Hirsche in der Stadt

1974 und 2023 besuchten Hirsche aus dem Wald Dorstener Wohngebiete

Der Hirsch nahe der Ringstraße in Rhade, bevor er seine tierische Zufallsbegegnung hatte.

Wölfe, Füchse, Rehe, Hasen besuchen aus den Waldgebieten der Stadt öfter mal die Wohngebiete der Stadt, wie beispielsweise 1974 auch ein Hirsch. Und am 30. September 2023 war es auch wieder ein ausgewachsener Hirsch aus dem nahen nahem Wald. Um 9.30 Uhr hatte ein Anlieger des Hafen-Cafés am Wesel-Datteln-Kanal auf der Hardt die erste Begegnung mit dem Tier: Es stand mitten auf dem Steg des kleinen Hafen-Gebäudes – und sprang plötzlich verschreckt ins Wasser. Da der Hirsch wegen der dortigen Spundwände nicht aus dem Gewässer kam, paddelte er bis zur nächsten Steinböschung – und machte, als er festen Boden unter den Hufen hatte, zunächst die Hardt unsicher. Dorstener sahen ihn, wie er gegen 11.20 Uhr mitten auf der Fahrbahn der Clemens-August-Straße wie ein „schneller Fahrradfahrer“ rannte, so ein zufälliger Augenzeuge in der Lokalzeitung.
Der Hirsch war insgesamt zwei Stunden lang und kilometerweit auf der Hardt, in der Dorstener Altstadt und in der Feldmark unterwegs, beschäftigte Anlieger in Wohngebieten, die Polizei, die erstmals um 10,05 Uhr informiert worden war, Jäger, das Kreisveterinäramt und sogar den Zugverkehr zwischen den Bahnhöfen Dorsten und Feldhausen. Eingesetzt wurde auch ein Bayerischer Gebirgsschweißhund namens „Sepp“, der die Fährte des Hirsches aufnahm. An der Georgstraße zerdepperte das Tier in einem Garten vor lauter Panik eine Trampolinanlage und Holzschutzvorrichtungen. Auch an der Storchsbaumstraße wurde der Hirsch gesichtet, der dann Kurs Richtung Altstadt und Feldmark nahm. Woher der Hirsch kam, ist nicht bekannt. Mehrfach wurde die Dorstener Polizeiwache vom Auftauchen des Tieres informiert, erstmals um 10.05 Uhr. Kurz vor 12 Uhr konnte der Hirscheinsatz von Polizei und Jägern beendet werden.

Der Hirsch von 1974 hatte nicht so viel Glück wie der von 2023: Blattschuss

In der „Dorstener Zeitung“ erinnerte sich der Dorstener Hermann Gerling an einen ähnlichen Vorfall Anfang Oktober 1974 mit einem Hirsch und an die spektakuläre Verfolgungsjagd. Der heute 86-jährige Gerling war damals Jagdaufseher im Nachbarrevier:
„Es dauerte nur Sekunden. Ein dumpfer Knall, Glas splitterte, Wasser spritzte aus umfallen Vasen. Keramik fiel zu Boden und zerbrach. Der etwa vierjährige Hirsch durchsprang an jenem Tag vor 49 Jahren um 11.35 die Schaufensterscheibe des Blumenhauses Hölscher an der Klosterstraße durchsprang und suchte such vor den Augen der entsetzten Kunden einen Ausgang durch die Schaufensterscheibe zur Lippestraße. Das berichteten die Dorsten die Ruhr-Nachrichten (heute Dorstener Zeitung) am 5. Oktober 1974. An der Kreuzung Westwall-Lippetor rammte das verängstigte und verletzte Tier ein Auto. „Die Windschutzscheibe zersplitterte“, so der Artikel in der Lokalzeitung. Der Hirsch rannte weiter durch die Bismarckstraße. „Polizeibeamte, mit Maschinenpistolen ausgerüstet, hatten längst seine Verfolgung aufgenommen.“
Der Hirsch hatte vor 49 Jahren nicht so viel Glück wie im aktuellen Fall von 2023. Die Verfolgungsjagd ging über die Juliusstraße über die Borkener Straße zum Hammbach. Dort wurde der Hirsch „durch einen gezielten Blattschuss zur Strecke gebracht“. Die mögliche Erklärung vor 49 Jahren: „Das Tier, das seinen Ausflug vermutlich vom Hardtberg in die Stadt mit seinem Tod bezahlen musste, stürzte in den Hammbach und wurde ein Stück abgetrieben“, so die Schilderung. Polizei und Passanten hievten das Tier aus dem Wasser. Damals wie heute wurde anschließend spekuliert, warum die Hirsche in die Stadt liefen. Jagdaufseher Stefan Klümper vermutet im aktuellen Fall, dass der Hirsch aufgeschreckt worden sein könnte, möglicherweise durch Hunde oder einen Wolf. Vor 49 Jahren wurde ebenfalls als mögliche Erklärung gesehen, dass der Hirsch gehetzt worden sein könnte.

Hermann Gerling, dessen Vater schon Berufsjäger war, sieht eine weitere Möglichkeit für eine Erklärung: „Es ist das Ende der Brunftzeit bei den Hirschen.“ Dabei kommt es zu Kämpfen zwischen den männlichen Vertretern, die um die Gunst der Weibchen buhlen.


Quellen: RN (DZ) von 5.Okt. 1974. – ber in DZ vom 10. Okt. 2023; Foto: Volker Tschöpel in der DZ.

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