Viele schlossen sich zwischen 1933 und 1945 den Deutschen Christen an
Die evangelische Gemeinde in Dorsten hatte nicht den Einfluss, den die katholische Altstadtgemeinde hatte. Dafür war sie zu klein im katholischen Dorsten. 1931 gab es gerade 340 evangelische Gemeindeglieder, 1939 rund 400, von denen etwa 40 der Bekennenden Kirche angehörten, die dem Nationalsozialismus abweisend gegenüberstand. Im Gegensatz zu der evangelischen Kirche in Holsterhausen, deren Pfarrer und Presbyterium sich als Gemeinde der Bekennenden Kirche unterstellt hatten, gab es in der Altstadtgemeinde einen wesentlich geringeren Anteil von Hitler-Gegnern. Die Mehrheit der Evangelischen in der Altstadt bekannte sich zur nationalsozialistischen Organisation der Deutschen Christen. Die NSDAP-Spitze in Dorsten war evangelisch. Fritz Köster, bis 1933 NSDAP-Ortsgruppenleiter, dann Beigeordneter im Rathaus, und Ernst Heine, Ortsgruppenleiter nach 1933, der aus der Kirche austrat und seine Tochter auf die katholische Ursulinenschule schickte.
Am 3. April 1932 trat Pfarrer Ernst Glauert seinen Dienst in der Gemeinde an. Bis zum Verbot der kirchlichen Vereinigungen 1933 widmete sich Glauert besonders der Jugendarbeit. Der evangelische Arbeiter- und Gesellenverein, dem in den 1920er-Jahren auch der Nationalsozialist Ernst Heine angehörte, zählte damals etwa 175 Mitglieder.
Katholischer Pfarrer ärgerte sich über Schaufenster mit Luther-Bildern
Die evangelische Gemeinde der Altstadt führte in der Zeit von 1933 bis 1945 ein unauffälliges Gemeindeleben, „eine Art Schattendasein, im öffentlichen Leben unbeachtet, dennoch von der Polizei beobachtet, aber immer im Schatten der einflussreichen katholischen Altstadtgemeinde des streitbaren Pfarrers Ludwig Heming“. Zu Luthers 450. Geburtstag am 10. November 1933 hatte die Gemeinde das letzte Mal Gelegenheit, sich der Öffentlichkeit eindrucksvoll zu zeigen. Zuerst im Saal von Kleinespel, dann mit einem langen Fackelzug der Gemeindeglieder zum Marktplatz, wo die Feier mit dem gemeinsam gesungenen Luther-Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ endete. Auch katholische Geschäftsleute schmückten an diesem Tag ihre Schaufenster mit Luther-Bildern, worüber sich der katholische Pfarrer ärgerte. Er schrieb in seine Chronik: „Sehr viele Katholiken haben daran Anstoß genommen – mit Recht.“
Gestapo-Beamte nahmen am Gottesdienst teil
Als die Deutschen Christen unter Leitung ihres Reichsbischofs Müller die evangelische Kirchenmacht im Reich zeitweise übernahmen, zeigte sich auch unter den Dorstener Evangelischen ein Hang zu diesem nationalsozialistischen Christentum. Darüber gibt die Chronik der evangelischen Johannesgemeinde Auskunft:
„Mehrere Mitglieder des Presbyteriums legten ihr Amt nieder, weil sie dahin gedrängt wurden oder glaubten, dass ein kirchliches Engagement ihrem beruflichen Fortkommen hinderlich sei. Viele schlossen sich den Deutschen Christen an […] oder sie traten aus der Kirche aus oder nannten sich gottgläubig.“
Selbst Pfarrer Ernst Glauert konnte anfänglich den Verlockungen des NS-Regimes nicht widerstehen. Doch er fand wieder zurück. Später sagte er im Kreis der mit ihm befreundeten Familie Crüsemann: „Ich habe zuerst Entscheidungen getroffen, die vor Gott und den Menschen nicht richtig waren!“. Ab 1937 besuchten Gestapo-Beamte bzw. Gestapo-Beauftragte regelmäßig die Gottesdienste Glauerts und versuchten ihn im Anschluss in der Sakristei unter Druck zu setzen. Doch Glauert ließ sich nicht (mehr) einschüchtern. Bei der Bombardierung der Stadt am 22. März 1945 wurde die Johanneskirche schwer beschädigt. Der Kirchturm war bis hinunter zu den Steinmauern eingestürzt. Die einzige, recht kleine Glocke fiel auf die Orgel und zertrümmerte sie. In der Chronik steht dazu:
„Die Dorstener Orgelbaufirma Breil hatte vorher noch einen Angestellten geschickt, um die Orgel zu reparieren. Er war vom Luftangriff überrascht worden, wurde von einem Bombensplitter getroffen und verblutete auf der Treppe zur Orgel.“