Sparpakete 2012 - Bürger und Firmen zahlen die hohe Verschuldung
Die 2010er-Jahre stehen in Dorsten unter Sparzwang, weil die Verschuldung der Stadt in den letzten Jahren stark angestiegen und Politik und Verwaltung im Rathaus wenig dazu beitrugen, viele Jahre der Verschuldung ernsthaft dagegen zu steuern. Erst 2012 legten Bürgermeister Lambert Lütkenhorst und Stadtkämmerer Hubert Große-Ruiken im Rat ein städtisches Sparkonzept aufgrund der Forderung des Landes vor, um in den Genuss des NRW-Stärkungspaktes Stadtfinanzen zu kommen. Damit wollte die Stadt ihre immensen Schulden in Höhe von 188.000 Euro Kassenkredite (Ausgaben der laufenden Verwaltung) sanieren. Unternehmen und Bürger sollen mit Gebührenerhöhungen, Zusatzzahlungen, Steuererhöhungen, Hinnahme von Einschränkungen öffentlicher Leistungen und dergleichen dazu beitragen, um komplette Schließungen von städtischen Einrichtungen wie Stadtbücherei, Musikschule, Bäder und Jugendeinrichtungen zu vermeiden.
Bürgermeister: Der Bürger soll seine Straße wieder selbst fegen!
Durch rund 210 Einzelmaßnahmen wollte die Stadt 9,6 Millionen Euro sparen, darunter die komplette Streichung der Schulbusse, höhere Elternbeiträge zur offenen Ganztagsschule und Kindergärten, Deckelung der Zuschüsse für die Bäder. Außerdem will sich die Stadt trennen von überzähligen Sporthallen und Schulgebäuden. Erheblich reduziert werden die Straßenreinigung und Winterdienst in Anliegerstraßen. Die WAZ zitierte Bürgermeister Lambert Lütkenhorst mit den Worten: „Wir müssen wieder dahin kommen, dass die Bürger ihre Straße selbst fegen!“ Weitere 7,6 Millionen Euro sollen durch Erhöhung der Grundsteuer A und B eingenommen werden. Zusammen wären das 17,2 Millionen Euro, immer noch nicht genug, um die Vorgaben des Landes von mindesten 22.6 Millionen Euro zu erfüllen. Auf der Sparliste der Stadt standen 2012 folgende Einzelposten (Auszug), die bis 2016 wirksam werden.
Schulen schließen und Schulsonderbusse streichen
Gekündigt werden sämtliche Sonderbusse (Deuten, Lembeck, Tönsholt, Altendorf und rund um die frühere Johannesschule), was 220.000 Euro Einsparungen aber auch eine Erhöhung der Fahrtkosten-Erstattungen bringen würde. Streichungen von Elternbeitragsbefreiungen für Geschwisterkinder würden 190.000 Euro bringen, die Aufgabe von Schulstandorten würde das Stadtsäckel ungefähr um 67.000 Euro und die Einstellung von Sonderbussen für Kinder aus Rhade und Lembeck auf weiterführende Schulen in Dorsten 40.000 Euro entlasten. Eine Zusammenlegung der Korczak- mit der von-Ketteler-Förderschule sowie die Schließung der bereits beschlossenen Astrid-Lindgren-Schule würde 160.000 Euro Ersparnis bringen.
Kultur: Höhere Eintrittsgelder, weniger Angebote
Geplant sind Streichung der Kammerkonzertreihe (bisher 6.000 Euro Kosten), weniger Zuschüsse für Kindertheater, höhere Eintrittsgelder für Theater und Kabarett (je zwei Euro plus) und Kindertheater (je ein Euro), höhere VHS-Gebühren, Kürzung des Zuschusses fürs Alte Rathaus (6.800 Euro). Das Konzept der Musikschule wird überarbeitet und soll künftig ohne hauptamtliches Personal auskommen: Frei werdende Stellen werden nicht neu besetzt. Die Stadtbibliothek verliert eine halbe Stelle und das Kulturamt ebenfalls – hier führt der Verlust dazu, dass Projekte mit Partnern (Kultursommer, Day of Song) künftig nicht mehr möglich sind.
Bäder: Atlantis muss sparen, Nagelprobe für Wulfen
Natürlich stehen im Sparkonzert auch die beiden Dorstener Bäder im Blickpunkt: Atlantis soll Kosten für Personal (100.000), Energie (100.000), Werbung (30.000), Reparaturen, Wartung und Instandhaltung (60.000) senken. Trotzdem bleiben ein hoher Zuschussbedarf für den Betrieb (bisher 1,5 Millionen Euro pro Jahr) sowie Baufinanzierung und Abschreibung (2 Millionen Euro) bei der Stadt. Für das Wulfener Bad geht es in der Spardebatte um alles: Der Zuschuss an den Trägerverein soll dauerhaft auf 100.000 Euro festgeschrieben – und damit nahezu halbiert werden. Heißt: Das Bad braucht nun Unterstützer und Gäste, um überleben zu können.
