Geflüchtete in Deutschland schneller in Arbeit: Behörden unterstützen
Die Frage ist: Wie bekommt man Geflüchtete geschmeidiger in Arbeitsverhältnisse? Sicher ist jedenfalls: Davon würden letztlich alle profitieren. Vor gut einem Jahr ist er eingeführt worden, der sogenannte „Job-Turbo“, der es Geflüchteten viel fließender als bisher ermöglichen soll, in Arbeitsverhältnisse zu finden. Schneller, einheitlicher, digitaler und vor allem einfacher sollten Anerkennungen funktionieren, die als Voraussetzung für den Start in den Arbeitsmarkt gelten. Die Initiative ging vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus, Minister Hubertus Heil hatte die Jobcenter und Arbeitsagenturen aufgefordert, Geflüchtete intensiver und engmaschiger zu beraten und vor allem auch verstärkt den Kontakt zu den Arbeitgebern zu suchen. Dabei kam der erste Impuls für den „Job-Turbo“ aus einer negativen Erfahrung heraus: Geflüchtete haben in Deutschland statistisch betrachtet seltener einen Job als in anderen Ländern. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang: Deutsch zu sprechen, war stets eine wichtige und oft unentbehrliche Grundlage, aber fortan sollte es möglich sein, Deutschkenntnisse berufsbegleitend zu erwerben – auch im Kreis Recklinghausen.
Bilanz: 71.000 Flüchtlinge mehr in Arbeit
In einer ersten Bilanz sind bundesweit solide Zahlen vorzuweisen: Trotz konjunkturell schwieriger Zeiten sei die Beschäftigung von Geflüchteten im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. Bei den Menschen aus der Ukraine auf 266.000 und bei den Geflüchteten aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern auf 704.000. Das ist in beiden Fällen ein Plus von 71.000 mehr Menschen in Arbeit. So die Zahlen im Juli. Und die Tendenz ist in den Städten nahe Dorsten nicht anders, wie die Agentur für Arbeit und das Jobcenter in diesen Tagen bestätigten: Brian Nickholz, SPD-Bundestagsabgeordneter für Marl, Datteln, Haltern am See, Herten und Oer-Erkenschwick, hatte zu einem Fachgespräch eingeladen und dazu nicht nur Arbeitgeber aus der Region, sondern auch die Parlamentarische Staatssekretärin Kerstin Griese gebeten.
Wer in Arbeit ist, kassiert kein Bürgergeld mehr
Letztere ordnete in den Räumen der Recklinghäuser Agentur für Arbeit erst einmal ein, dass es hier keineswegs nur um Einzelschicksale vermeintlich fremder Menschen gehe, sondern um den Fortbestand der bundesdeutschen Gesellschaft, wie wir sie kennen: „Wir brauchen eine jährliche Nettozuwanderung von 400.000 Personen, damit das Arbeitskräfteangebot stabil bleibt.“ Demnach sei es falsch zu denken, dass Migranten ein Minusgeschäft für Deutschland seien – im Gegenteil: Wir bräuchten sie zum Erhalt der Sozialsysteme. Und einfach nachvollziehbar ist: Wer arbeitet, kassiert kein Bürgergeld mehr.
Ganz konkret werden Flüchtlinge auch benötigt, um den täglichen Betrieb eines Unternehmens ordentlich weiterzuführen. Andreas Gärlinger hat eine Transportfirma in Marl, und er weiß genau: „Wir haben einfach keine Berufskraftfahrer mehr.“ Was dazu führe, dass in allen Speditionen Lkw herumstehen, „und das sind bis zu 30 Prozent“. Dabei muss das nicht so ein, wie Gärlinger weiter ausführt: „Es gibt reichlich Ukrainer, die ich sofort einstellen könnte.“ Aber: „Deren Führerscheine werden hier anerkannt, die Qualifizierung jedoch nicht. Und da sind wir das einzige Land in der EU, das so verfährt.“
Staunen nicht nur bei Kerstin Griese, sondern auch bei Frank Benölken (Agentur für Arbeit im Kreis RE) und Carsten Taschner (Jobcenter im Kreis RE), die unisono eine umgehende Überprüfung der Umstände versprechen, verbunden mit dem Hinweis auf konkrete Hilfestellung. Und das sollte nicht der einzige Arbeitsauftrag bleiben.
Unternehmer ahnte nicht, welch qualifizierte Mitarbeiter er bekam
Roger Przybylski, Inhaber des Reiseveranstalters Ultramar Touristik aus Dorsten, erklärte auf launige Weise, dass er zunächst gar nicht ahnte, welch hoch qualifizierte Mitarbeiterin ihm da vermittelt worden war. Die Ukrainerin Tetyana Kononenko sprach nicht annähernd perfektes Deutsch, man habe sich anfangs mithilfe von Chat GBT verständigt, „und dabei hat sich herausgestellt, dass sie eine Schach-Großmeisterin war. Sie war zwischenzeitlich die Nummer 25 der Welt“, so der verblüffte Roger Przybilski. Doch das bewahrte sie nicht davor, an der Volkshochschule Dorsten Schiffbruch zu erleiden. Auch weil sie parallel weitergearbeitet hatte, „hat sie den Deutsch-Kurs nicht geschafft“, so Przybilski, der jedoch davon ausging, dass man das nachholen könne. Doch erst tat sich gar nichts, und dann bekam man zu hören: Tetyana Kononenko kommt zu spät. „Wie geht das denn?“, fragte der Arbeitgeber eher rhetorisch. Auch ihm und seiner Mitarbeiterin wurde prompte Unterstützung versprochen.
Unübersichtliche Lösungen machten den Familiennachzug kompliziert
Dabei sind Geflüchtete als Arbeitskräfte nur zu gerne gesehen, wie Linda Schreiber vom Theodor-Fliedner-Haus, einem Altenheim der Diakonie in Herten-Westerholt, erklärt: „Pflege ist Multikulti, Pflege braucht Verlässlichkeit.“ Und die hätte Bereket Gebrehiwet aus Eritrea mitgebracht, der als unmittelbar Betroffener ebenfalls zu dem Fachgespräch geladen war und dort seine durchaus bewegende Geschichte erzählte. Ein Jahr hatte er in Westerholt bereits gearbeitet, jetzt macht er eine dreijährige Ausbildung, was sich in der Anbahnung schwierig genug gestaltete. Noch komplizierter war jedoch der Familiennachzug, was nicht zuletzt mit höchst unübersichtlichen Visa-Situationen zu erklären war. „Da müssen wir im Zweifel einfach zu unbürokratischeren Lösungen finden“, so Staatssekretärin Giese. Was bleibt, ist die Einsicht in die Einsicht in die Notwendigkeit von Zuwanderung und der gute Wille, den auch die Behörden zeigen.
Siehe auch: Job-Turbo
Quelle: DZ vom 28. November 2024