Gasthof „Zum Reichsadler“

Hundert Jahre Betrieb mit Gaststätte, Festsaal und Bäckerei

Gasthof „Zum Reichsadler“, Foto: JF

Hinter dem in Dorsten bekannten Namen Kleinespel steckt nicht nur die über 100-jährige Geschichte des Gasthofes „Zum Reichsadler“ auf der Hardt, sondern auch die Bäckerei, die über  80 Jahre lang die Dorstener mit Brot, Brötchen und Kuchen versorgte. – Der „Saal Kleinespel“, wie der Gasthof auch genannt wurde, war über Jahrzehnte hinweg die gute Adresse, wenn es etwas Besonderes zu feiern oder laut zu bereden galt: Hochzeiten und Taufen, Karnevals- und Vereinsbälle, Jahrestagungen der Kreisbauern und eine Woche danach der Kreisbäuerinnen. Politische Reden wurden bei Parteiversammlungen und Flüchtlingstreffen gehalten sowie  Niederlagen und Siege von Sportvereinen begossen. Dabei gaben sich der Reihe nach Prominente die Klinke in die Hand: Neben den einheimischen Majestäten der Schützen waren dies Vizekanzler Dr. Erich Mende, Bundesarbeitsamtschef Dr. Josef Stingl, Fernsehjournalist Claus-Hinrich Casdorff, Ministerpräsident Heinz Kühn, Minister Kurt Biedenkopf, Kabarettistin Ursula Herking, Ministerpräsident Dr. Franz Meyer, Bischof Reinhard Lettmann, um einige aus dem Gästebuch zu nennen.

NSDAP und SS wählten die Gaststätte zu ihrem Stammlokal

Inserat vom 23. Dezember 1909

Inserat vom 23. Dezember 1909

Die Gründung geht auf das Jahr 1904 zurück, als Bernhard und Sophie Klein-espel in das Haus Gahlener Straße 128 in die Nachbarschaft umzogen und die Gaststätte „Zum Reichsadler“ eröffneten, vier Jahre später mit einem Saal erweiterten und somit Mittelpunkt von großen Festlichkeiten in der Stadt wurden. 1924 kam die Bäckerei mit einem großen neuen Backofen dazu und in den nächsten Jahren trat Sohn Bernhard Kleinespel jun. ins Geschäft ein. Die Weltwirtschaftkrise von 1929 ging auch an Kleinespel nicht spurlos vorüber, doch das Unternehmen erholte sich. Schon vor 1933 erkoren NSDAP und SS die Wirtschaft „Zum Reichsadler“ zu ihrem Parteilokal. Am 25. Juli 1933 gab es beinahe einen Mord im Hause Kleinespel. An diesem Tag wurden Bernhard und Änne Kleinespel in der Gahlener Kirche getraut. Danach haben sich Familie, Freunde und Verwandte im geschmückten Saal eingefunden. Ungeladen kamen auch drei SA-Männer, die ihr Auto an Kleinespels Tankstelle auftanken ließen und nicht bezahlen wollten. Es kam zu Handgreiflichkeiten und die Braunhemden, die bewaffnet waren, schossen in der Gaststätte wild um sich. Im allgemeinen Durcheinander sah sich der Bräutigam im Treppenhaus plötzlich einem SA-Mann gegenüber, der die Pistole auf ihn richtete und abdrückte. Es machte klick – Ladehemmung!

SA-Männer entschuldigten sich bei dem Brautpaar

Ehepaar Kleinespel bei der Hochzeit 1933 (Zeitungsbild)

Bernhard und Änne Kleinespel 1933

Was half es, dass sich die lokalen Größen der NSDAP und der SA am Abend bei dem Brautpaar entschuldigten – die Stimmung war hin. Der Pastor fand ein Wort des Trostes: „Stürmische Hochzeit – friedvolle Ehe!“ Noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden im Jahre 1939 Soldaten im Saal einquartiert, die dort eine Funk- und Meldestelle einrichteten. Gegen Ende des Krieges diente der Saal als Lazarett. Um 1952 etablierte sich Kleinespel zum Zentrum der Vereinsgeselligkeit, 1968 wurde ein Neubau errichtet. 1979 übernahmen Brigitte und Gerd Kleinespel den elterlichen Betrieb. Ende der 1980er-Jahre errichtete Kleinespel im Stadtgebiet eigene Filialen, da die Verträge der Belieferung von Läden ausgelaufen waren. Die Benutzung des Saals ging permanent zurück. Zuletzt war dort die Tanzschule Höfken untergebracht, heute ist es die Fotokunst-Galerie „Lupus“ des Fotografen Peter Koerber. – Ende 2004 verkauften die Kleinespels die Bäckerei an das Dorstener Backunternehmen Hermann Imping, doch der traditionsreiche Name Kleinespel blieb im neuen Namen der Backbetriebe erhalten.


Quellen: Wolf Stegemann in RN vom 10. August 1983. – Klaus-Dieter Krause in DZ vom 22. Januar 2005.

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