Mit Löns-Liedern an die Ostfront, mit Villon-Balladen zuhause gescheitert
1915 bis 1994 Duisburg; Millionär und Löns-Sänger. – In den 1970/80er-Jahren gab es in der Wiesenstraße – Nähe Marktplatz – ein Pelzgeschäft, das dem Deutsch-Holländer Willem Hildebrand aus Velbert gehörte. Seine Beziehungen zu Dorsten waren vielfältig. Nicht nur, dass er im Sommer die damals noch häufig getragenen Pelze der Dorstener Frauen fachgerecht aufbewahrte und eigene Pelzmäntel verkaufte, er war auch ein Bewunderer des Dorstener Künstlertreffs in der Eisdiele von Antonio Filippin gleich nebenan. Denn Künstler war der Pelzhändler auch. Er sang. Auch öffentlich. Sein Repertoire war allerdings etwas einseitig: Löns-Lieder und die Balladen von Villon standen auf seinem Gesangsprogramm. Willem Hildebrands Gesangswurzeln reichten in die Zeit des Dritten Reiches zurück. Schon damals war der 1922 geborene Deutsch-Holländer ein vehementer und anerkannter Vertreter des deutschen Liedgutes. Das Deutsche mochte er. Daher kämpfte er als Volksdeutscher in der SS, zuerst in Schützengräben und dann in einer Propagandakompanie, um als Wehrbetreuer mit Musik und Theater dem Landseralltag hinter der Front kulturelle Erholung und Abwechslung zu bieten. Diese Art von Wehrbetreuung diente aber auch einem getarnten politischen Zweck: Sie sollte den Wehrwillen des deutschen Soldaten wecken und festigen, sollte ihn durch das Aufzeigen der inneren Werte des eigenen Volkes immun machen gegen die Einflüsse der fremden Umwelt und ihm nationalsozialistisches Gedankengut in geschickt verschleierter, unterhaltsamer Form näher bringen. – Willem Hildebrand sang in den Frontstadttheatern im Osten vor den Soldaten Lieder des Heidedichters Hermann Löns. Am Klavier wurde er oft begleitet von Erich Wintermeier (1907 bis 1982), der unter dem Pseudonym Erich Bach NSDAP- und Soldatengedichte sowie Hymnen an den Führer zu Liedern vertonte.
Er blieb mit seinen Liedern ein ungehörter Rufer in der Wüste
Im Deutschland der Nachkriegsära und vor allem im Spannungsbereich des Kalten Krieges blieb Willem Hildebrand nicht nur in Deutschland, er wechselte auch das politische Feld und wurde als selbsternannter „Euro-Atlantiker“ zum Einzelkämpfer Er verschickte Rundschreiben an Regierungschefs, Staatsoberhäupter und Kirchenpatriarchen, in denen er zu Frieden und Freiheit aufrief. Doch blieb Hildebrand ein ungehörter Rufer in der Wüste. Seinem deutschen Liedgut, vor allem Hermann Löns, blieb er treu. Noch vor der Währungsreform 1948 gehörte er zu den wenigen, die Volksgesangskünstler finanziell unter die Arme griff. Er konnte es sich leisten. Seine Pelzgeschäfte brachten die nötigen Geldmittel und die Währungsreform ihn nicht an den Bettelstab. Zeitungen der damaligen Zeit berichteten über ihn von einem „mäzenierenden Millionär“. Hildebrand hatte damals große Pläne: Gründung einer „Meisterschule für Lautengesang und Lautenspiel“ und einer „Gesellschaft zur Pflege und Förderung des europäischen Liedgutes“. Von diesen Plänen ist nichts geblieben, nur sein ungebrochener Mut und sein tatkräftiger Unternehmergeist, Künstler, die er von früher kannte, zu unterstützen und zu neuen Karrieren zu verhelfen – und weiterhin selbst singend aufzutreten.
Er brachte die Lieder Vollons nicht zur Geltung
Hildebrands Löns-Liederabende füllten Säle. Ob in Duisburg oder Hamburg, Straelen oder Stuttgart: Löns und Hildebrand waren gefragt. „Musik, die aus dem Herzen kommt und wieder zu Herzen geht“ hieß seine Devise und Forderung ans Volkslied. Zur Moderne in der Musik hatte der notenunkundige Sänger und Komponist keinen Zugang. Beat bezeichnete er als „Abführmittel zur Überwindung der Epoche der seichten Schlager“. Als Willem Hildebrand als Sechzigjähriger versuchte, sich mit federgeschmücktem Barett auf dem Kopf und Laute in der Hand die lasterhaften Vaganten-Balladen von Francois Villon auf die Bühne zu bringen, erlebte er 1982 in Dorsten und daraufhin auch in Velbert sein „künstlerisches Waterloo“. Mit der Solo-Gitarre, begleitet von Prof. Johann L. Beck-Neuwirth und am Flügel von Jürgen Heinemann, gelang es ihm nicht, Villon in der Nachdichtung von Paul Zech weder gesanglich noch als darstellende Person zur Geltung zu bringen. 1986 gründete Willem Hildebrand in Velbert den Folklore-Verlag „Lied und Wort Willem Hildebrand“. – Er starb1994 im Alter von 79 Jahren in Duisburg.
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Quelle:
Persönliche Erinnerungen Wolf Stegemanns an Erich Wintermeier, Anfang der 1950er-Jahre in Rothenburg ob der Tauber, deren Familien befreundet waren. – Gespräche mit seinem Sohn Mönke Wintermeier in den 1980er- Jahren. – Gespräch Wolf Stegemann mit Willem Hildebrand im Februar 1982 in Dorsten.