machen durften. Die Zukunft erscheint leider ungewiss…
Melani Getto mit Tochter Mira-Luna