Warum wurde 1955 die Nonnenstiege umbenannt und 1989 zurück?
Von Wolf Stegemann – Über die Namensgeberin Elisabeth Hunekuhl gibt es nicht viel zu berichten. Aus Dorstener Sicht müsste man das auch nicht, wenn es von 1955 bis 1989 nicht eine „Elisabeth-Hunekuhl-Straße“ in der Altstadt gegeben hätte. Elisabeth Hunekuhl, gestorben 1935, lebte zwar als Ehefrau und Mutter ein paar Jahre, vermutlich bis zum Ersten Weltkrieg, in Dorsten, hatte allerdings keine Beziehungen zu Stadt, war weder berühmt noch sonst irgendwie öffentlich bemerkenswert und auch nicht weiter bemerkbar. Warum also Elisabeth-Hunekuhl-Straße? Dieser Unbenennungsgeschichte der Straße ist Wolfgang L. Rüdiger, weitläufig verwandt mit der Familie Huhnekuhl, nachgegangen, hat sie in Zusammenarbeit mit dem Leiter des Dorstener Vermessungsamts, Dipl.-Ing. G. Rojahn, detailfreudig in Archiven, Behörden und in der Familie Hunekuhl recherchiert und dabei etliche Ungereimtheiten entdeckt.
Angebliche Spende für den Wiederaufbau in Höhe von 400.000 DM
Die Familie Hunekuhl lebte in verschiedenen westfälischen Städten, u. a. in Ahaus, Dortmund, Vreden und Dorsten. Hans Hunekuhl (1891 Ahaus bis 1975 Dortmund) besuchte zusammen mit dem späteren Bürgermeister Paul Schürholz bis 1911 das Gymnasium Petrinum in Dorsten, lebte ab 1919 in Dortmund und betrieb dort einen Zuckergroßhandel, der zu den größten Zuckerimporteuren in der Bundesrepublik gehörte. Die Firma ging 1984 in Konkurs. Elisabeth Hunekuhl war die Mutter des Fabrikanten und Konsuls Hans Hunekuhl, dem Schulfreund des damaligen Bürgermeisters. Hans Hunekuhl, so steht es in der amtlichen Begründung der Straßenbenennung, machte 1950 eine Spende in Höhe von 400.000 DM für den Wiederaufbau der kriegszerstörten Stadt. Der Rat der Stadt Dorsten beabsichtigte ursprünglich, eine Straße nach dem Spender Hans Hunekuhl zu benennen. Nach offizieller Lesart lehnte dieser jedoch ab und schlug stattdessen seine Mutter vor, die, wie eingangs vermerkt, mit Dorsten weiter nichts zu tun hatte, außer, dass sie hier wohnte. Paul Schürholz griff den Vorschlag auf und ließ die Anwohner der Nonnenstiege sowie die Oberin des Ursulinenklosters wie vorgeschrieben um ihr Einverständnis fragen. Gemäß dem Sitzungsprotokoll des Rates vom 22. März 1955, dem 10. Jahrestag der Bombardierung der Stadt, hatte es keine Einwände gegeben. Lediglich die Ursulinen verlangten als Ersatz für den nun verlustig gehenden und auf sie bezogenen historischen Straßennamen Nonnenstiege, dass die Blindestraße in Ursulastraße umbenannt werde, was auch geschah. In der Ratssitzung stimmten 15 Stadtverordnete für und fünf gegen die Umbenennung. Das waren die Herren Große-Lochtmann, Norres, Krieger, Hahneiser und Pelkmann.
Mutter legte ihren Kindern die Liebe zu Dorsten ins Herz
Am Tag des Ratsbeschlusses gab es anlässlich des Jahrestages der Bombardierung eine Trauerfeier auf dem Marktplatz, in der Bürgermeister Paul Schürholz u. a. auch über die Straßenumbenennung sprach und sie der Öffentlichkeit erklärte. Die „Dorstener Volkszeitung“ (spätere Ruhr-Nachrichten, heutige Dorstener Zeitung) schrieb darüber am 24. März 1955: „Die Bürger der Stadt dürften sich nicht beschämen lassen von jenen Menschen, die nur für kurze Zeit in Dorsten geweilt und doch ihre Arbeitskraft und ihr Herz der Stadt geschenkt hätten. Als Beispiel nannte der Redner … Hans Hunekuhl, der als Dorstener Kind seine Heimat nie vergessen habe, und an ihrem Wiederaufbau maßgeblich beteiligt sei. Um seine Mutter zu ehren, die in die Herzen ihrer neun Kinder die Liebe zur Vaterstadt hineingelegt habe, sei durch den Rat beschlossen worden, die Nonnenstiege in Elisabeth-Hunekuhl-Straße umzubenennen…“ Die „Familie Hunekuhl, die als Gast geladen war“, wurde durch Hans Hunekuhl persönlich repräsentiert.
Rückbenennung in Nonnenstiege nach 34 Jahren
Allerdings hieß die Straße nur 34 Jahre so. Inzwischen wusste wohl kaum noch jemand, wer die Dame war und was sie mit Dorsten überhaupt zu tun hatte. Daher beschloss der Rat der Stadt am 5. Dezember 1989 auch aufgrund der Recherchen von G. Rojahn, damals Leiter des städtischen Vermessungsamts, die Rückbenennung der Straße wieder in „Nonnenstiege“.
