Einquartierungen IV (Essay)

Napoleons Armeen und Preußen besetzten die Stadt und die Herrlichkeit

Biwak der Preußen 1848

Biwak der Preußen 1848

Von Wolf Stegemann

1802 abziehende preußische Armee: Als 1802 die preußischen Truppen aus Wesel abzogen, marschierten sie durch die Herrlichkeit. Sie führten eine auffallende Menge Bagage mit sich, auch Frauen und Kinder, und bildeten „einen tragikomische Zug“. Denn die eigenen Soldaten, die meist zum Militärdienst gepresst worden waren, wurden durch andere eigene Soldaten bewacht, damit sie nicht desertieren konnten.

1811 bis 1813 französische Truppen: Bei der Einquartierung von französischen Truppen wurde diesen alles gewährt, was sie brauchten. Allerdings hatten sie dafür keine Entschädigungen bezahlt. Nach 1811 wurde dem Militär nur noch das Nötigste aus den Magazinen geliefert. Die Magazine mussten von den Departements durch Umlegung auf die einzelnen Arrondissements, Kantone und Mairien fouriert (gefüllt) werden. Die Marien der Herrlichkeit und die der Stadt Dorsten hatten bis zum 4. Dezember 1813 insgesamt 2.756 Scheffel Hafer, 35.060 Pfund Heu, 29.920 Pfund Stroh geliefert und die Mairie Altschermbeck lieferte am 7. April 1813 ihr Kontingent mit 6.870 Pfund Roggenmehl an das Magazin in Münster.

1813 französischer Rückzug: Im Oktober 1813 begann der französische Rückzug. Zuerst wurden die Lazarette in Osnabrück, Minden und Münster aufgelöst und die Kranken und Verwundeten durch die Herrlichkeit transportiert. Es folgte ein Heer von französischen Zivil- und Militärbeamten mit ihren Familien, danach durchzog vom 4. bis 7. November eine Trainkolonne mit 60 Bagage- und Munitionswagen, die aus der Gegend von Minden alle Pferde mitgenommen hatte, die Herrlichkeit und erpresste in den Mairien Lembeck und Altschermbeck Pferde. Die Truppen biwakierten bei Altschermbeck. Ein Kürassierregiment verbarrikadierte die Straße von Münster nach Schermbeck, eine Kompanie quartierte sich in Hervest ein und ein Bataillon Infanterie bis zum 7. November in Altschermbeck. Damit war der Rückzug der Franzosen durch die Herrlichkeit beendet. Bemerkenswert ist, dass sich die französischen Soldaten bis auf wenige Exzesse von Marodeuren gegenüber der Bevölkerung nicht gewalttätig benahmen. Das war offensichtlich darauf zurückzuführen, dass die Offiziere glaubten, nach dem Rückzug bis jenseits des Rheins im Frühjahr wieder eintreffen zu können. Amtmann Brunn berichtet in seiner Chronik:

„Nach einem tiefbewegten angst- und mühevollen Leben fingen die Einwohner zum ersten Male wieder an, frei zu atmen und zu hoffen. Die sonst so bewegten Straßen waren wie ausgestorben und fast kein Fremder ließ sich blicken.“

Allerdings nahmen die Truppendurchmärsche – diesmal durch Regimenter, die die Franzosen verfolgten, bald wieder zu.

1813 Kosaken und Preußen: Am 14. November trafen 70 Mann Kosaken ein, die nach Schermbeck unterwegs waren. Am Abend dieses Tages folgten noch Husaren vom Pommerschen Regiment. Die Truppendurchmärsche nahmen wieder zu. Holland und die Festung Wesel waren ihre Ziele. Am 1. Dezember rückten vier Kompanien kurmärkischer Landwehr  in die Herrlichkeit ein, die in der Mairie Lembeck bis zum 27. Dezember einquartiert waren, was die Bevölkerung sehr bedrückte. Allein die Mairie Altschermbeck berechnete für Einquartierungs- und Verpflegungskosten 19.000 Taler und stellte den königlich-preußischen Truppen 828, an russische 64 Vorspannpferde. Im Dezember rückten 14.000 Mann eines Blockadecorps unter dem russischen General Prinz Narischkin nach Wesel. Die Bevölkerung musste Vorspanndienste leisten, Leitern, Bindfäden, Stroh und Heu liefern.

1814 alliierte Truppen: Nachdem die Narischkin-Armee über den Rhein abgerückt war, kamen weitere alliierte Truppen, die in der Herrlichkeit und in Dorsten Quartier nahmen. 1. Januar: Kosakenpulk unter Oberst Rosynsky, 3. Januar Kosaken unter Oberst Solotoris, 4. Januar zwei Pulks unter Befehl des Generals Illowisky und mehrere russische Batterien, 18. Januar: Kosaken unter Oberst Cycnesky, 19. Januar: Bataillon vom Infanterieregiment Schmolensky und zwei Pulks Kosaken, 20. Januar: ein Pulk Baschkiren unter Prinz Czagazin und ein russisches Kavallerieregiment. Vom 18. bis 20 Januar passierten mehr als 10.000 Russen die Herrlichkeit und Dorsten. Am 10. März kam das 12.000 Mann starke Blockadekorps von Padlitz, das eine Bäckerei in Altschermbeck errichtete. Die Einquartierungen und Durchmärsche dauerten bis zum 4. Mai. Darüber schrieb zu Amtmann Brunn in seine Chronik:

„Von  nun an wurde die hiesige Gegend wieder frei und die Drangsale des Krieges hörten auf, und anfangs Juni passierte die Division von Sedow, welche schon aus Frankreich zurückkehrte.“

