Notverordnung verhinderte 1931 den Dorstener Amtsbürgermeister
Von Wolf Stegemann – 1900 in Herten bis 1961 in (Viersen-)Dülken; Dipl.-Volkswirt und Verwaltungsbeamter. – Als Amtsbürgermeister Christoph Kuckelmann 1931 schwerkrank aus dem Amt schied und die Wahl des Nachfolgers anstand, signalisierte die preußische Regierung, dass zukünftig die Amtsgeschäfte des Amtes Hervest-Dorsten in Personalunion vom Dorstener Stadtbürgermeister übernommen werden sollen. Dadurch wurde durch die preußische Notverordnung der bürgerliche Wille außer Kraft gesetzt. Die Hervest-Dorstener Amtsversammlung ließ sich dies nicht gefallen und wollte weiterhin ihren eigenen Bürgermeister. Doch ihre Proteste blieben in Versammlungen ebenso erfolglos wie durch Aufrufe in der Tagespresse. In einer geheimen Sitzung vom 31. Mai 1931 beschloss die Amtsverwaltung die Ablehnung der Personalunion und die Ausschreibung der neuen Bürgermeisterstelle. Bis zum 1. Juli sollten alle Bewerbungen befristet sein.
Schwierige politische Konstellation des Amtsbürgermeisters
Die verwaltungspolitische Konstellation zeigte sich 1931 so: In Personalunion würde der Bürgermeister von Dorsten die Stadt mit 10.000 Einwohnern, ferner die Industriegemeinden Holsterhausen und Hervest-Dorsten mit zusammen 14.000 Einwohnern und fünf Landgemeinden mit 8.000 Einwohnern verwalten. Mit insgesamt 33.000 Einwohnern wäre dies von der Größe her ein kleiner preußischer Landkreis. Als Bürgermeister der Stadt Dorsten wäre er dem Regierungspräsidenten, als Bürgermeister des Amtes Hervest-Dorsten dem Landrat unterstellt. Ein solches „Verwaltungskuriosum“ und „verwaltungstechnisches Unikum“ wäre im Reich einmalig gewesen, wie der „Dortmunder Generalanzeiger“ vom 7. Juni 1931 schrieb. Auf die ausgeschriebene Bürgermeisterstelle kamen viele Bewerbungen, darunter der amtierende Bürgermeister von Haltern, Dr. Rieth, der als „Mitgift“ die Gemeinde Lippramsdorf anbot. Das Projekt scheiterte am Regierungspräsidenten, so dass Rieth nichts mehr von sich hören ließ. Rund 13 Bewerber setzte der sechsköpfige Wahlausschuss auf die engere Auswahlliste, darunter die Herren Baumeister aus Recklinghausen, Dipl.-Volkswirt Schürholz aus Hervest-Dorsten, Dr. Feldhege aus Herten, Dr. Keimer aus Dortmund und Verwaltungsdirektor Olligs aus Opladen.
Die Wahlvorbereitungen wurden wegen der Einsprüche der Regierung, von Parteien, Kirche, auch überregionalen Zeitungen und der Bevölkerung höchst kritisch begleitet. Doch die Amtsvertreter ließen sich nicht beirren. Nach einer nichtöffentlichen Besprechung wurde der Hertener Dr. Theodor Feldhege, gerade 31 Jahre alt, zum neuen Bürgermeister des Amtes Hervest-Dorsten gewählt. Die Wahl stand aber nicht nur wegen der unbestimmten Gesetzeslage unter einem unguten Stern. Gleich nach der Wahl erlitt der amtierende Bürgermeister Kuckelmann einen Schlaganfall, von dem sich der 68-Jährige nicht wieder erholte und ein Jahr darauf in Münster verstarb. Theodor Feldheges Wahl wurde von der Regierung nicht bestätigt. Die Gerüchteküche kochte. Man erzählte sich, dass Dorstens Bürgermeister Dr. Lürken mit dem Landrat Dr. Schenking nach Berlin gefahren waren, und dort die von ihnen gewünschte, aber von der Amtsvertretung unerwünschte Personalunion perfekt gemacht und somit die Amtsvertretung sabotiert hätten.
Bürgermeister gewählt und ohne Amtsantritt pensioniert
Am 1. Oktober sollte Feldhege sein Amt als Bürgermeister des Amtes Hervest-Dorsten für zwölf Jahr antreten. Kuckelmann hatte aufgrund seiner Erkrankung den Posten schon längst geräumt. Die regierungsamtliche Bestätigung für Feldheges Wahl ließ weiterhin auf sich warten – letztlich kam sie nie. Der demokratisch gewählte Bürgermeister wurde das Opfer der preußischen Notverordnung und fiel dem Rotstift zum Opfer. Er reichte am Tage seines verhinderten Amtsantritts sein Pensionierungsgesuch ein, das auch genehmigt wurde. Die „Dorstener Volkszeitung“ schrieb am 3. Oktober 1931: „Der Bürokratismus feiert Triumphe, und das gerade in einer Zeit, die schnellstes Handeln erfordert.“
Schlussakt: Die Regierung setzte per Anordnung Dorstens Bürgermeister Dr. Lürken als kommissarischen Bürgermeister des Amtes Hervest-Dorsten ein. Somit blieb die erste und einzige demokratische Wahl eines Bürgermeisters des Amtes Hervest-Dorsten eine Farce.
