Gendern oder nicht?

Umfrage: Viele Meinungen erreichten die Redaktion der Dorstener Zeitung

Das Thema Gendern sorgt weiter für hitzige Diskussionen unter den „Leserinnen und Lesern“ Dorstener Zeitung sowie anderer Lokalausgaben im Verbreitungsgebiet der Ruhr-Nachrichten. Schon die Formulierung „Leserinnen und Lesern“, die im deutschen Sprachgebrauch seit Jahrzehnten üblich ist, geht einigen wenigen zu weit, halten sie doch die Nennung der weiblichen und männlichen Form für ähnlich überflüssig wie Genderstern, Doppelpunkt, großes I oder den Unterstrich. Letztere Sonderzeichen, die meist im engeren Sinne mit „Gendern“ gemeint sind, verwenden wir in dieser Zeitung nicht, wie Chefredakteur Jens Ostrowski an dieser Stelle schrieb. Das wurde in Briefen und Mails vielfach begrüßt. „Als ehemaliger Schriftsetzer liebe ich schöne Druckschriften und richte mich nach der vom Duden vorgegebenen Rechtschreibung. Ich vertrete auch den Standpunkt, dass dem Wunsch von Frauen nach femininen Bezeichnungen entsprochen wird. Alle Gender-Abkürzungen (etwa großes I, /, * oder _) lehne ich jedoch ab, weil sie das Schriftbild zerstören und das Verstehen erschweren. Ich empfehle, die aufwendigere Schreibweise (etwa Lehrerinnen und Lehrer) zu benutzen; sie ist klar und schriftbildfreundlich. Im Übrigen stimme ich (Leser Ihrer Zeitung seit über 60 Jahren) Chefredakteur Jens Ostrowski vollauf zu, was Ihre Regelung der Schreibweise in der Zeitung betrifft.“ Über das Gendern in der Zeitung veröffentlichte die Dorstener Zeitung einige der eigegangenen Meinungen der Leserschaft der Ruhr-Nachrichten Ausgaben:

Dr. Friedhelm Munzel, Dortmund: „Ich finde das Gendern unmöglich. Danke, dass Sie es in Ihrer Zeitung nicht machen.“

Monika Drees, Herten: Selten hatte ich das Gefühl, dass mir Ihre Zeitung den ausgestreckten Mittelfinger so entgegenreckt wie an diesem Samstag. Da behauptet Ihr Chefredakteur als fett gedruckte Überschrift, dass Sie nicht gendern würden, um dann in eben jenem Artikel mit diesen unsäglichen Doppelnennungen zu gendern. Gerade diese verhindern doch einen Lesefluss! Und sind vollkommen überflüssig, es sei denn, man führt aus seinem Elfenbeinturm der moralischen Erhabenheit einen Kulturkampf gegen das generische Maskulinum und will den zahlenden Kunden nach seinem Gusto umerziehen, was im Endeffekt zu Spaltung führt. Schon in allen anderen Artikeln übers Gendern habe ich mich bestenfalls veräppelt gefühlt, weil die Redaktion dort konsequent gegendert hat.“

Benjamin Helbig: „Ich bin strikt dagegen! Die neue Rechtschreibung lasse ich mir ja noch gefallen, weil sie überall in Deutschland verwendet wird bzw. verwendet werden sollte. Aber Gendern???? Und dafür auch noch in der Schule je nach Bundesland Minuspunkte kassieren zu müssen, halte ich für sehr ungerecht, um nicht stärkere Adjektive zu verwenden. (…) Ich weiß, dass ich eine Frau bin und fühle mich auch angesprochen, auch, wenn nicht gegendert wird!“

Astrid Timme: „Überspitzt formuliert hat sich die Genderideologie zur Speerspitze der neuen Staatsreligion einer vermeintlichen Political Correctness entwickelt. Gesteuert wird das Ganze von einer sich als Elite verstehenden und den Mainstream lenkenden Minderheit im politischen Raum, im universitären Bereich, aber auch bei den öffentlich-rechtlichen Medien. Als ,Wächterrat‘ der Political Correctness fungieren die Verfechter der im Grunde reaktionären Denkschule der Wokeness-Culture. Bei der kulturellen Säuberung nimmt man die Verhunzung der deutschen Sprache durch Gender-Stern, Unterstrich, Doppelpunkt etc. oder durch den sog. Glottis-Schlag (Kunstpause beim Sprechen) ohne Skrupel in Kauf. Ob das Ziel der Inklusion jeder noch so skurrilen ,geschlechtlichen‘ Minderheit damit wirklich erreicht werden kann, ist mehr als fraglich. Sicher ist hingegen, dass das Gendern integrationspolitisch kontraproduktiv und die Wokeness inzwischen zu einer veritablen Gefahr für den demokratischen Prozess geworden ist. Nicht zuletzt profitiert davon die AfD, die ja ohnehin – wenn auch ungewollt – eine regelmäßige Förderung erfährt, wie zuletzt durch die vom Bundestag beschlossene Option eines jährlichen Geschlechtswechsels.“

