Eine Staatssekretärin, ein Fußballlspiel, ein Admiral und ein U-Boot
Von Wolf Stegemann – Der hochrangigste Politiker, der aus Dorsten hervorging, war eine Frau – die aus Holsterhausen stammende und hier viele Jahrzehnte tätig gewesene Sozialpolitikerin Agnes Hürland-Büning, die 2009 starb. Sie war und ist bundesweit bekannt und auch nach ihrem Ausscheiden aus der Politik bekam ihre Prominenz 1999/2000 wegen des Verdachts der Verstrickung in einer politisch-finanziellen Affäre (Elf-Aquitaine) noch einmal Auftrieb. Ihre bemerkenswerte politische Karriere begann als CDU-Sozialpolitikerin im Rat der Stadt Dorsten, später war sie Mitglied des Bundestages und Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Fraktion. 1987 krönte sie ihre Laufbahn als Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verteidigung in Bonn. Dem Stadtteil Holsterhausen und der Stadt Dorsten blieb „Uns Agnes“ stets verbunden und wohnte die letzten Jahre wieder in Dorsten.
Der Verfasser dieser Geschichte, ein Dorstener Journalist, der sie schon viele Jahre aus beruflichen Gründen kannte, fragte sie 1989, ob sie Lust und Zeit hätte, im schleswig-holsteinischen Ostseehafen Neustadt ein Fußballspiel zwischen einer Altendorf-Ulfkotter Thekenmannschaft und den Fußballern des Minensuchtbootes „Atlantis“, mit dem Dorsten eine Patenschaft verband, anzupfeifen. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium sagte sofort und freudig zu. Mit seinem ausgeprägt nichtmilitärischen Verständnis hielt der Journalist seine Einladung für eine gute Idee und war auch irgendwie stolz darauf, eine so prominente Militärexpertin, nach dem Verteidigungsminister „der zweite Mann“ in der Bonner Ermelkeil-Kaserne, zum Anpfiff dieses Spiels der Amateure erfolgreich gebeten zu haben. Von den Marine-Militärs in Neustadt sollte er jedoch bald eines Besseren belehrt werden.
Da unmittelbar Landtagswahlen in Schleswig-Holstein anstanden, durfte das Fußballspiel mit Beteiligung der hochrangigen CDU-Bundespolitikerin aus Neutralitätsgründen nicht auf dem Kasernengelände der Marine stattfinden. Die Jungs der Marine fanden einen Platz etwa fünf Kilometer außerhalb des Hafens, wo Agnes Hürland-Büning das Spiel anpfiff, das dann unter dem Schutz von Polizei und Feldjägern stattfand.
Doch zurück zur Begrüßung. Der Journalist fuhr im Marinehafen an die Pier, an der die „Atlantis“ lag. Dort war alles auf das Sauberste hergerichtet. Das Schiff glänzte und war mit vielen Lämpchen und Fähnchen geschmückt und achtern war ein kaltes Büffet vorbereitet. Der dem Journalisten gut bekannte „Atlantis“-Kommandant, mit dem er schon vorher etliche Fahrten auf dem Minensuchboot unternahm und sie dabei so manche Flasche Jubel-Aquavit leerten, begrüßte ihn bemüht freundlich, doch sehr eisig. Neben ihm standen ein eigens aus Kiel angereister Admiral und der Hafenkommandant, ein Kapitän zur See. Alle waren aufgeregt und gaben sich gegenüber dem Journalisten mit großer Zurückhaltung, was diesem Unwohlsein bereitete.
Und dann kam sie, Agnes Hürland-Büning. Sie landete mit ihrem Mann und einer mehrköpfigen Entourage mit einem so genannten Bananen-Hubschrauber im Kasernengelände, wo das Militär zur Begrüßung Aufstellung genommen hatte. Ein Operationswagen mit Blutkonserven und ein Feuerwehrwagen standen diskret hinter einem Gebäude.
Die Marine-Leute sprachen immer noch nicht mit dem Journalisten, taten so, als sei er gar nicht da. Er wurde zusehends verunsicherter und fragte sich: was ist denn hier nur soll? Da war er froh, dass wenigstens die Staatssekretärin Agnes Hürland-Büning ihn freundlich begrüßte, als sie in Begleitung ihres Mannes und ihrer Entourage den Hubschrauber verließ. An der „Atlantis“ angekommen, bemerkte er zu seiner Überraschung ein U-Boot neben dem Minensuchboot, das er beim Ankommen wohl übersehen hatte. Auf seinem überraschten Ausruf „Oh, Hier ein Unterseeboot?“ meinte Agnes Hürland-Büning: „Wissen Sie, ich habe noch keins gesehen und wollte mir bei dieser Gelegenheit mal eins anschauen!“ Mit Vorwurf in der Stimme sagte später der Admiral, dass sie das Unterseeboot U 24 extra von Kiel nach Neustadt haben schaffen müssen, um der Staatssekretärin den Wunsch der Besichtigung, der ihnen Befehl sein musste, zu erfüllen.
