Forensik

Bürger protestieren und Städte klagen gegen die Klinik für Straftäter

In der Nähe von Haltern soll die Forensik entstehen; Foto: marl aktuell

In der Nähe von Haltern soll die Forensik entstehen; Foto: marl aktuell

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) zog ab 1995 in Betracht, in ihrem aufgelösten Jugendheim Kreskenhof an der Peripherie von Holsterhausen eine Forensik für Straftäter einzurichten, was in der Bevölkerung zu lauten Protestaktionen und Bildung einer Bürgerinitiative führte. Landesregierung und Landschaftsverband gaben inoffiziell den Plan auf, so dass der damalige Bürgermeister Friedhelm Fragemann verkünden konnte, dass es keine Forensik in Holsterhausen geben würde. Tatsächlich zog das Land NRW ein Jahr später den möglichen Dorstener Standort für die Forensik zurück und verkaufte das Gelände 1999 an einen privaten Investor, der dort Wohngebäude errichtete. Danach löste sich die Bürgerinitiative auf.

Keine Stadt wollte eine forensische Klinik

Im September 2011 kündigte das NRW-Gesundheitsministerium an, dass Dorsten neben den Städten Marl, Haltern und Gladbeck als ein neuer Standort für eine Forensik zur Resozialisierung psychisch kranker Straftäter geprüft werden wird. Sollte die genannten Städte dem Ministerium bis Jahresende 2011 keine Flächen melden, würde das Ministerium in den Städten selbst danach suchen. Denn bis zum Jahr 2020 würden etwa 650 stationäre Plätze benötigt. Die Ministerin auf Anfrage der „Dorstener Zeitung“:

„Psychisch kranke und suchtkranke Straftäter stammen aus allen Teilen unserer Gesellschaft und sie kommen aus allen Städten und Gemeinden unseres Landes. Deshalb ist es gerecht und für eine spätere Entlassung auch notwendig, dass alle Regionen des Landes ihren Anteil zur sicheren Unterbringung dieser Straftäter leisten.“

Der Planungsausschuss des Rates stellte Mitte November 2011 mit großer Mehrheit (bei Stimmenthaltung der Grünen) fest, dass es in der Stadt Dorsten keinen Platz für eine Forensische Klinik gebe. Dies habe die Standortprüfung der Verwaltung ergeben. Die Verwaltung meinte, dass eine Forensik kein Gewerbe darstelle. Daher sei die Ansiedlung einer solchen Einrichtung in einem Gewerbegebiet auch schwierig.

Neuer Standort Haltern

Das Gesundheitsministerium entschied Ende 2012, dass die Forensische Klinik mit 150 Plätzen für psychisch kranke Straftäter ab 2015 in Haltern errichtet wird. Und zwar auf der auf der verlassenen Schachtanlage Auguste-Victoria 9 am Lembecker Weg zwischen Barkenberg, Lembeck und Lippramsdorf. Das Gesundheitsministerium schrieb 2011 die Bürgermeister von 125 Städten in fünf Landgerichtsbezirken an, die – gemessen an der Zahl der Verurteilungen – mit Plätzen für Forensik-Patienten unterversorgt sind. Sie sollten Standorte benennen, an denen eine Klinik gebaut werden könnte. Dorsten und Haltern hatten damals keine Standorte vorgeschlagen. Zum Landgerichtsbezirk Essen gehören nur wenige Städte – neben Haltern und Dorsten sind dies Marl, Gladbeck, GE, Bottrop, Hattingen und Sprockhövel. Essen schied aus, weil es hier bereits eine Klinik gibt.