Friedhelm Fragemann, Dorsten: „Die Welt steckt voller Probleme und Nöte, und wir haben nichts Besseres zu tun, als uns mit diesem so unwichtigen Problem des Genderns zu beschäftigen. Eines ist doch ganz klar: Wo die Liebe fehlt, hilft auch kein Gendern. Da werden weiterhin Kinder missbraucht und Frauen misshandelt.

Paul Blank: „Auch in Ihrer Zeitung wird in fast allen Artikeln für bestimmte Rollen der männliche und zusätzlich der weibliche Rollenbegriff verwendet, z.B. Zuschauer und Zuschauerinnen, Kunden und Kundinnen etc., was für mich schon Gendern bedeutet. Häufig wird aber auch das Partizip 1 zum Gendern verwendet, was ich für die allerschlimmste Form des Genderns halte. So ist z.B. in einem Artikel (…) von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden die Rede, was grammatikalisch und semantisch völlig falsch ist, da das Partizip 1 eine Tätigkeit beschreibt, die gerade im Moment ausgeführt wird. Der Arbeitgebende ist also nur in dem Moment der Arbeitgebende, wenn er jemanden beauftragt, eine Arbeit auszuführen und gegebenenfalls Lohn dafür anbietet. Der Arbeitnehmende ist nur in dem Moment der Arbeitnehmende, wenn er die angebotene Arbeit annimmt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer dagegen sind Rollen, die vor allem bei Texten im wirtschaftlichen Bereich von Bedeutung sind, und hier ist völlig egal, ob es sich um Männer, Frauen oder diverse Personen handelt. Das gleiche gilt für Kunden, Lieferanten, Mieter, Eigentümer etc. Daher ist auch die durchgängige Aufzählung der männlichen und weiblichen Form (Kunden und Kundinnen) überflüssig. Unfreiwillig komisch war allerdings das Wort ‚Schülersprechende‘, wie es vor einigen Tagen in einem Ihrer Artikel zu finden war. Anscheinend wollte man hier darauf hinweisen, dass sowohl weibliche, männliche und diverse Schülersprecher gemeint sind. Die daraus entstandene Wortkonstruktion ist allerdings vollkommen unsinnig und auch nicht konsequent, da anscheinend nur Sprecher der Schüler und nicht der Schülerinnen gemeint sind. Konsequent wäre hier: Sprechende der eine Schule Besuchenden.

Thomas Vorwerk, Schwerte: „Gender-Sprech wird hauptsächlich in schriftlicher, öffentlicher Kommunikation verwendet und ist auch nach Jahren nicht in der gesprochenen Sprache des Alltags angekommen und wird es auch nie. Ebenso wie die Diskussion um die Geschlechter sind das für mich wohlstandsübersättigte First World Problems. Es sollte die Energie in die Lösung drängender Probleme wie Wohnungsnot und verschlechterte Bildung gelegt werden. Vielen Dank, Herr Ostrowski, dass Sie mit Ihrer Meinung zum Gendern der deutlichen Mehrheit der Leser folgen. Endlich wackelt der Schwanz nicht mit dem Hund.

Ralf Skubschewski, Bergkamen: „Vielen Dank, für die ausführliche und differenzierte Berichterstattung im Rahmen der Serie ,Alles sagen‘. Diese habe ich aufmerksam verfolgt. Seit mindestens 35 Jahren bemühe ich mich um eine geschlechtergerechte Sprache. Vor vielleicht zehn Jahren bin ich zunehmend zu einer gendergerechten Sprache übergegangen – zunächst in Schrift und dann auch in gesprochener Sprache. Es ist bei mir die Entwicklung von einer sprachlichen Kritik an einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft hin zu einer Sprache, der bewusst ist, dass die Welt nicht binär ist, und die die Kritik an patriarchalen Strukturen fortschreibt. (…) Immer wieder finden sich Kronzeuginnen, die vertreten, dass ihnen die Zuschreibung einer deutlich männlichen Berufsbezeichnung wie Kaufmann nicht geschadet habe. Wenn das eine Frau für sich so feststellt, ist das für ihre eigene Geschichte nicht infrage zu stellen. Ich frage mich aber, ob ich mit meiner Wahrnehmung richtig liege, dass eine Berufsbezeichnung viel schneller angepasst wird, wenn Männer in einen Frauenberuf eindringen. Meine Beispiele dafür wären Krankenschwester und Kindergärtnerin. Längst überholte Begriffe, die im heutigen Sprachgebrauch auch noch einen professioneller wirkenden Anstrich erhalten haben.“