Verkehr: Weniger Reparaturen, mehr Parkgebühren
Der Winterdienst soll auf die Räumung verkehrswichtiger und gefährlicher Straßen beschränkt werden. Die Intervalle der Straßenreinigung werden verlängert (Innenstadt etwa zweimal pro Woche statt täglich), Sinkkästen nur noch einmal im Jahr gereinigt. Sparen will die Stadt an Straßenunterhalt und -beleuchtung. Parkgebühren sollen um 50 Prozent steigen oder eingeführt werden auf noch freien Flächen (Holsterhausen, Hervest, Parkhaus Maria Lindenhof, Rathaus). Wer bei einem Bauvorhaben nicht genug Parkplätze schafft, soll höhere Ablösebeträge zahlen, Vergünstigungen für Vorhaben in der Innenstadt entfallen.
Kindergärten: Höhere Beiträge und Gebühren
Die Elternbeiträge für die Kindergärten sollen linear um 1,5 Prozent steigen und künftig den gesetzlichen Kindpauschalen dynamisch angepasst werden (bringt 44.000 Euro). Besonders trifft das Sparpaket Eltern von mehreren Kindern im KiTa-Alter: Die Gebührenbefreiung für Geschwister wird gestrichen (Mehreinnahme fast 350.000 Euro). Die Schließung einer städtischen KiTa – mit der neuen Bedarfsplanung ab 2014/15 wohl möglich – spart zusätzlich weitere 140.000 Euro pro Jahr.
Sport: Es geht um Unterhalt und Standorte
550.000 Euro will die Stadt im Sport einsparen. So sollen Zuschüsse und Eigenmittel für den Unterhalt von Plätzen gekürzt, die Gebühren für Hallennutzung verdoppelt werden. Die 200.000 Euro Sportpauschale vom Land sollen nur noch zur Hälfte für Investitionen, der Rest für Instandhaltung genutzt werden. Und: Ein neuer Bedarfsplan soll ermitteln, welche Sportstätten gebraucht werden, Schließungen sind absehbar, zumindest kalkuliert die Stadt mit Einsparungen von 200.000 Euro.
Höhere Steuern auf Hunde und Vergnügen
Die Hundesteuer ist gerade erst auf 96 Euro gestiegen und soll 2013 abermals erhöht werden um zwölf auf dann 108 Euro. Außerdem bläst die im nächsten Jahr wieder zur Hatz auf nicht angemeldete Hunde (die letzte Zählung 2001 ergab, dass für etliche hundert Vierbeiner keine Steuern bezahlt werden). Dauerhaft rechnet die Stadt mit 80 000 Euro Mehreinnahmen.
Die Vergnügungssteuer auf Geldspielgeräte steigt 2013 und 2014 um je zwei Prozent des Einspielergebnisses. Einnahme: 190.000 Euro.
Feuerwehr: Keine Taucherstaffel mehr
Fahrzeuge und Geräte der Feuerwehr sollen länger halten und weniger gewartet werden. Gebühren auf Leistungen steigen, Kurse zur Fortbildung werden gestreckt. Und: Feuerwehrleute sollen ihre Dienstkleidung demnächst zu Hause waschen. Die Aufgabe der Taucherstaffel werde „die Rettung von untergetauchten Personen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ unmöglich machen und zu höheren Schäden bei Unglücken auf dem Kanal führen. Einsparung: 50.000 Euro pro Jahr.
Politik: Stadtrat wird verkleinert
Der Rat soll um sechs auf 44 Mandate verkleinert werden. Allein das spart 32.000 Euro pro Jahr. Der Vorschlag wurde bereits mehrfach diskutiert, bisher aber stets abgelehnt mit Hinweis darauf, dass dann nicht mehr alle Stadtteile im Parlament repräsentiert werden könnten. Ferner sollen die Zuschüsse an die Ratsfraktionen um 5.000 Euro gekürzt und die Repräsentationsmittel des Bürgermeisters etwa für Gästebewirtung oder Gratulation zu Ehejubiläen halbiert werden auf (noch) 3.000 Euro.
