Durstensis, dann Dürsten, später auch Dörsten und heute Dorsten
Von Wolf Stegemann – Mit dem Antrag der SPD im Jahr 2019, die Stadt möge in ihrem Namen „Dorsten“ den Zusatz „an der Lippe“ führen, mag sich der Bürger fragen, warum eigentlich. Denn einen Ort wie Dorsten gibt es schließlich nur einmal in Europa und vielleicht auch in der ganzen Welt. Daher braucht man keine Unterscheidungsmerkmale anführen wie Städte, von denen es mehrere gleichen Namens gibt wie beispielsweise Rothenburg, wovon die bekannteste Stadt dieses Namens „Rothenburg ob der Tauber“ heißt. Dann könnte man einen Zusatznamen als Werbung für die Stadt nutzen. Haltern macht das mit „Haltern am See“. Das klingt einladend. Die Stadt muss dann auch durch das Ambiente am See einladend sein. Und Dorsten an der Lippe? Ist die Lippe einladend? Eher nicht. Seit etlichen Jahrzehnten versuchten einmal die Stadtverwaltung, dann der Rat, dann wieder die Wirtschaftsförderung, dann wieder ein Beigeordneter aus der Lage der Stadt an der Lippe und am Kanal, den Begriff „Dorsten am Wasser“ irgendwie mit Projekten, Cafés, besucherfreundlichen Zugängen und Aktionen zu prägen. Dies gelang bis heute nicht weder der Verwaltung noch den Politikern. Wer in den letzten Jahrzehnten Beobachter dieser Szene war, der wunderte sich oft über das Hin und Her, was auch als „Herumgeeiere“ in den Medien genannt wurde. Oft wurde Gegenteiliges von dem gemacht, was in den offiziellen Flyern und über die Medien propagierte wurde. Zuletzt mit dem Kolossalbau „Mercaden“, mit dem der Zugang zur Lippe, entgegen anfänglichen Zusagen, „zugemauert“ wurde.
Dorsten „an der Lippe“ – kein entscheidendes Merkmal mehr
Und jetzt kommt wieder aus dem Rathaus der Vorschlag, diesmal von der SPD-Fraktion, im offiziellen Stadtnamen eine Stadt „an der Lippe“ zu machen, rein theoretisch. Denn an der Lippe tut sich nach wie vor nichts. Wie oben schon angeführt, in der Nachbarschaft gibt es die Stadt Haltern die sich „am See“ nennt. Dort findet am See wirkliches Leben statt. An der Lippe in Dorsten aber nicht. Außer einer Fähre in Holsterhausen namens „Baldur“, die eine Brücke ersetzt. Also nichts, was den Zusatznamen verdienen würde, außer Spaziergänger, die man hin und wieder mit ihren Hunden an der Lippe sieht, auch Angler.
Früher machte die Lippe die Stadt wohlhabend
Allerdings hat die Lippe einen hochinteressanten historischen Aspekt. Sie machte früher – ganz viel früher – die Stadt und einige Familien wohlhabend. Der Handelsverkehr auf der Lippe brachte den Schiffbauern Brot und der Stadt Steuern. Die Brücke brachte noch Zolleinnahmen, denn die andere Seite der Lippe gehörte zum Bistum Münster, die hiesigen zum Erzbistum Köln. Die historische alte Poststraße führte hier über die Lippe, wovon die Wirtschaften und die Familien der Pferdeposthalterei am Markt lebten und Brückengeld den Stadtsäckel füllte. Wer von Paris nach Berlin oder von Düsseldorf ins Münsterland wollte, überquerte hier die Lippe, wie Adelige aus Frankreich auch, die von der Französischen Revolution vertrieben wurden. Als Goethe von Frankreich nach Münster fuhr, saß er am 6. Dezember 1792 auf dem Dorstener Marktplatz, weil seine Kutsche geschmiert und seine Pferde gewechselt werden mussten. Die Straße „Alter Postweg“ erinnert an den historischen Postweg, der allerdings anders verlief, als die heutige Straße, an der das Amtsgericht liegt.