Ulf Wegmann, Unna: „Ich bin Ihnen dankbar, dass ich in Ihren Texten von diesen Irrungen verschont bleibe. Sprache verändert sich zugegebenermaßen im Laufe der Zeit; aber man muss doch nicht diese Veränderungen auf Biegen und Brechen mit Gewalt herbeiführen wollen, bloß weil man sich selbst auf einen Feminismus-Kreuzzug begeben hat. Ich empfinde diese Art der Vergewaltigung der deutschen Sprache als ausgesprochene Belästigung. So ist für mich die Lektüre eines Textes sofort beim Auftauchen eines Gendersternchens o.ä. beendet. Bitte verschont uns!“

Klaus Gerecke: „Mit Interesse verfolge ich Ihre Serie – häufig merke ich aber auch, wie Ärger in mit aufwallt, wenn ich so manche Kommentare meiner Mitmenschen lese. Dabei geht es mir nicht darum, ob diese sich mit meiner eigenen Meinung decken oder nicht. Ich bin nämlich ein Kind der Demokratie (zu meinem Glück, wie ich finde und wofür ich sehr dankbar bin) und kann es sehr gut aushalten, wenn Menschen anderer Meinung sind, denn so funktioniert Vielfalt, respektvolles Miteinander und das Leben in einer Gemeinschaft, die nun mal nicht nur aus mir und denen besteht, die mir nach dem Mund reden, sondern auch aus Andersdenkenden und Andersfühlenden. Was mich tatsächlich wütend macht, ist die Tendenz, dass so viele (und so laute) Menschen das vergessen zu haben scheinen oder noch schlimmer, dass es ihnen ganz egal ist. (…) Wo ist die Diskussions- und Streitkultur, die These UND Antithese zulässt und auch damit leben kann, wenn ein Kompromiss manchmal eben nur der kleinste gemeinsame Nenner sein kann? Das Fehlen dieser elementaren Umgangsformen ist es, was mich fassungslos und wütend zurücklässt im Umgang mit manchen Zeitgenossen. Ihnen möchte ich sagen: Es ist so viel einfacher und bei weitem weniger kräftezehrend, freundlich und respektvoll zu sein als hasserfüllt und ablehnend.“

Julia Weber-Seysen: „Brauchen wir wirklich für alles Richtlinien, womöglich sogar Gesetze? Gerade beim Gendern brauchen wir – wie bei vielen anderen Dingen auch – mehr Gelassenheit, auf allen Seiten.“

Ulrich Häpke, Castrop-Rauxel: „Ich persönlich habe kein Problem mit der Gendersprache. Ich finde, niemand sollte genötigt werden zu gendern. Ebenso darf das Gendern nicht verboten werden. Es ist doch die Persönlichkeit des Schreibers oder Sprechers, die damit klar herauskommt. In der Entwicklung der Menschheit gibt es viele Zwischenstufen. Manche sind da schon ein paar Schritte weiter, andere hinken hinterher. Leider wurden auch einige komplett abgehängt.“

Hermann Terglane, Heek: „1999 hörte ich (Frau, 72) an der Dortmunder Universität einen Vortrag der feministischen Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch mit dem Thema „Die Frau ist nicht der Rede wert“ (im selben Jahr war ihr Buch unter demselben Titel erschienen). Sie sprach aus, was ich schon länger gespürt hatte, nämlich, dass Deutsch eine „Männersprache“ ist, in der Frauen nur „mitgemeint“ sind. Sprache verändert sich mit der Veränderung der Gesellschaft und es ist an der Zeit, dass Frauen in der Sprache repräsentiert werden – nämlich zu 50 Prozent! Allen selbsternannten Sprachexpertinnen und –experten, die die deutsche Sprache so gern erhalten wollen wie sie früher war, schlage ich vor, sich doch lieber an den englischen Ausdrücken abzuarbeiten, die die Deutschen so gern verwenden: „Kids“ statt „Kinder“, „Sale“ statt „Schlussverkauf“, „Open“ statt „Geöffnet“, „Closed“ statt „Geschlossen“ und vielen, vielen Beispielen mehr! Das ist für mich eine Sprachverhunzung! Ich war schon öfter in England und habe dort noch an keinem Laden „Schlussverkauf“ oder Ähnliches gelesen!“

Siehe auch: Gendern (Essay)

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone