Erbaut von dem berühmten Architekten Dominikus Böhm
Von Wolf Stegemann – Die katholische Herz-Jesu-Kirche im Dorstener Stadtteil Deuten gehört zu der wenigen Sakralbauten, die in der Zeit des Zweiten Weltkriegs errichtet werden konnten. 1942 wurde die Kirche vom Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen (1878 bis 1946), feierlich konsekriert. Der Bischof hatte auch den Anstoß zum Kirchbau gegeben, als er Jahre zuvor in Deuten die Notkirche sah und sie erzürnt betrachtete: „Was, das soll eure Kirche sein? Das ist ja ein Holzstall, een Koddenschöppken! Da wohnt euer Vieh ja besser als der Herrgott!“ sagte der volkstümliche Bischof, der ebenso nachdrücklich gegen das nationalsozialistische Regime wie nach 1945 gegen Besatzungswillkür streitbar antrat.
Barackenkirche im Gefangenenlager Dülmen stand leer und kam nach Deuten
Die seit 1910 mit Gründung des Kirchbauvereins eingeleitete Selbstständigkeit der Kirchengemeinde Deuten hatte wegen der schlechten Wirtschaftslage der Nachkriegszeit und der wachsenden Geldentwertung keine Möglichkeit, ein steinernes Gebäude zu errichten. So begnügten sich die Dörfler, ihnen voran der Wulfener Pfarrer Conermann und der Vorsitzende des Kirchbauvereins Max Tüshaus sen., mit einer hölzernen Kirche. Dieser Genügsamkeit kam die Auflösung des Gefangenenlagers Dülmen entgegen. Die dortige Barackenkirche für den Gefangenengottesdienst stand nunmehr leer. Die Deutener packten sie im Juni 1920 auf 21 festlich geschmückte Fuhrwerke und stellten sie in ihrem Dorfe wieder auf. Somit hatten sie für ganze 22.282,50 Mark ein eigenes Gotteshaus, das sie dem Herzen Jesu weihten. Bald waren Glocke, Harmonium und sonstige Kirchenutensilien beschafft. Im Laufe der folgenden Jahre festigte sich durch Gründung verschiedener kirchlicher Vereine (u. a. Jünglings- und Mütterverein) das Gemeindeleben. Als dann am 16. September 1936 der Bischof Clemens August anlässlich einer Firmung in Deuten weilte und die eingangs zitierten zornigen Worte sprach, traf er direkt in die Herzen der Deutener. Die gründeten einen neuen Kirchbauverein unter Vorsitz von Kaplan Fortkamp. Gemäß der bischöflichen Mahnung: „Ihr müsst bauen, und sogar bald!“ wurde man sich in Deuten schnell einig, ein steinernes Gotteshaus zu errichten.
Bischof von Münster bewilligte 1938 den Neubau der Kirche in Deuten
Großes Glück hatte die Gemeinde, den bekannten Kirchenbauarchitekten Prof. Dr. Dominikus Böhm für ihr Vorhaben zu gewinnen. Der Kirchenbau lag im Deutschland der damaligen Zeit am Boden. So war es sicherlich diesem Umstand zu verdanken, dass die kleine Kirchengemeinde diesen großen Kölner Architekten verpflichten konnte. Schon im November 1936 schickte Dominikus Böhm die ersten Entwürfe. Von diesen wurde der Plan der jetzigen Kirche ausgewählt. Am 29. Dezember 1938 bewilligte die Bischöfliche Behörde den Bau und eine Diözesankollekte. Somit war die Basis für die Errichtung der Deutener Kirche geschaffen. Der Landwirt Max Tüshaus stellte das Grundstück in dem kleinen Kirchenwäldchen gleich neben der Barackenkirche zur Verfügung. Noch war das merkantile Auf und Ab der Planung nicht geebnet. Die Kollekte der Diözese brachte 32.750 Mark ein, weit mehr als die Hälfte der veranschlagten Bausumme von 50.000 Mark. Doch bald schätzte man die Kosten auf 70.000 Mark, und die Gemeinde musste 42.000 Mark dazu tun. Während der Bauarbeiten stiegen die Kosten weiter in die Höhe. Am Ende war man bei 93.000 Mark angelangt, und der Bischof stockte die Baukasse um 18.000 Mark auf. Der Domkapitular Friedrichs, der krank im Konzentrationslager Dachau einsaß, ließ privat eine Geldspende an die Gemeinde überweisen. So blieben nach Fertigstellung im Jahre 1943 sogar noch 2.000 Mark übrig. Der Bau wurde unter schwierigsten Bedingungen durchgeführt. Nicht nur die für damalige Verhältnisse und für eine so kleine Gemeinde beträchtliche Bausumme musste aufgebracht werden, es fehlte vor allem an Arbeitern und Hilfskräften. Obwohl die Grundsteinlegung am 18. Juni 1939 noch vor Kriegsausbruch erfolgte, zogen beängstigende Gewitterwolken am politischen Horizont auf. So war Deuten die einzige Kirche, die im Krieg in der Diözese Münster eingeweiht werden und die letzte, die der Bischof Clemens August weihen konnte. Bereits am 22. April 1940 war Richtfest. Die Baustelle hatte kurz darauf hohen Besuch der Bischöfe von Münster, Osnabrück und Hildesheim.
