Mit Junkers konnte man von der Erler Heide bis nach Moskau fliegen
Von Wolf Stegemann – Dass es gleich nach der Grenze des Holsterhausener Gemeindegebietes in der Erler Heide einen Flugplatz mit internationalen Anschlüssen gegeben hat, verdankte die Stadt Dorsten, die vor allem davon profitierte und Namensgeberin des Flugplatzes war, den französischen und belgischen Ruhrbesatzern, die den Flugbetrieb in den von ihr besetzten Gebieten stark eingeschränkt, wenn nicht gar eingestellt hatten. Der „Flugplatz Dorsten“ oder „Flugplatz Ruhrgebiet“, wie er auch genannt wurde, wurde als Ersatz für den von den Franzosen gesperrten Essener Flughafen aus dem nicht besetzten Boden der Erler Heide gestampft. Abgesehen von internationalen Reisenden war er auch das Ausflugsziel neugieriger Holsterhausener, denn dort gab es immer etwas zu sehen. Er brachte ein bisschen die große, weite Welt in die platte, enge Herrlichkeit. Ältere Menschen schwärmen heute noch von Besuchen auf dem Flughafen in Erle, als sie Kinder waren. Im Mai 1925 wurde der Flughafen feierlich eröffnet und im August des gleichen Jahres wieder geschlossen: Das „Provisorium Dorsten“ hatte seinen Zweck erfüllt, denn die Franzosen gaben die Stadt Essen und den Flugverkehr wieder frei. Der Flugplatz an der Holsterhausener Grenze versank ebenso schnell wieder im Gras des Heidebodens, wie er wenige Monate zuvor mit unbürokratischer Schnelligkeit errichtet worden war.
Erler Heide war unbesetztes Gebiet
Die erst im Februar 1925 gegründete Luftverkehrsgesellschaft Ruhrgebiet AG (Lurag) betrieb zwischen Gelsenkirchen und Essen einen Zentralflughafen, den die Fluggesellschaft wegen der Besetzung schon bald nicht mehr betreiben konnte. Um den Anschluss an das internationale Liniennetz nicht zu gefährden, musste sich die Fluggesellschaft nach einem neuen Standort im unbesetzten Gebiet umsehen. Den fand sie in Erle. Die heimische Wirtschaft hatte das Flughafenprojekt gefördert, von den Gemeinden wurde es ebenfalls begrüßt. Alle versprachen sich von dem neuen Flughafen in der Erler Heide einen Aufschwung der desolaten Wirtschaft.
Flugzeuge konnte mit vollen Tanks 725 Kilometer weit fliegen
Zur Einrichtung des Lurag-Flughafens wurde nahe der Kreuzung Freudenberg der beiden damaligen Provinzstraßen Dorsten-Holsterhausen-Borken und Wesel-Wulfen-Haltern-Münster eine weite, ebene Fläche hergerichtet und das Buschwerk abgebrannt. Für den Flugverkehr war die Fläche ideal: Der Boden war fest, wasserdurchlässig und trocken. Zudem war das Gebiet zumeist nebelfrei. Für damalige Flugverhältnisse war der 1.500 Meter lange und 870 Meter breite Platz günstig gewählt. Die Piloten konnten sich am Lauf der Lippe orientieren sowie an der Straßenkreuzung Freudenberg und an der Bahnkreuzung Hervest-Dorsten. Obwohl von Anfang an bekannt war, dass dieser Flughafen nur für eine bestimmte Zeit in Anspruch genommen werden sollte, baute die Gesellschaft dennoch größere Flugplatzeinrichtungen. Als Hangar begnügte sie sich zuerst mit großen Zelten. Dann entstanden Hallen und Betonierungen, auf denen weitere Gebäude entstehen sollten. Alles in allem war eine recht ansehnliche Anlage geplant. Allerdings kamen die Flugplatzbauer nicht über diese Anfangsphase hinaus.
