Geißelbrecht, Friedrich

Hoher NS-Funktionär und „Blutzeuge“ in Dorsten entnazifiziert

Von Wolf Stegemann – 1895 in Nürnberg bis 1985 in München; auch Geisselbrecht geschrieben, NSDAP-Politiker und so genannter Blutzeuge. – Er wurde nach dem Krieg in Dorsten entnazifiziert, der Kategorie III zugeordnet und wohnte mit der Berufsbezeichnung „Hilfsarbeiter“ in der Luisenstraße 6 in Holsterhausen. Richard Herpers, Handels- und Berufsschuldirektor in Dorsten, war sein Schwager, denn Geißelbrecht war mit dessen Schwester verheiratet. Nach dem Besuch der Volks- und Realschule in Nürnberg nahm der Katholik Friedrich Geißelbrecht von 1914 bis 1918 am Ersten Weltkrieg teil, in dem er mit dem Königlich 7. Bayerischen Feldartillerie-Regiment an der Westfront kämpfte. 1917 wurde er zum Leutnant befördert. Nach Beendigung des Krieges verdiente Geißelbrecht seinen Lebensunterhalt als Kaufmann und heiratete 1924 die Schwester des Dorstener Berufsschuldirektors Herpers.

Beim Putschversuch Adolf Hitlers von 1923 war er dabei

Friedrich GeißelbrechtBereits kurz nach Beendigung des Krieges stieß Geißelbrecht schon früh auf Hitlers NSDAP, trat 1923 in die NSDAP ein, denn er glaubte, als „Idealist“ in der neuen Partei dem „schwer geprüften Volk“ dienen zu können. So sah es jedenfalls sein Schwager Richard Herpers. Dass er nicht idealistisch war, er sich sogar an „arisiertem“ Haus- und Grundbesitz 1941 bereichert hatte, wird von Herpers im Leumundszeugnis für Geißelbrecht verschwiegen, wie auch seine Beteiligung als Hitlers Stoßtrupp-Mann (spätere SS) am Münchner Umsturzversuch Hitlers durch den Marsch zur Feldherrnhalle am 9. November 1923, der scheiterte. Mit Hitler und anderen wurde auch Geißelbrecht 1924 vom Volksgericht München I zu Festungshaft in Landsberg am Lech verurteilt. Von den 18 Monaten Haft musste er nur vier absitzen. Seine Zellennachbarn im Festungstrakt des Gefängnisses waren neben Hitler und Hess auch Hans Kallenbach, der Geißelbrecht in seinem 1938 erschienenen Erinnerungsbuch als „geistig regsam“ bezeichnete. Weil Friedrich Geißelbrecht bei dem missglückten Marsch auf die Feldherrnhalle, bei dem etliche Teilnehmer von der Polizei erschossen wurden,  dabei war, gehörte er als „Blutzeuge“ dem von den Nazis gegründeten „Blutorden“ an, der sich „um die Blutfahne“ scharte an.

Im Dritten Reich Karriere gemacht

Nach der Ernennung Hitlers 1933 zum Reichskanzler trat Friedrich Geißelbrecht in den Verwaltungsapparat der NSDAP ein und wurde am 8. Juli 1933 als Reichshauptamtsleiter zum Leiter des Hauptamtes VII (Hilfskasse der NSDAP) beim Reichsschatzmeister in München ernannt. In der SA, der er 1931 beitrat, erreichte er 1943 den Rang eines SA-Oberführers. In den  Entnazifizierungsakten steht mit „Brigadeführer“ ein höherer Dienstrang. Bei der Reichstagswahl am 29. März 1936 kandidierte er erfolglos. Von April 1938 bis zum Ende der NS-Herrschaft im Frühjahr 1945 saß Geißelbrecht als Abgeordneter für den Wahlkreis 18 (Westfalen Süd) im Reichstag. 1941 verschaffte er sich von der Jüdin Martha  Horwitz in Ennigloh/Bünde Haus und Grundstück. Im Entnazifizierungsverfahren erklärte der damals diese „Arisierung“ beurkundender Notar, dass Geißelbrecht dies nur getan habe, um der Jüdin ihre Ausreise nach Südamerika zu ermöglichen.

In verschiedenen Internierungslagern, dann nach Dorsten

Die Amerikaner verhafteten Friedrich Geißelbrecht am 25. März 1945 in München und verbrachten ihn ab 15. August in die politischen Abteilungen verschiedener Internierungslager nach Zuffenhausen, Dachau, Ludwigsburg und Fallingbostel. Von dort wurde er am 25. September 1947 mit der Entnazifizierungseinstufung III (belastet) nach Dorsten entlassen, wo er in der Luisenstraße wohnte. So genannte „Persilscheine“, mit denen Familienmitglieder und andere ihn als Nazi reinwaschen wollten, brachten keinen Erfolg. Vermutlich, weil sie so gelogen waren, dass der Widerspruch zwischen dem Handeln Geißelbrechts als NS-Funktionär und seinen Persilschein-Bewertung zu auffällig waren: Vornehme Gesinnung, er hätte enttäuscht mit der Partei gebrochen, blieb aber dabei, weil er das Gute in den Nationalsozialismus hinbringen wollte (Schwager R. Herpers), „kein politischer Mann“ (Joseph von Acherem, weiterer Schwager aus Pittsburgh/USA), „ein prächtiger Mensch und reiner Idealist, der in der Partei nur Gutes vermutete“ (Landgerichtsdirektor Tischler). Der Hauptausschuss, der das Urteil des Unterausschusses überprüfte,  ließ sich davon nicht beeinflussen. Er beließ Friedrich Geißelbrecht 1948 in der Kategorie III. – Friedrich Geißelbrecht starb 1985 in München.


Quellen:
Entnazifizierungsakte unter priv. Ordnungsnummer 237. – Wikipedia, Online-Enzyklopädie (2012). – Joachim Lilla „Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstags 1933-1945. Ein biographisches Handbuch. Unter Einbeziehung der völkischen und nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten ab Mai 1924. Droste, Düsseldorf 2004. – www.dorsten-unterm-hakenkreuz.de (Entnazifizierung II).

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