Recherche ergab nicht nachvollziehbare Begründung der Umbenennung
Damit war wohl die Geschichte um die Benennung und Rückbenennung der Straße abgeschlossen, aber nicht die Hintergründe. Denn Wolfgang L. Rüdiger fand heraus, dass der Grund der ehrenden Benennung nach der Mutter Elisabeth Hunekuhl, nämlich die 400.000 DM-Spende des Sohnes für den Wiederaufbau der Stadt, wie Bürgermeister Schürholz laut Protokoll den Stadtverordneten und der Öffentlichkeit mitgeteilt hatte, nicht nachvollziehbar ist. Rüdiger: „Eine Spende zugunsten der Stadt, selbst wenn sie zweckgebunden gewesen sein sollte, müsste im Etat der Stadt, in ihren Einnahme- oder Ausgabenachweisen, in Sitzungsprotokollen, in Aktenvermerken oder gar in Pressenotizen zu finden sein. Doch diese Quellen liefern keine entsprechenden Hinweise… Nachvollziehbare Zusammenhänge zwischen der Nonnenstiege und Gründe für ihre Umbenennung in Elisabeth-Hunekuhl-Straße sind [zunächst] nicht erkennbar. Es muss noch andere Wirkzusammenhänge gegeben haben, die zur Elisabeth-Hunekuhl-Straße führten.“
Wolfgang L. Rüdiger schließt daraus, dass Bürgermeister Schürholz, seinen wohlhabenden Freund Hans Hunekuhl vermutlich um Geld zu Gunsten des Wiederaufbaus der Stadt angegangen sein und ihm im Gegenzug die Benennung einer Strasse der Altstadt nach seinem Namen versprochen haben könnte. Dabei habe Schürholz übersehen, dass seit der Reform der Gemeindeverfassungen (1922) und Widereinführung nach 1945 keine öffentliche Straßen oder Plätze nach lebenden Personen benannt werden dürfen, worauf ihn womöglich irgendein Mitarbeiter des Ordnungsamtes aufmerksam gemacht habe. Der Bürgermeister befand sich also in einer Bedrouille und suchte sein Gesicht zu wahren. Gegenüber Hans Hunekuhl habe er bekennen müssen, in seinem Angebot zu weit gegangen zu sein. Der Ausweg wurde dann in der Benennung einer Straße nach Elisabeth-Hunekuhl gefunden, der schon verstorbenen Mutter Hans Hunekuhls. Hierfür sei nun eine Straße gesucht worden, deren Umbenennung die geringsten (politischen) Schwierigkeiten bereiten würde. Diese sei die „Nonnenstiege“ gewesen. Die Kolportage, Hans Hunekuhl hätte die Ehre der Straßenbenennung nicht annehmen wollen und sie auf seine tote Mutter gelenkt, hülle den wahrscheinlichen Hergang verklärend ein und ließe sich somit gut erzählen.
400.000 DM waren keine Spende, sondern Darlehen um Steuern zu sparen
Den Schlussstein in dieser Geschichte lieferten weitere Nachforschungen Wolfgang L. Rüdigers bei der Dorstener Wohnungsgesellschaft. Danach hat Hans Hunekuhl 1950 einen Betrag von etwa 400.000 DM im Rahmen des damals gültigen Paragraphen 7c des Einkommens-/Körperschaftssteuergesetz nicht als Spende, sondern als Mieterdarlehen zum Bau mehrerer Miethäuser in der Nonnenstiege zugesagt. Damit wurde der Bau von 30 Mietwohnungen ermöglicht, weil nunmehr die Voraussetzungen zur Förderung durch die öffentliche Hand gegeben waren. Das ganze Vorhaben wurde treuhänderisch durch die Dorstener Wohnungsgesellschaft begleitet. Durch unmittelbar mit den Eigentümern abgeschlossene Verträge sind die fünfprozentigen Tilgungsraten für das zinslos gewährte Darlehen ab 1. April 1952 an die Firma Hans Hunekuhl OHG, Dortmund, bis etwa Anfang der 1970er-Jahre zurückgeflossen. Der Nutzen dieses Mieterdarlehens war durchaus auf beiden Seiten, so Wolfgang L. Rüdiger, denn das von der Firma Hans Hunekuhl OHG gewährte Darlehen bewirkte durch Abschreibungsbeiträge eine Verminderung der eigenen Einkommens- und Körperschaftssteuer.
Von einer „Spende“ kann demnach keine Rede sein. Aber eine Darlehensgewährung ohne Verzinsung ist ja auch schon was; vor allem, wenn man dafür mit einer Straßenbenennung geehrt werden soll! Und nachdem die Hunekuhl-Straße wieder in Nonnenstiege zurück benannt wurde, haben die Ursulinen sogar zwei Straßennamen, die Ursulinenstraße und die Nonnenstiege!
Siehe auch: Paul Hunekuhl
Siehe auch: Straßennamen
Siehe auch: Patriotische Straßennamen (1-6)
Quelle: Nach Wolfgang L. Rüdiger „Zur Namensgebung Elisabeth-Hunekuhl-Straße in Dorsten“, Bottrop-Kirchhellen 29. Okt, 1996.