Eichmann, Martha

Verfolgt als Jüdin verbrachte sie im Ursulinenkloster ihren Lebensabend

Martha Eichmann geborene Rosenthal; Foto: Wolf Stegemann

1903 in Herten bis 1991 in Dorsten; als Jüdin zum Christentum konvertiert. – Wer sie kannte, das waren in Dorsten viele, liebte ihre ruhige, bescheidene, stets freundliche und zurückhaltende Art. In den letzten Jahren ihres Lebens wohnte sie im Dorstener Ursulinenkloster, denn sie war die Mutter der 2019 verstorbenen Ursuline Sr. Johanna Eichmann, bürgerlich Ruth, langjährige Schulleiterin des St. Ursula-Gymnasiums und zwischendurch auch mal Oberin.

Vater war Mitglied im „Reichsverband der jüdischen Frontsoldaten“

Martha u. Else Rosenthal 1917

Ihre jüdischen Eltern waren Albert und Lina Rosenthal. Ihr Vater, geboren 1873, war gelernter Metzger. Die Familie Rosenthal lebte ein bürgerlich-jüdisches Leben, in dem die Bräuche der deutschen Kultur, wie der Weihnachtsbaum, ebenso ihren festen Platz hatten wie das religiöse Chanukkafest. Seit 1921 war der Vater Mitglied im 1921 gegründeten Reichsverband jüdischer Frontsoldaten und stolz darauf, im Weltkrieg des „Kaisers Rock“ getragen zu haben. 1935 verbot die NSDAP diese Vereinigung. Martha Eichmann wuchs mit vier Geschwistern auf: Paul (1899) starb 1942 im KZ Auschwitz, Fritz (1905) entkam 1938 in die USA, Else und Siegmund starben 1918 an der „spanischen Grippe“. Die Wohnorte der Familie waren Herten und dann Recklinghausen. Hier unterhielt die Mutter einen koscheren Mittagstisch für Angestellte des Textilhauses Alsberg. Martha Eichmanns Vater kam am 2. August 1943 in Auschwitz ums Leben; die Mutter Lina, geboren 1868, starb 1933 in Recklinghausen.

Martha Rosenthal heiratete in Recklinghausen den „Goj“ Paul Eichmann

Martha Rosenthal heiratete den Gelsenkirchen-Schalker Paul Eichmann (1898-1978), den sie als Angestellten der befreundeten jüdischen Familie Boldes in Marl kennengelernt hatte. Die Heirat mit einem „Goj“, einem Nichtjuden, war wohl eher von der Mutter unterstützt als vom Vater. Die Tochter Ruth (spätere Dorstener Ursulinenschwester Johanna) wurde jüdisch erzogen. Denn nach  jüdischen Gesetzen galt das Kind einer jüdischen Mutter immer als Jude, auch wenn der Vater kein Jude war. Die Eichmanns feierten das Chanukkafest im Jüdischen Gemeindehaus Recklinghausen und schickten ihre Tochter in den katholischen Kindergarten der St. Elisabeth-Gemeinde, wo auch die Nachbarkinder waren.

Heimliche Schutztaufe in der Stadtkirche St. Peter

Ostern 1932 wurde Ruth eingeschult. Wie viele jüdische Kinder ging sie aber nicht zur einklassigen Israelitischen Volksschule, sondern wurde an der Katholischen Petrusschule angemeldet. Nach der NS-Machtübernahme und den ersten antisemitischen Aktionen wurden jüdische Schüler ab September 1933 zum Besuch der Jüdischen Schule verpflichtet. Die Jüdin Martha Eichmann ließ sich taufen und die Tochter Ruth, die nach den Nürnberger Rassegesetzen „Mischling 1. Grades“ war, wurde ebenso in aller Heimlichkeit in der Recklinghäuser Kirche St. Peter getauft. Auch meldeten sie ihre Tochter 1936 im Internat der St. Ursula-Schule in Dorsten an, wo ihr Kind geschützter untergebracht war, bis die Schule 1941 verstaatlicht wurde.

Verhaftet und zur Zwangarbeit gezwungen – aber überlebt

Kennkarte für Martha Eichmann

Am 19. September 1944 wurde Martha Eichmann, die bis dahin durch ihre „Mischehe“ noch einigermaßen geschützt lebte, zu Hause verhaftet und ins Polizeipräsidium verbracht. Der Haftbefehl gegen die Tochter konnte wegen ihrer Abwesenheit nicht exekutiert werden. Im Rahmen der Gestapo-„Mischlingsaktion“ wurde Martha Eichmann zusammen mit anderen jüdischen Ehefrauen „arischer“ Männer nach Gelsenkirchen gebracht und von dort nach Kassel verbracht. Nach der Unterbringung im Zuchthaus Kassel ging der Transport weiter in ein provisorisches Zeltlager in einer Tongrube der kleinen Ortschaft Elben. Wegen der Empörung der Dorfbevölkerung über die miserable Lage der 120 Frauen wurde sie dann beengt in einer Gaststätte im Ort untergebracht, bis Baracken in der Tongrube errichtet worden waren. Als Zwangsarbeiterinnen wurden sie von der Organisation Todt zum Aushub von Großstollen am Hardtkopf eingesetzt, wo Teile der Flugmotorenwerke Henschel untergebracht werden sollten. In der Schlussphase lebten die Frauen in der ständigen Angst, zur Tötung abtransportiert zu werden, ehe die US-Truppen einrückten. Bis zur Rückkehr von Frau und Tochter lebte ihr Ehemann Paul Eichmann, der sich von seiner Familie nicht hatte scheiden lassen, in der Ungewissheit über ihr Schicksal. Er selbst wurde am Karfreitag, dem 1. April 1945, von den einrückenden Amerikanern zuerst als gesuchter „Adolf Eichmann“ festgenommen, dann aber, als feststand, dass er nicht der Gesuchte war, vom US-Kommandanten am 2. April 1945 mit den Worten „Du Oberbürgermeister“ als solcher von Marl ernannt. Er blieb Amtsbürgermeister bis zum 24. April 1946 und arbeitete danach als selbstständiger Kaufmann in der Möbelbranche. Er starb 1978 in Haltern. Seine Frau hielt sich danach immer häufiger bei ihrer Tochter Ruth im Dorstener Ursulinenkloster auf, in dem sie seit Anfang der 1980er-Jahre ständig wohnte. Mitte der 1980er-Jahre fand sie in Begleitung ihrer Tochter und Wolf Stegemann erstmals wieder zu einem Gottesdienst in die Synagoge Recklinghausen, was für sie ein sehr emotionales Erlebnis war. 1991 starb Martha Eichmann in Dorsten.

Siehe auch: Sr. Johanna Eichmann OSU


Quellen: Gespräche Wolf Stegemann mit Martha Eichmann und deren Tochter Sr. Johanna Eichmann OSU. – Gedenkbuch „Opfer und Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933-1945.“

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