„Hansestadt Dorsten“ wäre wohl stark übertrieben
Soll man denn wirklich aus dieser längst vergangen Welt, die heute nur noch durch ein kleines Flüsschen, das zudem mehrmals verlegt wurde, ein besonderes Merkmal „an der Lippe“ liegend in den offiziellen Ortsnamen anführen? Ein anderer Vorschlag lautet „Hansestadt Dorsten“. Das wäre eine unschöne Übertreibung im Vergleich mit den Hansestädten Rostock, Bremen, Lübeck und Hamburg (Autokennzeichen: HH für Hansestadt Hamburg). Dorsten war gemäß an diesen Städten nur ein kleiner unbedeutender Handeslsort und im mittelalterlichen Hanseverbund Dortmund untergeordnet. Vielleicht wäre es die beste Lösung, wenn es bei „Dorsten“ bliebe, so, wie die Stadt immer hieß.
Der Ortsname Dorsten ist einmalig in der Welt
Wörtlich genommen ist Dorsten auch ohne Zusatz einmalig in der Welt. Während es auf den Landkarten den heutigen Dorstener Ortsteil Altendorf siebzehnmal gibt, die nahe Bezirksstadt Münster achtzehnmal, findet man Dorsten nur einmal. Die Jahrhunderte sind über Dorsten hinweggegangen und haben die vielen Wichtigkeiten und Unwichtigkeiten des urbanen Lebens hinweggefegt. Der Name Dorsten geht auf die Form „Durstina“ und nicht auf Durstinon zurück, obgleich die Stadt topografisch im Bereich des Ortsnamens Durstinon entstand. Die Stadtgründungsurkunde besitzt die endungsabgeschwächte Form Durstine. Diese Unterschiede beispielsweise zwischen Dorsten und Haltern sind charakteristisch, denn Halathra blieb als Ort erhalten, Durstinon aber ist in unbekannter Zeit in die Stadt aufgegangen.
Durstina war die Bezeichnung einer Gruppensiedlung nördlich der Lippe mit etwa sechs Höfen, die auf dem Kleinen und Großen Hohefeld lag. Im Spätmittelalter wurde die Bauerschaft Durstina vermutlich im Zusammenhang mit der Kirchgründung und Stadtbildung wüst, allerdings nicht total, weil das Hohefeld weiterhin vom Süden aus bewirtschaftet wurde und wegen der Namensfolge „Dorsten“ noch vor der Stadtwerdung 1251 auf das Südufer verlegt wurde. Der Name „Durstinon“ bezeichnet eine Einzelhofsiedlung südlich der Lippe, die sich seit etwa dem Jahre 500 in den Niederungen des Schölzbachs und des Rapphofs Mühlenbachs (bis Altendorf) ausgedehnt hatte, unter ihnen der adelige Hof und spätere Xantener Oberhof Dorsten. Die Anzahl der Siedlungseinheiten sind nur schwer anzugeben, da der Name Dorsten einen gänzlich anderen Geltungsbereich hatte. Unter dem Namen Dorsten gehörten im 9. Jahrhundert noch Teile von Altendorf-Ulfkotte dazu und im 14. Jahrhundert die Hardt, da der Hof „Schulte ter Hart“ unter Dorsten aufgeführt wird. Später hat sich der Ortsname den jüngeren Verwaltungsräumen angepasst.
Name stammt nicht vom Stein des Gottes Thor ab, wie einst behauptet
Was der Name Dorsten bedeutet, ist nicht bekannt. Ob er von Thor-Stein (Stadt am Thor-Stein) abgeleitet werden kann, wie es Ende des 19. Jahrhunderts Heimatforscher behaupteten, darf als überschwängliche Germanisierung bezweifelt werden, auch wenn sich der männliche Vorname Thorsten auf Thor bezieht. Gegen diese mythologische Namensdeutung sprechen zum einen der Göttername Thor selbst, denn er ist die nordgermanische Form für Donnergott, und zum andern, dass Germanen ihre Götter in Hainen verehrten. Dennoch hat sich diese Thor-Abstammungslegende gehalten: Zum 650. Stadtjubiläum durfte die Festdichterin Johanna Baltz 1901 von der Stadt am Thor-Stein schwärmen und in nationalsozialistischer Zeit hörte man solche Deutungen wieder gern, auch wenn sie nicht zu belegen waren. In der ältesten Form des Stadtnamens „Durstina“ sind die westgermanischen Wörter „durch“ sowie sti = Stelle und a = Wasser enthalten. Durstina bedeutet also „Wasserdurchgangsstelle“. In frühen Urkunden findet sich die Bezeichnung „Dürsteln“ und in späteren „Dürsten“. Selbst das älteste für den täglichen Gebrauch in Amtssachen dienende Siegel führte die Umschrift: Sigillum majus civitatis Durstensis. Dann wurde aus „Dürsten“ „Dörsten“ und seit Anfang des 19. Jahrhunderts „Dorsten“.