Dorsten will Spielplätze schließen um Geld zu sparen – Plan steckt fest
Die Stadt Dorsten hat Probleme Spielplätze zu schließen. Eigentlich wollte sie mit ungenutzten Spielplätzen Geld sparen. Bis Ende 2016 sollten dadurch 120.000 Euro in die Stadtkasse fließen. Doch das Vorhaben hakte. Inzwischen wurde die Einsparsumme Summe auf rund 35.000 Euro nach unten korrigiert. Dennoch konnte bisher noch kein einziger Cent gespart werden, heißt im Februar 2017 es aus dem Rathaus. Das Problem: Der Bedarfsplan sei zwar fertig, wird aber immer noch in Arbeitsgruppen in den einzelnen Stadtteilen beraten.
Dorstener Kommunalpolitiker wollen freiwillig auf mehr Geld verzichten
Kommunalpolitiker wollen freiwillig auf mehr Geld verzichten, dürfen es aber nicht. Das Land hatte zum 1. Januar 2017 ein neues Gesetz erlassen, um das Ehrenamt zu stärken. Danach sollen die Vorsitzenden der Ausschüsse die doppelte Aufwandsentschädigung bekommen. Die neun Ausschussvorsitzenden verzichten somit auf 386 Euro im Monat. Die Stadt würde somit 42.000 Euro im Jahr einsparen. Der Rat hatte entschieden, auf das Geld zu verzichten, um damit eine Stelle im Tiefbau zu finanzieren. Das Land will aber, dass Dorsten das Gesetz umsetzt. Die Verwaltungsspitze hält den Ratsbeschluss wegen der verfassungsrechtlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung für rechtens und glaubt nicht, dass es zu einer juristischen Auseinandersetzung mit dem Land kommen werde. In anderen Städten, z. B. in Recklinghausen, ist das Gesetz bereits vom Rat verabschiedet worden.
Sparplan mit weniger Verkehrsschildern ging nicht auf
Mit weniger Verkehrsschildern in diesem Jahr wollte die Stadt Dorsten 2000 Euro im Jahr 2016 einsparen. Doch daraus wurde nichts. Im Gegenteil: die Stadt musste sogar 10.000 Euro mehr bezahlen. Hintergrund der Mehrkosten: Zum einen muss die Stadt bis zu 250 Straßen- und Verkehrsschilder neu bestellen, zum anderen müssen viele ausgetauscht werden, weil sie beschädigt, verwittert oder mit Farbe besprüht worden sind. Auch in den nächsten Jahren wird die Stadt an der Stelle wohl nicht sparen können, denn auch die Radwege müssen beschildert werden und die Beschmierung öffentlicher Wände, die Zerstörung von öffentlichen Gegenstände wie Bänke, Papierkörbe, Lampen u. a. wird kaum abnehmen.
Kleinvieh macht auch Mist: Weitere Sparvorschläge
Verwaltung. Personalkürzungen in vielen Bereichen werden den Bürgerservice senken. Die Stadt rechnet mit mehr Beschwerden. Auch das „Serviceversprechen“ gegenüber Firmen kann nicht mehr eingehalten werden, im Bürgerbüro gibt es keinen langen Donnerstag mehr und keine Öffnung am Samstag.
Knöllchen. Mehr Einsätze des Radarwagens durch 400 Euro-Kräfte. Bringt 5.000 € pro Jahr.
Frauenkulturtage. Der Zuschuss (5.200 € pro Jahr) wird gestrichen, die Durchführung damit wohl künftig unmöglich, die Gleichstellungsstelle auf reine Personalkosten gestutzt.
Städtepartnerschaften. Kürzung der Ausgaben von 24.000 auf 10.000 € und damit „Beschränkung auf das Notwendigste“. Jede weitere Kürzung der Projektförderung würde die Aufgabe von Partnerschaften bedeuten müssen.
Wahlhelfer. Das „Erfrischungsgeld“ wird von bisher 30 auf den Mindestsatz 21 Euro gesenkt. Spart pro Wahl 4.500 €.
Asylbewerber. Flüchtlinge bekommen ihre Leistungen direkt statt in Gutscheinen ausgezahlt. Die Verwaltung spart dadurch 6.400 € pro Jahr.
Schuldnerberatung. Klienten zahlen für die bisher kostenlose Leistung 100 € Eigenanteil.
Spielplätze. Überprüfung aller Standorte mit dem Ziel, einige aufzugeben.
Kleingärten. Die Pacht wird auf das höchst zulässige Maß angehoben. Bringt 9.000 € pro Jahr.
Friedhöfe. Aufgabe oder Verpachtung von Trauerhallen (z.B. auf dem Marienfriedhof) und Neuplanung mit dem Ziel, Friedhofsflächen aufzugeben. Erwartete Einsparung: 62.000 €.
Biostation. Kündigung des Vertrages mit der Stadt 2015 und Einsparung des Zuschusses von 12.000 €. Der Stadt ist bewusst, dass eine neue Finanzierung gefunden werden muss.