Daher weht also der Wind, dachte der Journalist. Die hatten Arbeit mit der Agnes und sicher auch Stress, wie das bei Militärs eben so ist! Und jetzt sind sie sauer auf mich, weil ich ihnen das alles eingebrockt habe!
„Kommen Sie!“ sagte Agnes zu dem Journalisten, hakte sich bei ihm ein, und die beiden schritten auf das im Wasser liegende U-Boot zu, auf das von der Kaimauer aus ein Steg gelegt war. Das alles war wackelig und die Vorbereitung für den Einstieg in das Boot nicht unproblematisch. Offensichtlich waren die körperlichen Eigenschaften der Staatssekretärin bekannt, denn der Einstieg erfolgte nicht über den Turm. Die U-Boot-Männer öffneten dafür auf Achtern die breite, runde Luke, wo sonst die Batterien mit einem Kran ein- und ausgeladen werden. Statt eines Krans führte nun eine angelehnte Eisenleiter in das enge Dunkel des Inneren, die unten im Schiff von zwei Soldaten gehalten wurde. Nachdem beim Betreten des Bootes der Begrüßungs-Pfiff des Bootsmaats ertönt war, schwebte die Staatssekretärin auf der Leiter mit weit ausladendem Rock durch die Batterieluke ins Boot. Das Kommando „Augen zur Seite“ galt den beiden Soldaten, die dabei an der Leiter im Boot standen und sie halten mussten.
Unten angekommen, füllte sich das Boot mit der Staatssekretärin, ihrer Entourage, dem Admiral, dem U-Boot- und dem Minensuchboot-Kommandanten, Offizieren und einigen handverlesenen Zivilisten und Soldaten aus beiden Fußballmannschaften.
Ein langes schmales Brett mit weißer Tischdecke darauf galt als Tisch, an dem Ordonanzen in weißen Jacken den Kaffee servierten. Alle saßen nebeneinander wie die Hühner auf der Leiter auf irgendetwas, wahrscheinlich kleinen Holzbrettern, die auf Rohren befestigt waren. Nach einigen schönen Reden lud der Kommandant zur Besichtigung des Bootes ein. Doch die Tour durch das schmale Boot war nach wenigen Schritten zu Ende. Es wurde für die Staatssekretärin dann doch beängstigend eng. Und so blies der Kommandant diskret zum Rückzug.
Nach dem Fußballspiel, als Agnes Hürland-Büning mit Gefolge wieder abgeflogen war, und ein Offizier über Handfunk ans Flottenkommando nach Kiel erleichtert melden konnte „BM abgeflogen, keine Vorkommnisse!“, atmeten alle hörbar auf und die Stimmung wurde zusehends besser. Der Admiral und die anderen Offiziere lockerten ihre Krawatten. Der Admiral warf seine goldbetresste Dienstmütze mit Schwung weg. Ein Matrose musste die rollende Mütze wieder holen. Nur dem Journalisten gegenüber blieben sie bei ihrer miesen Stimmung – wenigstens vorerst.
Und dann sagten sie ihm doch, welche Laus ihnen über die Leber gelaufen war: Erstens, er hätte die Staatssekretärin nicht einladen sollen, das habe bis in die höchsten Marinestellen hinein Stress verursacht, zweitens: Die Mannschaften der „Atlantis“, des U-Bootes und ein eigens für den Besuch der Staatssekretärin in Neustadt gebildeter Arbeitsstab einschließlich des Admirals und der Hafenkommandantur hätten seit einer Woche Urlaubssperre gehabt. Und schließlich mussten drittens Wege und Plätze gesäubert, der Rasen gemäht, das Eingangstor, Straßenbegrenzungen und die Deckaufbauten gestrichen werden, also alles das, was im Gesichtsfeld der Staatssekretärin liegen konnte. Und das für ein Fußballspiel, das eigentlich Spaß machen sollte. Und als sie mir das so sagten, hatte ich sogar Verständnis für ihren Unmut.
Der Admiral verabschiedete sich schnell. „Meine Frau wartet“, sagte er in die Runde und an den Journalisten gewandt: „Das nächste Mal mit halber Kraft!“, tippte mit dem Finger an seine goldbetresste Mütze und war weg. Kaum verschwand sein Dienstwagen, warf nun der „Atlantis“-Kommandant seine Mütze irgendwohin, zog seine Uniformjacke aus, knöpfte seinen Hemdskragen auf und sagte: „Jetzt wird erst mal was getrunken!“ Es wurde eine lange Nacht für die Dorsten-Altendorfer Thekenfußballer und die des Minensuchboots und alle anderen, im Laufe dieser sich der Kommandant auch wieder mit dem Journalisten nach rund 20 Bierchen versöhnte.
Siehe auch: Agnes Hürland-Büning