Gefängnis

„Custodia honesta“ für drei ehrenwerte Gefangene vorgesehen

Das Gefängnis am heutigen Willy Brandt-Ring, das bei der Bombardierung zerstört wurde, Luftbild von 1925

Das Gefängnis (rechts der Markierung) wurde bei der Bombardierung zerstört, Luftbild von 1925

Von Wolf Stegemann – Wo im Mittelalter die Stadt Dorsten ihre Übeltäter gefangen hielt, ist nicht bekannt. Vermutlich in einem der Türme. Als Polizeigefängnis waren im Keller der Alten Stadtwaage (Altes Rathaus) am Markt bereits um 1800 zwei Zellen eingerichtet gewesen, die 1837 ausgebaut wurden. Weitere Zellen gab es in dem 1828 aufgekauften und zum Gerichtsgebäude umgebauten Zum Busch’schen Haus in der Lippestraße. Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Frage aufkam, ob Dorsten ein Kreisgericht bekommen sollte, war die Bereitstellung eines Gefängnisses Vorbedingung. Daher hatten Magistrat und Stadtverordnete 1850 für den Fall der Verlegung des Kreisgerichts nach Dorsten die Verpflichtung übernommen, alle, außer die bereits vorhandenen, für die Einrichtung des Kreisgerichts noch erforderliche Gebäude, darunter ein ausreichendes Gefängnis zu errichten.

Gebäude für 35 bis 40 Gefangene errichtet

Inserat vom 10. Januar 1884

Inserat vom 10. Januar 1884

Der ursprünglich gehegte Plan, ein Gefängnis auf dem Platz hinter dem Gerichtsgebäude zu bauen, wurde fallen gelassen und die Justizverwaltung erwarb 1857 zwei in der Nähe des Lippetors am Ostwall (heute nördlich neben Eisen-Büschemann) gelegenen Gartengrundstücke des Rentners Peter von Raesfeld und die angrenzenden Hutmacher‘schen Gärten für je 500 Taler. Das Gebäude sollte für 35 bis 40 Gefangene Platz bieten, sowie eine „custodia honesta“ für drei ehrenwerte Gefangene haben, ferner eine Dienstwohnung für den Gefängniswärter sowie zwei Räume für den Untersuchungsrichter. 20.000 Taler wurden dafür veranschlagt, so dass die Regierung bei dieser hohen Summe die Stadt 1859 aus ihrer Beschaffungspflicht entließ und sie stattdessen 400.000 Ziegel unentgeltlich und eine Summe von 9.800 Talern dem Justizfiskus zur Verfügung stellen sollte. Im Juni 1862 war der Bau des Gefängnisses vollendet. 1881 stand im „Dorstener Wochenblatt“ die Anzeige:

„Das Königliche Amtsgericht zu Dorsten gibt bekannt: In hiesiger Gefangenenanstalt, versehen mit einem hinreichend geräumigen Arbeitssaal, befinden sich durchschnittlich etwa sechs Gefangene, welche zu geeigneten Arbeiten, als z. B. Korb- und Strohmattenflechterei und Anfertigen von Düten herangezogen werden können. Hierauf Reflectirende wollen uns ihre Offerte einreichen.“

Gefängnis bei der Bombardierung zerstört

Als das Dorstener Gefängnis bei der Bombardierung im März 1945 durch Bomben ausbrannte, war es von etwa 40 Deserteuren der Wehrmacht überbelegt, von denen die meisten in den Flammen umkamen. Anwohner versuchten die noch verschlossenen Zellen zu öffnen und konnten so mindestens elf Soldaten freibekommen. Andere waren bereits geflüchtet. Doch die SS, die in der Holsterhausener Bonifatiusschule einquartiert war, soll das Gefängnis umstellt, befreite Soldaten auf einen LKW verladen und sie am Freudenberg erschossen haben (siehe  Denkmal für Deserteure).
In den letzten Kriegmonaten war das Dorstener Gefängnis am Ostwall überfüllt. Immer mehr deutsche Soldaten wurden aufgegriffen und eingesperrt, die im Verdacht standen, desertiert zu sein. Daher wurde im Frühjahr 1945 die Holsterhausener Antoniusschule (damals Otto-Weddigen-Schule) als Militärgefängnis des Heeres eingerichtet. Noch in diesen letzten Monaten des Krieges wurden dort einsitzende Soldaten wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und an der Holsterhausener Steinhalde exekutiert. Eine Anwohnerin erinnerte sich, dass noch in den Märzwochen 1945 (Ende März rückten die Amerikaner ein) vier Urteile vollstreckt worden sein sollen.