Gebäudekosten. Die Raumtemperatur in öffentlichen Gebäuden um ein Grad zu senken, spart 100.000 Euro im Jahr, die Reduzierung des Stromverbrauchs um 3 Prozent 25.000 Euro und 3 Prozent weniger Wasserverbrauchen bringen 4.000 €.
„Der Ertrinkende wird untergehen, wenn er nicht selbst paddelt“
In ihren Haushaltsreden zum Sanierungspakt warben Bürgermeister Lambert Lütkenhorst und Kämmerer Hubert Große-Ruiken im Rat und bei den Bürgern für Akzeptanz für die anstehenden Einsparungen. „Wenn nichts geschieht, ist damit ein massives Liquididätsproblem verbunden“, erklärte der Stadtkämmerer im Rat. Zu den bisherigen 188 Millionen Euro Kassenkrediten kämen bis 2021 weitere 132 Millionen Euro hinzu. Die WAZ zitiert am 15. Mai 2012 den Stadtkämmerer Große-Ruiken mit seinem Hinweis, dass die Stadt jetzt entschlossen handeln müsse: „Der Ertrinkende wird untergehen, wenn er nicht selbst paddelt.“ Weiter erklärte der Stadtkämmerer vor dem Rat, dass für die Politik nun „die Stunde der Verantwortung, die Sie als gewählte Vertreter übernommen haben“, beginne.
Kommentar
Da muss mehr kommen
Ob der Bürgermeister zurück tritt oder wer Schuld trägt für die Kassenmisere – das ist mir als Bürger dieser Stadt so was von Wurst. Die Debatten darüber finde ich überflüssig und doof. Wer es noch nicht ist, könnte darüber politikverdrossen werden. Das ist aber auch doof.
Als Bürger dieser Stadt sehe ich in der Diskussion um den Stärkungspakt zwei wesentliche Aspekte. Erstens: So viele Miese zu machen, das muss aufhören. Schon jetzt lasten um die 4.000 Euro Schulden auf jedem Einwohner. Wenn dieser Berg wächst, während die Bevölkerung schrumpft: Wie soll meine Tochter (fünf Jahre alt) dann in zwanzig Jahren noch leben können in Dorsten? Zweitens: Ich erwarte von der Politik, dass sie sich Gedanken darüber macht, wie mit der städtischen Finanzkrise umzugehen ist und zugleich das Wohnen in Dorsten bezahlbar bleibt, attraktiv und lebenswert. Dass sie mit uns Bürgern einen Konsens findet, was wir unverzichtbar finden und was wir mitmachen. – Diese konkrete Debatte gibt es noch nicht. Und da geht es um viel.
Es geht um Büchereien. Um Bäder. Um Schulen. Parallel zum Stärkungspakt sucht die Stadt mit einer neuen Schulplanung ja auch Antworten auf die demografische Katastrophe: Weniger als 500 Geburten im Jahr statt über tausend noch vor zwanzig Jahren. Und es geht darum, wie „die Stadt” (Verwaltung und Politik) ihre Bürger sieht: Als Schuldner und Goldesel – oder als Wert, der erhalten werden muss. Es geht auch um eine denkbare Verdoppelung der Grundsteuer. Hausbesitzer können leicht nachvollziehen, was das für sie bedeutet: Die aktuellen Abgabenbescheide haben sie in diesen Tagen erhalten. – In der Diskussion muss jetzt mehr kommen, als Parteigeplänkel. Und das bitte schnell.– Ludger Böhne, WAZ am 1. Februar 2012
Quellen:
Der Text wurde zum größten Teil den Artikeln von Martin Ahlers und Ludger Böhne (Sparpaket 1 bis 3) in der WAZ vom 15. Mai 2012 zum Teil gekürzt bzw. stellenweise umformuliert, ansonsten wörtlich übernommen. Alle hier zitierten Quellen-Beiträge in der WAZ und DZ stammen vom 15. Mai 2012. Im Einzelnen: Martin Ahlers „Bürger und Firmen zahlen die Zeche“ in der WAZ – Ders. „Die Vorstellung im Rat“ in der WAZ. – Ludger Böhne „210 Einzelposten bringen 9,6 Millionen Euro“ in WAZ. – Michael Klein: „Schließungen zu befürchten Streichliste B – So schlimm könnte es werden“ in der DZ – Ders. „Gravierende Einschnitte: Streichliste A – 210 Sparmaßnahmen“ in der DZ. – Ders. „Ratssitzung: Stadt will Steuern erhöhen und an allen Ecken und Enden sparen“ in der DZ.