Acht Bastionen schützten die Stadt vor Angreifern - nicht immer
Von Wolf Stegemann – Dass Dorsten eine Befestigung durch Mauern und Türme erhielt, wird von Historikern auch mit der Stadtwerdung in Zusammenhang gebracht. Dorsten lag im Grenzgebiet mehrerer rivalisierender Mächte und hatte mit drei Territorien gemeinsame Grenzen: dem kurkölnischen Vest Recklinghausen, dem Fürstbistum Münster und dem Herzogtum Kleve. Für Dorsten ergab sich daraus das Bedürfnis, den Ort zu befestigen. Da es im Norden von der Lippe abgeschirmt war und sich im Süden ein Sumpfgelände ausbreitete, schien es zur Festung geeignet zu sein.
Erste Mauer im Jahr 1260
Kurköln nahm die Schanzarbeiten äußerst wichtig, denn schon 1260 wurde die Kleinstadt mit einer Fläche von 11,8 ha erstmals ummauert. Dass dieser Stadt am Lippeübergang eine Schlüsselstellung zukam, zeigte sich in der Folgezeit während vieler Fehden und Kriege, besonders im Dreißigjährigen Krieg, aber auch im Spanischen und im Österreichischen Erbfolgekrieg sowie im Siebenjährigen Krieg und noch während der Napoleonischen Kriege. 1301 griff der Graf von Kleve, der den Einfluss des Erzbischofs von Köln schmälern wollte, die Stadt an und ließ die Mauern niederreißen, so dass bis zum Aufbau einer neuen Mauer die Stadt Angreifern schutzlos ausgeliefert war, was Hermann von Merfeld (Streitfeier) und Ludolf von Steinfurt ausnutzten, mit ihren Söldnern die Stadt mehrmals überfielen und die Häuser in Brand setzten. Erst 1306 genehmigte Kaiser Albrecht I. den Wiederaufbau der Befestigungsanlagen um einen wesentlichen größeren Stadtkern, der – heute noch erkennbar – vom Süd-, Ost- und Westwall umgeben war.
Hessen bauten die Stadt zu einer starken Festung aus
Als die Hessen 1633 die Stadt eroberten, bauten sie Dorsten zur modernen Festung aus. Unter den 25 von den Hessen besetzten westfälischen Städten sollte nach dem Willen des Landgrafen von Hessen Dorsten das „Hauptbollwerk seiner Macht“ werden. Die mittelalterlichen Mauern hielten der Feuerkraft moderner Kanonen des 17. Jahrhunderts nicht mehr stand. Die Stadtmauern mit ihren Toren und Türmen und schmalen Wassergräben waren befestigungstechnisch veraltet. Deshalb warfen die Hessen Außenwälle auf, bauten acht Bastionen, die sternförmig zur besseren Abwehr von Feinden dienten, Artilleriestellungen hielten Angreifer auf Distanz. Eine weitere Bastion lag auf dem Nordufer vor der Lippebrücke, um den Übergang zu decken. Die Befestigungsarbeiten leitete Johann Andriansch, der sich am modernen Festungsbau orientierte. Zu den Schanzarbeiten mussten die Orte in der Nachbarschaft (bis Recklinghausen) Arbeiter und Material stellen. Die sandigen Wälle wurden mit Holzpalisaden befestigt. Die Folge war eine völlige Abholzung der Frentroper Mark und der Kirchhellener Heide. Zur Füllung der Gräben wurden die Bäche auf der Südseite angezapft. Als Hauptwaffenarsenal diente das Kloster der aus der Stadt vertriebenen Franziskaner. Etwa 2000 hessische Soldaten unter Johannes Geyso, die verköstigt werden mussten, verdoppelten die Einwohnerzahl. Nach der Rückeroberung durch kaiserliche Truppen 1641 unter Hatzfeld blieb Dorsten Festung. Nach dem Friedenschluss von 1648 hielten noch 50 schwedische Reiter zur Sicherung von Schwedens Kriegsentschädigungsansprüchen die Stadt bis 1650 besetzt.