Amtsgerichtsgefängnis (ummauerter Teil am Haus der Gefängnishof)

Amtsgerichtsgefängnis von 1950 bis 1970 (ummauerter Teil am Haus ist der Gefängnishof)

1950 Gefängnis im Dorstener Amtsgericht

Nach Wiederaufbau des Amtsgerichts am Alten Postweg nach dem Krieg wurden im zweiten Stockwerk und im Dachgeschoss Zellen für 32 Männer und neun Frauen eingerichtet und das Amtsgerichtsgefängnis 1950 seiner Bestimmung übergeben. Die Zellen galten für die damaligen Verhältnisse allgemein und des Strafvollzugs im Besonderen als äußerst modern. Die Räume hatten WC, ein Waschbecken und fließendes Wasser, Betten und ein Wandschränkchen. Zudem gab es einen Baderaum mit Wanne und Duschen sowie einen Arbeitssaal, der später als Aufenthaltsraum (Fernsehen, Tischtennis, Kartenspiele) umgestaltet wurde. Die Gefängnisküche war im Keller untergebracht. Die Frauenabteilung wurde bereits Ende der 1950er-Jahre aufgelöst. In der Hauptsache verbüßten hier Verkehrstäter ihre Strafe. Im Zuge der Strafrechtsreform wurde das dem Amtsgerichtsdirektor unterstandene Gefängnis 1970 geschlossen.

Eine Prinzessin von Sachsen-Coburg-Gotha saß im Dorstener Gefängnis

Die prominenteste Gefangene, die nach dem Kriege im Dorstener Gefängnis einsaß, war am 27. November 1956 Caroline-Mathilde Prinzessin von Sachsen-Coburg und Gotha. Gegen sie und ihren Freund Alexander Glasow war vor dem Schöffengericht in Coburg wegen Abtreibung (§ 218) Klage erhoben worden. Glasow hatte in der Ostzone an seiner vormaligen Freundin eine Abtreibung vornehmen lassen, an der sie 1954 starb. Die Prinzessin gab fälschlicherweise ihren Sohn als Kindsvater an, um ihren Freund Glasow zu decken. Da weder die Prinzessin noch ihr Mitangeklagter Glasow zum Prozess in Coburg erschienen waren, wurden sie per Haftbefehl bundesweit gesucht, schließlich in Marl festgenommen und ins Dorstener Gefängnis gebracht (siehe Sachsen-Coburg und Gotha).

Gefängnis im Schloss Lembeck

Für die Herrlichkeit gab es im Schloss Lembeck ein Gefängnis und zwar etwa in den Räumen, wo sich seit 1967 das Restaurant befindet. Die Wände des Wein- und Vorratskellers des Restaurants sowie die Damentoilette weisen noch (heute durch Glas geschützte) Graffiti-Einritzungen einstiger Gefangener auf. Die vier fensterlosen Zellen waren etwa 3 x 5 m groß und am Ende eines langen Gewölbes untergebracht. Die Einritzungen in der Wand stellen Jahreszahlen, Namen und Strichmännchen, Hände und Köpfe sowie ganze Wörter und einen Galgen dar. An der Wand der heutigen Damentoilette sind die Jahreszahl 1806 und der Satz zu lesen: „Es lebe der preußische König“. In jenem Jahr verlor Preußen gegen Napoléon die Schlacht von Austerlitz. Der Gerichtssaal befand sich bis 1730 über dem Verlies, im heutigen Schlaunschen Festsaal.
Die im Auftrag von Kurfürst Clemens August von Johann Conrad Schlaun in Verbindung mit dem Zwinger (Gefängnis) 1733 bis 1738 in Münster erbaute „Besserungs- und Arbeitsanstalt“, unter der irreführenden Bezeichnung „Zuchthaus“ bekannt, diente als Unterbringungsort für Täter aus dem gesamten Fürstentum mit schwerwiegenden Delikten. Das „Zuchthaus“ galt in seiner Zeit als ein hochmodernes Beispiel „vorsorgender Rechtspflege“. 1914 wurde es aufgelöst und abgebrochen (siehe Militärgefängnis in der Antoniusschule, siehe Schulz, Norbert).

  • Seit zwei Jahren hat es in Nordrhein-Westfalen keinen Ausbruch oder Entweichung aus dem geschlossenen Vollzug im Gefängnis mehr gegeben. Das hat das NRW-Justizministerium auf dpa-Anfrage mitgeteilt. Als Entweichung wird ein gewaltfreies Verschwinden bezeichnet, ein Ausbruch ist in der Regel mit einem Schaden verbunden. Aus dem offenen Vollzug seien 2022 insgesamt 145 Gefangene entwichen. Demnach seien 51 Häftlinge von Langzeitausgängen, 132 von Ausgängen und drei Personen von Freigängen nicht zurückgekehrt (dpa).

Quellen: Hugo Hölker „Aus Lembecker Gerichtsakten“ in HK 1986. – Rüdiger Winter „So alt wie die Stadt ist auch das gewachsene Recht“ in Festschrift 500 Jahre Dorstener Altstadtschützen, Dorsten 1987.
Literatur: Hermann Rothert „Westfälische Geschichte, Bd. 1-3, Osnabrück 1986. – Stadt Dorsten (Hg.) „Dorsten“, Dorsten 1975. – Dr. Kubisch, Kuckelmann in „Festschrift zur Einweihung des neuen Amtsgerichtsgebäudes in Dorsten“, Dorsten 1929. – Prof. Dr. Julius Evelt „Beiträge zur Geschichte der Stadt Dorsten und ihrer Nachbarschaft“ in „Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde Westfalens“, Münster, 1863/64. – Wolf Stegemann „Wer R. Schulz aus dem Todeskeller rettete, weiß niemand mehr“ in RN vom 30. März 1985. – Günther Heß in HK 2011.

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