Über die Einquartierung Durchmärsche der Russen schrieb er:

„Die Kosaken hatten sich mehrere Erpressungen, besonders an Fourage, Lebensmitteln und Getränken erlaubt (…). Sie waren überhaupt sehr roh und barbarisch, forderten, wo sie kamen das Beste und wussten ihre Sprache mit der (Knute) verständlich zu machen. Ein leidliches Frauenzimmer durfte sich bei ihnen nicht sehen lassen, dabei stahlen sie alles, was sie mitschleppen konnten, vertauschten ihre alten Stiefel, Sättel und selbst ihre alten Pferde gegen bessere, wo sie es nur fertig bringen konnten. An Zahlung war gar nicht zu denken.“

Nach Eintreffen der alliierten Truppen richtete der russische Generalleutnant von Staal an die Bevölkerung einen Aufruf, die Bemühungen zur Befreiung von Frankreich zu unterstützen. Der preußische Generalleutnant von Bülow von der provisorischen Regierungskommission in Münster appellierte an die bis dahin den Franzosen verpflichteten Bürgermeister der Ämter und der Stadt Dorsten, als deutsche Patrioten im Amt zu bleiben. Dorsten und die Herrlichkeit wurden mit dem Münsterland und dem Rheinland preußische Provinz.

1819 Manöver mit dem preußischen Prinzen: Im August 1819 hielt die 6. und 15. Division im Emmelkamp und in Üfte Herbstübungen ab, an denen sich auch das hiesige Landwehrbataillon beteiligte. Einquartiert waren die Truppen in Dorsten und in den umliegenden Gemeinden. Zu diesem Manöver kamen auch der Kronprinz von Preußen, der preußische Kriegsminister und mehrere hohe Generäle. Am 26. August fand eine Truppenparade statt. Der Prinz und sein Gefolge, dem der Kriegsminister Generalleutnant von Hacke, Generalleutnant von Thielemann, Generalmajor von Bork und von Loßau sowie mehrere hohe Offiziere angehörten, besichtigten die biwakierenden Truppen in der Erler Mark und nahmen mit seiner Entourage im hohlen Stamm der alten Erler Femeiche das Mittagessen ein.

Weitere Manöver-Einquartierungen: Mitte September 1835 biwakierte die 6. und 15. Division in Üfte, Schermbeck und im Emmelkamp, 1840 die 14. Division bei Altschermbeck, im September 1841 die 13. Division zwischen Haltern, Recklinghausen und Dorsten an beiden Seiten der Lippe. Die Offiziere mit ihren Stäben nahmen in Lembeck, Wulfen, Holsterhausen, Emmelkamp, Hervest und Dorsten Quartier.

Vier Generäle mussten untergebracht werden. Im Jahr 1853 musste in Dorsten ein Artillerie-Regiment mit verschiedenen Abteilungen und gleich vier Generälen untergebracht werden. Ein General von Tropschanz mit Ordonanz und Generalshund wurde bei dem Feldchirurgen und Stadtarzt Dr. Rüdiger Sebregondi am Markt und ein anderer, General von Euler, bei der Witwe Gahlen, ebenfalls am Markt, einquartiert. Der General Freiherr von Cassube zu Magothen kam samt Ordonanz bei der Familie von Raesfeld unter und der „Comandirende General“ von Schwedtenstein, dessen Ross-Arzt und Diener bei Humperdinck. Die übrigen Offiziere der Stabs und deren Pferde waren bei Rötger, Heuwing, Duesberg, Moses Hess, Sicking, Sanders, Schwane, Wilkes und König untergebracht. Ein Oberleutnant von der Trenk war bei der Familie van Halfern einquartiert, Major von Deschan (?) bei Jungeblodt. Das Jahr 1878 brachte den Dorstenern gleich mehrmals Manöver-Einquartierungen. Im Juli 1878 war die 8. Batterie des 2. Westfälischen Feld-Artillerie-Regiments Nr. 22 mit Regimentsstab einquartiert. Die Dorstener Heinrich Nachbarschulte, Heinrich Schlüter (beide Feldmark) und Bernard Hülswitt (Dorsten) mussten am 26. Juli 1878 um 5 Uhr morgens mit ihren Fuhrwerken, die 15 Zentner laden konnte, am Marktplatz bereitstehen und Vorspann-Dienste leisten. In 84 Häusern in Dorsten und der Feldmark wurden 135 Soldaten und 95 Pferde untergebracht. Den Regimentsstab mit einem Oberst, einem Major und vier Oberleutnants sowie einem Ross-Arzt nahmen die Familien von Raesfeld, von Waldthausen, Goertz und de Weldige-Cremer auf. Am 16. August quartierte sich die 6. Batterie mit ihren Geschütz-Abteilungen und Pferden in Dorsten ein. Der Stab bestand aus 12 Offizieren, angeführt von einem Major. Die letzte Einquartierung des Jahres 1878 fand im September statt. Meist fanden pro Quartier zwei Soldaten Unterkunft, in wenigen Fällen, beispielsweise in Feldhausen bis zu vier und in Ekel bis zu sechs Mann in einem Quartier. Insgesamt mussten 150 Soldaten mit vier Geschützabteilungen und fast 200 Pferden untergebracht werden. Allein dem Stab gehörten sieben Offiziere, 66 Soldaten und 89 Pferde an. Offiziere mit ihren Pferden waren bei Breil, Schulte-Eckel, in Haus Beck (Feldhausen), bei Goertz, Timmermann, Pootmann und König untergebracht.


Quelle:
Brunnsche Chronik der Herrlichkeit Lembeck bis 1880, hg. vom Heimatverein Wulfen, 1988.

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