Als dann am 13. August 1942 die feierliche Weihe erfolgen konnte, hatten die Bauherren so allerhand Schwierigkeiten hinter sich gebracht. Marmorsteine, auf dem Bahntransport beschädigt, wurden erst nach langwierigen Verhandlungen ersetzt. Arbeiten der Firma Wings und Iltgen (Köln-Delbrück), die den Altar und die Kommunionbank herstellen sollte, mussten teilweise eingestellt werden. Deutener waren gezwungen, selbst Hand anzulegen. Am 14. November 1940 richtete ein Unwetter erheblichen Schaden an dem Gebäude an. Männer des Ortes, die Handlangerdienste verrichteten, wurden kurzfristig zum Kriegsdienst eingezogen. Doch unverzagt arbeiteten Dominikus Böhm, die Baufirmen und die Bürger weiter. 420.000 Steine mussten bewegt, 20.000 Dachziegel gesetzt und das Holz für den Dachstuhl vom Bahnhof zum Bauplatz geschleppt werden. Bauern leisteten Spanndienste wie in früheren Zeiten. Einen Monat vor der Einweihung wurden die von Professor Böhm entworfenen und zum Teil selbst ausgeführten Glasfenster, die 11.000 Mark kosteten, eingesetzt. Vier Wochen nach der feierlichen Weihe durch den Bischof ging bei einem nächtlichen Luftangriff eine schwere Bombe etwa 300 Meter neben der Kirche nieder. Schäden an Fenstern und am Dach waren die Folge. Auch 1943 war das Gotteshaus der gleichen Gefahr der Zerstörung ausgesetzt. Doch überstand das Gotteshaus Not und Bombardierung. Ein Zeichen des Neubeginns.
Kreuzweg mit bäuerlichen Figuren – Kunst für Kartoffeln, Kost und Logis
Der Deutener Kreuzweg wurde 1946 von Felix Schlüter und seinen Studenten der von ihm geleiteten „Kirchliche Kunstschule Haus Wohnung“ auf den frischen Putz in der gemalt. Zuerst fand der Stil der Darstellungen bei den Deutenern kaum Zustimmung. Denn Schlüter gab den Gaffern am Kreuzweg und den Römern bäuerliche Gesichter. Die Figuren sind in Bauernkittel gekleidet und tragen Holzschuhe, Enten und Gänse, Schafe und Hunde runden das Genre ab. So mancher Deutener meinte, sich als Gaffer auf den Bildern zu erkennen. Erst später fand der Kreuzweg große Anerkennung. Die Idee dazu hatte der damalige Geistliche der Kirche, Rektor Simons, der unermüdlich für dieses religiöse Kunstprojekt warb, das auch der Marienthaler Pastor und Kunstkenner Winkelmann unterstützte. Schlüter, ebenso kunstsinnig wie davon besessen, wollte mit seiner Schule die Idee der mittelalterlichen Bauhütten beleben. Sein Bemühen, Kunst und Kirche wieder mehr miteinander zu verbinden, fiel damals, nach der nationalsozialistischen Zeit der künstlerischen Enthaltsamkeit, auf fruchtbaren Boden. Schlüter und seine (angehenden) Kunst-Studenten und -Studentinnen malten verbissen Tag und Nacht, bis der Kreuzweg, das Leiden Christi als Ausdruck zuversichtlichen Neubeginns, fertig war. Sie bekamen dafür kein Geld, sondern von den Deutener Lebensmittel, Kost und Logis. In den Sonntagsmessen musste Rektor Simons das sich an der Wand Abzeichnende erklären. Verständnislos hörten die Deutener zu, wenn sie ihre missmutigen Blicke über die Wände gleiten ließen. Gewohnt waren sie anderes in Kirchen: Ernstes, Mythisches, Entrücktes, Himmlisches. Und nun sahen sie das Leiden Christi in ländlicher Umgebung, sahen Gänse, Schafe, Hunde und Bauern in Holzschuhen, vielleicht sogar sich selbst und den Nachbarn? Unmut wurde zur Ablehnung. Man fühlte sich „veräppelt“. Dabei wollte Schlüter mit dieser Identifikationshilfe die Annahme des Kreuzwegs durch die ländliche Bevölkerung erleichtern. Um diese Irritationen zwischen Künstlern und Kunstbetrachtern aus der Welt zu schaffen, erläuterte Schlüters Meisterschüler Heinz Waldmann in der Kirche den Deutener in Vorträgen, was dort an den Wänden gezeigt wird. Diese Aktion hatte Erfolg. Aus Unmut und lauter Ablehnung wurde Verstehen, zögernde Einwilligung und später rückhaltslose Annahme: „Wir sind stolz auf unseren Kreuzweg!“.
Treffen der Kunststudenten nach 50 Jahren in Deuten
1996 trafen sich nach 50 Jahren in Deuten die damaligen Schlüter-Schüler und -Schülerinnen, die 1946 den Kreuzweg malten. Es waren Willi Wiethoff (Haltern), Prof. Schaffrath (Aachen), Edith Steinberg (Münster), Hans Paschker (Bocholt), Jupp Nienhaus (Ahaus), Marie-Luise Busch (Gelsenkirchen), Helmut Kowalsky (Coesfeld), Anne-Marie Krettler (Gelsenkirchen). Auch kamen die Geschwister Willy (München) und Ursula Schlüter (Münster) zum Jubiläumstreff nach Deuten. Aus der damaligen Schule von Wilhelm Felix Schlüter sind drei Kunst-Professoren und sechs Kunsterzieher hervorgegangen sowie vier freischaffende Künstler.
Siehe auch:
Kirchen, kath. (Artikelübersicht)