Die Einweihung des Platzes fand am Sonntag, den 10. Mai 1925, statt. Schon am Nachmittag des Vortages trafen die ersten drei Flugzeuge vom Einheitstyp Junkers Ganzmetallverkehrsflugzeug F 13 ein, die eine Höchstgeschwindigkeit von 173 km/h erreichten und mit einer Tankfüllung 725 Kilometer weit fliegen konnten. Neben den beiden Pilotensitzen konnten vier Passagiere auf bequemen, gepolsterten Sitzen mitfliegen. Nach einem zeitgenössischen Zeitungsbericht sollen nach Schätzungen 20.000 bis 30.000 Zuschauer an der Einweihung teilgenommen haben, die mit dem Rad, zu Fuß, mit Pferdewagen, Krafträdern oder mit im Auto bei anfänglich strömendem Regen in die Erler Heide kamen. Sämtliche Zubringerstraßen waren verstopft. Zu dem landesweit beachteten Festakt der Einweihung war auch ein großes, dreimotoriges Flugzeug angesagt gewesen, das auch kam, den Landevorgang aber unterbrach, durchstartete und aus unbekannten Gründen zum Heimatflughafen zurückkehrte.
Gesellenkapelle der Dorstener Kolpingfamilie spielte auf
Für die notwendigen Absperrungen sorgten die lokale Polizei, Landjäger, die Essener Feuerwehr sowie Sanitäter. Festreden hielten u. a. der Essener Oberbürgermeister und der Präsident der Reichsbahndirektion Essen, der die Entwicklung des Luftverkehrs mit der des Eisenbahnverkehrs verglich. Die musikalische Umrahmung besorgte die Gesellenkapelle der Dorstener Kolpingfamilie. Der Dorstener Gustav Haarmann, der Klarinette bzw. Horn spielte, erinnerte sich an ein Malheur dieses Tages. Im feierlichen Gehrock und Zylinder nahmen die Kolpingmusiker vor den fünf Flugzeugen Aufstellung. Als dann die Propeller angeworfen wurden, musste ein wahrer Orkan über Menschen und Instrumente hinweggefegt sein. Notenständer purzelten um, Zylinder flogen durch die Gegend, und der Ruß vom Heidekraut überdeckte die vorher schneeweißen Hemden der Musiker. „Wir sahen aus wie die Mohrenköpfe!“
Die regelmäßigen Passagierflüge stießen, wie aus einem Bericht der „Kleinen Flugwoche“ aus dem Jahre 1925 hervorgeht, auf großes Interesse. Der Flughafen war bestens besucht. Allein im Juli 1925 haben von Erle aus 1.080 Fluggäste Fernflüge angetreten. Wer hier zustieg, konnte mit den Anschlussflügen bis Moskau, Reval und Helsingfors (Finnland) gelangen. Von Erle aus konnten 23 deutsche Flughäfen erreicht werden. Zudem wurde mit den Maschinen auch Luftpost befördert. Die Fluggesellschaft richtete für den „Dorstener Flugplatz“ einen Zubringerdienst ein. Allerdings verlangten die Dorstener an ihrer Lippebrücke ein Brückengeld in Höhe von 50 Pfennigen. Erst nach Protest der Lurag beschloss der Dorstener Magistrat am 22. Mai die Befreiung der Zubringer von dieser Brückengebühr.
Heute noch überwucherte Betonpisten im Wald aufzufinden
Trotz der guten Inanspruchnahme des Flugplatzes wurde nach Abzug der Franzosen und Belgier aus dem Ruhrgebiet der Flugbetrieb am 31. August 1925 eingestellt und zum 1. September nach Essen-Mülheim verlegt. Das Flughafengelände und die Betonpiste wurden bald von Gras und Nadelhölzern überwuchert. Heute erinnern nur noch Sammler-Briefe mit dem Stempel-Aufdruck „Mit Luftpost befördert – Luftpostamt Dorsten“ an jenen kurzen, aber geschäftigen Flugsommer des Jahres 1925.
Quellen:
Karl Heinz Mainczyk „Französische Besatzung verhalf Dorsten zu einem Flugplatz“ in VK 1986. – Wolf Stegemann/Anke Klapsing „Zwischen Kaiserreich und Hakenkreuz“, Dorsten 1989.