Als Volkswirt lernte er in Gelsenkirchen Verwaltungsarbeit
Dr. Theodor Feldhege wurde 1900 in Herten als ältester Sohn des Oberpostschaffners Theodor und dessen Frau Josephine Bartels geboren. Er hatte noch fünf Brüder und zwei Schwestern. Die letzte Phase des Ersten Weltkriegs erlebte er als Soldat und kam am Ende des Krieges nach Herten zurück. Mit der Demobilmachung begann seine kommunalpolitische Laufbahn. Vom März 1919 bis Juni 1920 war er bei der städtischen Sparkasse in Gelsenkirchen tätig, verzog 1920 nach Dortmund und arbeitete dort als Verwaltungsanwärter beim Magistrat der Stadt. Nach dem Sekretärsexamen schied er im Juli 1922 aus dem Dienst der Stadt Dortmund, verzog 1923 nach Frankfurt am Main, legte nach kurzer Zeit das Examen als Polizeikommissar ab und studierte Volkswirtschaft in Frankfurt. Als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter lernte Feldhege, der zwischenzeitlich promoviert wurde, die kommunale Praxis bei der Stadt Buer (heute Gelsenkirchen) kennen. 1929 wechselte er seinen Wohnsitz nach Bamenohl (heute Finnentrop), Kreis Meschede, und ließ sich zum Bürgermeister ausbilden. Während er sich für die Hervest-Dorstener Stelle bewarb, war der 31-Jährige beim Kreisausschuss in Geldern tätig.
Kommunalbeamter in der NS-Zeit und danach Stadtdirektor in Dülken
1933 wohnte Feldhege in Winterberg und heiratete 1933 in Geldern Ilse Dina Berta Meyrahn, geboren 1914 in Wunstorf, wohnhaft aber in Geldern. 1933 veröffentlichter er in Bigge an der Ruhr das Buch „Die Stadt der Finanzwirtschaft Buer, die jetzige Teilgemeinde der Großstadt Gelsenkirchen, Ausgangspunkt der stärkeren wirtschaftlichen Entwicklung 1895 bis zum Städtezusammenschluss 1928“. – Von 1939 bis 1942 war Feldhege stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde Gressenich (heute Stolberg) bei Aachen, war vom 1. Mai bis zum 30. November 1942 Erster Beigeordneter der Stadt Esch-sur-Alzette, das von den Deutschen auf Esch-Alzig umgetauft worden war und ersetzte am 1. Dezember 1942 interimär den ausscheidenden Amtsbürgermeister Otto Komp (NSDAP), der aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten war. Im Januar 1943 verlieh ihm Hitler das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse ohne Schwerter als Anerkennung für seine Verdienste um die Verwaltung der Stadt Esch und die NSDAP-Kreisleitung. Dr. Feldheges interimistische Bürgermeistertätigkeit endete am 16. März 1943, als ein neuer Amtsbürgermeister sein Amt in Esch-Alzig antrat. Er blieb dann als Erster Beigeordneter im Amt. Gelegentlich hatte Dr. Feldhege Bekanntmachungen unterschrieben als:
„Der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde
– In Vertretung: Dr. Feldhege, 1. Beigeordneter“.
Seine letzte bekannte öffentliche Amtshandlung findet sich in der Elscher Zeitung vom Samstag, den 12. August 1944, als die Behörde über die Ausgabe von Lebensmittelkarten informierte. Anfang September 1944 wurde Luxemburg durch die US-Armee befreit. Die Deutschen verschwanden aus dem einst besetzten Luxemburg, ohne Widerstand zu leisten. Nach dem Krieg wohnte Dr. Theodor Feldhege mit seiner Familie in Recklinghausen. Von dort zog er nach Dülken/Rheinland. Im Mai 1947 wählte der Stadtrat ihn einstimmig zum Stadtdirektor von Dülken. Dieses Amt versah Theodor Feldhege 14 Jahre lang bis zu seinem plötzlichen Unfall-Tod im Juli 1961. Erfolgreich leitete er den Wiederaufbau der kriegszerstörten Stadt und der Wirtschaft, war Mitbegründer des Kreisverbandes Kempen-Krefeld der „Europa-Union“ und Jagdvorsteher der Jagdgenossenschaft Dülken. In einem Nachruf schrieb der „Grenzland-Kurier/Rheinische Post“ über den „pflichtbewussten Westfalen“ (Auszug): „Als sich wie ein Lauffeuer am Freitagabend die Kunde vom Tode Dr. Feldheges durch die Stadt verbreitete, da spürte man, wie beliebt der Stadtdirektor in der ganzen Bürgerschaft war, und wie sehr man ihn achtete.“
Quellen:
Wolf Stegemann in Stegemann/Klapsing (Hg.) „Zwischen Kaiserreich und Hakenkreuz“, 1996. – Archiv Kreis Kleve, Personakte 1921 bis 1934 (Geldern) unter der Bestellregistratur KA Kle A 29. – Auskunft Niklas Häusler vom Stadtarchiv Herten 2011. – Auskunft Dr. Stefan Frankewitz vom Stadtarchiv Geldern. – Das Stadtarchiv Stolberg hat keine Unterlagen über Feldhege. – Auskunft Marcus Ewers vom Stadtarchiv Viersen 2011. – Bislang hier unbekannte Informationen über Feldheges Tätigkeit in der NS-Zeit von Fausto Gardini (Geschichtsforscher), 2019.