Dorstener CDU schloss sich dem Protest an

Die CDU in Haltern kritisierte den Standort auf Halterner Gebiet. Dieser Kritik schloss sich im November 2012 der Vorstand des CDU-Ortsverbandes Wulfen/Deuten und Dorstens damaliger CDU-Stadtverbandsvorsitzender Tobias Stockhoff (seit 2014 Bürgermeister) an. Sie wollen ihre Ablehnung mit Informations- und Protestveranstaltungen in die Dorstener Bürgerschaft hineintragen. In Lippramsdorf hat sich Ende 2012 ein Verein mit 60 Mitgliedern gegründet, der gegen den Forensik-Standort agiert, um ihn zu verhindern. Entsprechend heißt der aus einer Bürgerinitiative in kürzester Zeit hervorgegangene Verein „Hohe Mark ohne Forensik“. Mitte Januar 2013 stellte der Verein in der Region neue Großplakate auf. Mit dem Titel „Natur geht – Forensik kommt?“ hieß das neue Motiv der Kampagne auf Plakaten, die u. a. auch in Wulfen und Lembeck zu sehen waren. Anders als 1996 in Holsterhausen, wo die Bürgerinitiative ihren Widerwillen gegen die Menschen in der Forensik in den Fokus ihres Widerstandes stellte, argumentierte der Verein „Hohe Mark ohne Forensik“ mit der Natur, um die Forensik zu verhindern.

Die Stadt Lünen klagt vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen

Protest in Lünen

Der Streit um die Forensik-Neubauten in Nordrhein-Westfalen wird ab März 2017 vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ausgetragen. Das Land will auf einer alten Zechenbrache in Lünen eine fünf geplanten forensischen Kliniken mit jeweils rund 150 Plätzen errichten. Dagegen wehrt  sich die Stadt Lünen. Weitere Standorte sind Hörstel im Münsterland, Haltern am See, Wuppertal und Reichshof im Oberbergischen Kreis. Das NRW-Gesundheitsministerium erhofft sich von der Gerichtsverhandlung „Klarheit für die weitere Planung“ und dass die Gemeinden den „mehrfach angebotenen Weg der Kooperation eingehen“. Den geht von den genannten Städten nur Hörstel, wo 2018 auf einem ehemaligen NATO-Flugplatz eine forensische Klinik gebaut wird. Alle anderen Städte haben das Land mit ihrem Bauvorhaben ausgebremst: Wuppertal will die Klinik nicht in der Stadt haben, Reichshof hält Naturschutz dagegen, Lünen will die Klinik nicht und möchte die Gründe erst in der Verhandlung nennen, in Haltern gibt es ebenfalls ablehnende Gründe, wie das Naherholungsgebiet Haard. Dann kam Marl ins Gespräch.

Marl: Ein „ziemlich unfreundlichen Akt“ der Stadt Haltern

Die Halterner CDU will eine forensische Klink in ihrer Stadt unbedingt verhindern und schlug dem NRW-Gesundheitsministerium der Stadt Marl als einen  möglichen Alternativstandort vor. Im Marler Rathaus bewertet man dieses Vorgehen als einen „ziemlich unfreundlichen Akt“.  Die Klinik für psychisch Kranke soll nach den Plänen der Landesregierung auf dem Gelände der ehemaligen Schachtanlage Haltern 1 / 2 in der Haardt errichtet werden Das Areal liegt auf dem halben Wege zwischen Haltern und Marl-Sinsen. In Haltern gibt es dagegen erheblichen Widerstand. Die Seestadt befürchtet insbesondere Nachteile für ihren Tourismus.

Es werden immer mehr Plätze für dem Maßregelvollzug benötigt

Mit Stand von März 2017 gibt es in NRW einen steigenden Mangel an Maßregel-Vollzugsplätzen. Laut Ministerium gab es zum 1. Januar 2017 über 2230 Plätze für Patienten in forensischen Kliniken, 269 Patienten waren in Kliniken der Allgemeinpsychiatrie untergebracht, 19 Patienten mussten in anderen Bundesländern untergebracht werden. Im Maßregelvollzug – in forensischen Kliniken – werden Straftäter untergebracht, die psychisch krank oder suchtkrank sind und die deswegen schuldunfähig oder vermindert schuldunfähig sind. Die Zahl der Straftäter in forensischen Kliniken steigt. In den vergangenen zehn Jahren um zwei Drittel. Das liegt laut Fachleuten zum einen an einer Zunahme der Zahl von straffällig gewordenen Suchtkranken, zum anderen an der längeren Verweildauer von Patienten. Kliniken, Gutachter und Gerichte gelangen nach Angaben des Ministeriums seltener und später zu der Einschätzung, dass die Patienten nicht mehr gefährlich sind und entlassen werden können.

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