Die Stadt verramschte Mauern, Steine und Türme
Die Fürstbischöfe von Kurköln und Münster bedienten sich während der Kriege Ludwigs XIV. auf Seiten der Franzosen zum letzten Mal der Festung Dorsten. Auf münsterschem Gebiet errichteten sie eine neue Schanze und besetzten sie mit 100 Mann und vier Kanonen. Nach Abzug der Franzosen ließ der Kurfürst die Festungsanlagen niederreißen, damit kein anderer sich der Festung vorteilhaft bedienen konnte. Aus den Wallgräben entstanden Gärten für Bürger. Mauern, Türme und Tore fielen um 1820, Reste der Bastionen, die zu kurkölnischer Zeit die Namen des Kurfürsten, der hl. drei Könige und des hl. Franziskus trugen, waren bis zur Mitte des 20. Jahrhundert in der Erde noch zu sehen. 1824 verkaufte die Stadt Reste der alten Befestigung, die an den Tortürmen teilweise stehen geblieben war: für acht Reichstaler einen Platz hinter der Mauer an Meister Siegler, für 69 Reichstaler einen Turm an der städtischen Mauer an Hofkammerrat Rive und für 49 Reichstaler zwei Türme an den Bürger Ratte. In der Karte des Urkatasters von 1822 sind diese Gärten als „Wallgärten“ eingezeichnet.
Heute noch Reste des einstigen Mauerrings zu sehen
Heute stehen in den ehemaligen Wallanlagen am Westgraben noch ein bewohnter Turm und ein Rundturm, in dem die Gedenkstätte für die Toten der Weltkriege eingerichtet wurde. Außerdem erinnern noch die Straßen Westwall, Westgraben, Südwall, Südgraben, Ostwall und Ostgraben an die Festung. Bei Bauarbeiten an der Straße „Vosskamp“ wurden Mitte 2010 etliche Holzpfosten in der Erde gefunden. Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe identifizierten sie als Reste einer Holzbrücke aus der Zeit des Dreißigjährigen oder des Siebenjährigen Krieges rund hundert Jahre später, die über den äußeren Graben der Festungsmauer zu einem Weg führte, der nach Buer ging. 2012 legte der Verein für Orts- und Heimatkunde am Westwall ein Turmfragment frei, das seit Jahrzehnten von Efeu überwuchert und somit nicht zu erkennen war. Zwei Meter des einstigen mächtigen Bauwerks stecken noch im Boden. Unter den einstigen zwanzig Türmen der Stadtmauer, darunter die drei mächtigen Tore (Essener, Recklinghäuser und Lippetor), hatte dieser Turm, wie auf dem Merianstich zu sehen ist, sechs Ecken.
2014 Holzpfeiler aus dem 17. Jahrhundert entdeckt
Bei Ausschachtungsarbeiten für das neue „Mercaden“-Center am Lippetor wurden Mitte 2014 Relikte aus Dorstens kriegerischer Zeit des 17. Jahrhunderts gefunden. Bauarbeiter legten aus dem Erdreich hölzerne Pfeiler frei, die vermutlich zur Befestigungsanlage an der Lippe gehörten. Die Pfeiler gaben den Befestigungsbauwerken auf dem sandigen Untergrund Halt.
Quellen/Literatur:
Dr. Franz Schuknecht „Werden und Ursprung der Stadt“ in „700 Jahre Stadt Dorsten“, Dorsten 1951. – Prof. Dr. Julius Evelt „Beiträge zur Geschichte der Stadt Dorsten und ihrer Nachbarschaft“ in „Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde Westfalens“, Münster, 1863/64, 1866. – Dr. Ludger Tewes „Mittelalter an Lippe und Ruhr“, Essen 1988.